Die "Schaufenster"-Welt von gestern

Viele Leute sind nicht mehr im Haus, die sich an die Entstehung der Beilage „Schaufenster“ erinnern. Einen haben wir gefunden.

Am Anfang stand – muss man das überhaupt erwähnen? – eine Frau. Sie hieß Ilse Leitenberger, sie schupfte das Kulturressort der „Presse“, war obendrein stellvertretende Chefredakteurin des noblen Blattes, aber offensichtlich immer noch nicht gänzlich ausgelastet. Das wöchentliche Kulturangebot erschien ihr immer noch zu mickrig, obwohl sich die „Presse“-Redakteure damals wirklich nicht beklagen konnten. Immerhin präsentierte sich „Die Presse“ seit dem 1. Jänner 1963 im internationalen Großformat, also in der Größe der deutschen Blätter wie „Süddeutsche“, „FAZ“ oder „Die Welt“. Fritz Molden verfügte nicht nur über die dazu nötige Großdruckerei (in Heiligenstadt), sondern als „Presse“-Besitzer auch über den erforderlichen Unternehmergeist. Das Großformat: Ja, es sei zugegeben – wir waren mächtig stolz auf das Produkt. Zur Layoutreform, so erzählten uns die Vorfahren, sei ein gewisser Alfons Dalma alle Wochen aus München eingeflogen worden. Nun ja.
Ilse Leitenberger also, dieser rasende weibliche Irrwisch, wusste sehr gut, wie man die Kaufleute und „Erbsenzähler“ in der Verlagsleitung herumkriegte. Denn eine derart opulente Ausweitung des  Hauptblattes kostete natürlich. Auch zum Chefredakteur soll die Bindung eine äußerst kollegiale gewesen sein – so genau wussten wir jungen Spunde das natürlich nicht.
Also: „ile“ setzte sich durch. Drei großformatige Seiten – einmal pro Woche – zusätzlich zum täglichen Kulturangebot wurden ihr zugestanden. Erstmals erschien dieses Ur-„Schaufenster“ in der Wochenendausgabe vom 29./30. Juni 1974. Die Rubriken waren klar gekennzeichnet durch hübsche Vignetten: „Fernsehen“ etwa, „Theater“, „Film“, Radio“, „Festival“ usw. Und wer diese Frau gekannt hat, der wird erahnen, dass der Tsunami ein mildes Lüfterl ist gegen das, was die Frau Stellvertreterin nun Woche für Woche in allen Stockwerken des guten alten Heiligenstädter „Pressehauses“ aufgeführt hat. Kein Ressort wurde verschont, um Tipps an Land zu ziehen, schließlich wollte auch die Spalte „Raritäten“ gefüllt werden.
Dabei hatte sie im 13. Stockwerk eine Frau- und Mannschaft, für die die Bezeichnung „exzellent“ eine unzulässige Untertreibung wäre. Das waren Stars der schreibenden Zunft. Allesamt schrieben sie nebenher Bücher, und gar keine schlechten. Franz Endler etwa, der Anführer, Gotthard Böhm, der noble Stilist, Karin Kathrein, die Theaterspezialistin, deren Erscheinen in der Pressehauskantine schon ein szenischer Auftritt war. Der alte und weise Piero Rismondo schwieg, dachte und sog an der Pfeife, der jugendliche Kristian Sotriffer hingegen war noch ganz Feuergeist. Und der noch viel jüngere Franzi Manola hörte genau zu, was die Alten sungen. Da gab’s aber noch eine Kollegin, die zwar auf Religionsfragen spezialisiert war, die aber ihren Kunstsinn immer gern einbrachte, wenn Not am Mann (oder an der Frau) war: Pia Maria Plechl sollte später ebenfalls Chefredakteur-Stellvertreterin werden.
Aber die gute „ile“ hatte natürlich nicht auf die direkten Drähte in die Chefredaktion vergessen. Dort saß als „Zerbereuse“ in Otto Schulmeisters Vorzimmer die allgewaltige Lore Fessler, kunst- und kulturbegeistert, einsatzbereit zu jeder Tages- und Nachtzeit. Frau Fessler war so umfassend gebildet (und interessiert), dass man ihr später die gesamte Verantwortung für das „Schaufenster“ umschnallte. Und sie tat es bis zu ihrer Pensionierung.
Da hatten sich die Sitten und Umgangsformen in der altehrwürdigen Redaktion natürlich schon heftig gewandelt. Allein die Tatsache, dass eine Frau stellvertretende Chefin sein konnte, war ein Quantensprung in der Wiener Presselandschaft.

Bleisatz-Zeit. Barbara Coudenhove-Kalergi, auch sie begann als kleine „Presse“-Aspirantin, erinnert sich, dass man von den großen alten Herren der Chefetage (Molden, Schulmeister, Dubrovic, Nussbaum, Eidlitz) nie etwas zu Gesicht bekam. „In die Redaktionskonferenz ging man, wenn überhaupt, mit ehrfurchtsvollem Schaudern“, erzählt sie. „Manchmal konnte man dann erleben, wie der Innenpolitikchef Hans Mauthe, ein knorriger Nationalliberaler, mit einem donnernden ,Leckt’s mich doch alle am Arsch‘ zornig aus dem Zimmer stapfte. Ihm lief dann der stellvertretende Chefredakteur Milan Dubrovic auf den Gang hinaus nach und flehte: ,Mauthe, Mauthe, bitte komm zurück!‘. Dubrovics legendärem Charme konnte bekanntermaßen niemand widerstehen, nur Mauthe manchmal doch. Dann hatte unsereins etwas zu klatschen und war die ganze Woche glücklich.“
Das war natürlich alles noch in der guten alten Bleisatz-Zeit und in einer längst verklungenen Epoche. Kann man sich vorstellen, dass es zwar noch Redaktionsdiener gab, aber keinen einzigen Layouter oder Grafiker? Das erste „Schaufenster“ wurde auf normalem Zeitungspapier mitgedruckt und erschien am Schluss der Samstagszeitung, vor dem „Spectrum“, das sich seinen legendären Ruf bewahrt hat.
Bis zur heutigen „Schaufenster“-Luxusausgabe war noch ein langer Weg. Darf man stolz darauf sein, diese ganze weite Strecke mitmarschiert zu sein? Vielleicht nur ein bisschen. Alt wird man schließlich ohne eigenes Dazutun. 

Ein Rückblick

29.6.1974 Auf Zeitungspapier erscheint das Ur-„Schaufenster“ erstmals am Samstag als dreiseitiger Kulturteil in der Wochenendbeilage Spectrum. Die Idee dazu geht auf die damalige Kulturchefin Ilse Leitenberger und die Assistentin von Chefredakteur Otto Schulmeister, Lore Fessler, zurück. Das Ereignis wurde auf dem Titelblatt mittels blau umrandetem „Presse-Telex“ angekündigt.

18.2.1977 Das „Schaufenster“ lag der Presse am Freitag erstmals als eigenes Magazin mit Farbumschlag und TV-Programm bei. Es hatte 16 Seiten. Auf Seite eins der stets nobel zurückhaltenden „Presse“ stand ganz oben im „Heute“-Kasten ein kleiner Einspalter mit dem Titel: „Das ,Schaufenster‘ im Farbumschlag“.

6.5.1994 Das „Schaufenster“ wird in ein Kultur- und Freizeitjournal umgewandelt, das TV-Programm erscheint separat. Irritierend: Seit den späten 80ern wurden statt Coverfotos oft ganzseitige Werbesujets auf dem Titelblatt platziert – das wäre heute undenkbar.

16.9.1995 Lukas Kircher und Thomas Götz verpassten dem „Schaufenster“ einen modernen Look samt neuem Logo.

1999 und 2002 Es finden knapp hintereinander zwei Layoutreformen statt. Name und Inhalt bleiben weitgehend unverändert.

13.1.2006 Inhaltliche und optische Neugestaltung durch Petra Percher (jetzige Chefredakteurin) und Ingrid Polivka (damalige Artdirektorin). Wenig später folgt das dickere Hochglanzcover. Das neue „Schaufenster“ positioniert sich damit klar als Luxus-Lifestyle- und Kulturmagazin. Seither finden Leser wöchentlich die Themen Mode, Design, Beauty, Gourmet, Reise und Kultur plus das seit jeher umfangreiche Kulturprogramm.

19.9.2008 Der Lifestyle-Channel Schaufenster.DiePresse.com geht online und legt seither kontinuierlich User zu. Als E-Magazin hebt sich der 24/7-Guide für das schöne Leben von der Nachrichtenseite DiePresse.com ab.

26.8.2011 Artdirektor Matthias Eberhart bringt die Schriften und das Layout optisch auf den letzten Stand.

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