Yiqing Yin: In der Ruhe liegt die Kraft

Als Kind musste sie mit ihren Eltern aus China fliehen, nun erobert Yiqing Yin die Pariser Haute-Couture-Welt: Porträt eines Shootingstars.

Yiqing Yin bedeutet übersetzt so viel wie „nach dem Sturm kommt die Ruhe“. Ruhe kehrt jedoch im Leben der erst 27 Jahre alten, aus China stammenden Modedesignerin dieses Namens bis auf Weiteres nur mehr in Ausnahmefällen ein. Eigentlich wollte die junge Frau ja Bildhauerin werden, doch der Besuch einer Yohji-Yamamoto-Ausstellung mit dem Titel „Juste des vêtements” (Nur Kleider) im Musée des Arts décoratifs 2005 ließ sie ihren Berufswunsch ändern: „Yamamotos Designansatz begeisterte mich. Die Vorstellung, dass Kleidung eine tiefere Bedeutung als nur die Verhüllung des Körpers haben kann und eben eine Plattform für kreatives Schaffen ist, hat mich fasziniert. Ich wusste, dass ich das auch kann und mir Mode eine bessere Ausdrucksform für meine Kreativität geben würde als die starre Bildhauerei“, erklärt sie. Eine Vorliebe für das Skulpturale ist aber geblieben, denn Yiqing Yin liebt es, mit ihren Händen die Kleider zu modellieren, Stoffe am und um den Körper zu drapieren und Roben wie Skulpturen zu erschaffen, die die Attribute und Anatomie des Körpers nutzen.

Talent und Ehrgeiz. Der Karriereweg, den sie nach Ende ihres Studiums absolvierte, legt Zeugnis vom extremen Ehrgeiz, der Zielstrebigkeit und dem Talent der zierlichen Chinesin ab. Schon mit ihrer ersten Kollektion gewann sie 2010 nicht nur den „Grand Prix de la Création“ der Stadt Paris, sondern sie zeigte diese auch am renommierten Modefestival in Hyères.

Im März 2011 wählte die französische Vogue Yiqing Yins Kollektion „The Dreamer“ für eine Ausstellung im Hôtel de Crillon aus, die acht aufstrebende Designer zeigte. Kooperationen mit Swarovski und Cartier waren weitere Schritte, der bisherige Höhepunkt ihrer Karriere kam dann Ende 2011, als Yiqing Yin vom Haute-Couture-Verband in die Riege seiner Mitglieder gewählt wurde. Seitdem darf sie als „Membre associé“ firmieren, eine Ehre, die nur wenigen zuteil wird. Neben all den großen Namen, die in dieser erlauchten Sphäre auftauchen, stellt die noch nicht einmal Dreißigjährige in der Tat eine Ausnahmeerscheinung dar – zu Kopf gestiegen ist ihr der rasche Erfolg aber nicht.

Denn obwohl die Haute Couture zumeist als höchste Schneiderkunst angesehen wird, ihre Kollektionen in Museen und Galerien gezeigt wurden und sie bislang noch keine Prêt-à-porter-Linie führt, weigert sich Yin, sich selbst als Künstlerin zu titulieren: „Nein, ich sehe mich keineswegs als Künstlerin, obwohl meine Designs keine Produkte im klassischen Sinne sind. Mode ist immer noch eine Industrie, auch wenn viele Leute das oft vergessen. Couture zu entwerfen erlaubt es mir, mich auszutoben und meine Gedanken auf Reisen zu schicken. Ich stehe nicht unter demselben Druck wie Designer, die Prêt-à-porter entwerfen, also ihre Kollektionen kommerzialisieren und für die breite Masse zugänglich machen. Ich bin wirklich sehr dankbar dafür und sehe auch die Zukunft der Haute Couture im Gegensatz zu vielen anderen rosig. Würde es die Couture nicht mehr geben, würde ein großer Teil an kreativem Schaffen verloren gehen. Trotzdem habe ich manchmal Angst, die Erwartungen, die man an mich hat, nicht zu erfüllen. “

Das Schicksal mischt mit. Die Nervosität der jungen Designerin scheint aber unbegründet, wenn die Qualität der in stundenlanger Handarbeit entstehenden Kreationen begutachtet wird. Während die meisten Designer mit Schnittzeichnungen arbeiten, entstehen Yins Kreationen direkt am Model, wobei sie sich auf ihre Intuition verlässt und kleine Missgeschicke oder „Fügungen des Schicksals“ schätzt, die oftmals die interessantesten Faltenwürfe erzeugen würden.

„Ich sehe meine Kleider als so etwas wie geschmeidige Rüstungen: Rüstungen werden von den meisten Menschen als stabil und stark angesehen. Ich erschaffe sie aber aus leichten Stoffen. Auf den ersten Blick wirken die Stücke starr und unbeweglich, und doch sind sie leicht und luftig. Ich liebe den Kontrast zwischen Solidität und Leichtigkeit“, erzählt sie. Eben dieses Spiel aus schweren und leichten Stoffen, harten Ecken und weichen Formen ist es letztlich, was Yiqing Yins Kreationen so interessant macht. Im persönlichen Gespräch blitzt eine ähnliche Dualität auch in der Persönlichkeit Yins auf: Nach außen hin ruhig und fast schon fragil wirkt sie, doch ihre Augen sind stark und blitzen voll Entschlossenheit und Feuer.

TIPP

Haute Couture wird in Paris wieder von 21. bis 24. Jänner gezeigt.

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