Flagshipstores: Die Kunst des Konsums

Flagshipstores globaler Marken werden zu architektonischen Wahrzeichen: In aufwendig gestalteten Erlebnistempeln wird das Shoppen beinahe zur Nebensache.

(c) beigestellt

Noch nie war es so einfach einzukaufen: Ein Mausklick genügt, um die gewünschte Ware frei Haus geliefert zu bekommen. Unkompliziert, ohne Stress und mit Rückgabegarantie. Flaniert wird heutzutage im Internet, könnte man annehmen, zu Hause, wo es bequem ist und man Zeit hat. Die „New York Times“ widersprach dieser These jüngst vehement und proklamierte den Tod des „Cyberflaneurs“. Das in-teresselose Sich-treiben-Lassen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Dandys mit grandioser Meisterschaft in den Pariser Passagen zelebriert, finde im Netz nun nicht mehr statt: „Das Internet ist nicht mehr länger ein Platz zum Herumstreunen“, so der resignierte Befund: „Es ist ein Ort geworden, an dem alles effizient erledigt wird.“

Shopping-Monumente. Während also das Flanieren im Web an sein Ende kommt, schlägt offenbar (wieder) die Stunde der Flagshipstores, also jener Vorzeigeboutiquen von bekannten Marken, die mehr sind als pure Verkaufsflächen. Rem Koolhaas’ Entwurf für den Prada-Store, der 2001 in New York eröffnet hat, ist ein gutes Beispiel dafür, mit welchem Aufwand versucht wird, Shoppen, Erlebniswelt und Kulturproduktion unter einen Hut zu bringen. Das „Epicentro“ von Prada im Tokioter Stadtteil Ginza, geplant von Herzog und de Meuron, wurde ebenfalls rasch zu einer Art Shopping-Sehenswürdigkeit.

Mittlerweile hat international ein regelrechter Wettkampf begonnen, bei dem die innovativen architektonischen Würfe einander übertrumpfen. Die Idee ist ja auch einleuchtend: Wer einen herausragenden Bau konzipiert, bekommt jede Menge Gratiswerbung (und im besten Fall Laufkundschaft) dazu – Stadtführer drucken das Gebäude ab, Designmagazine und Lifestyle-Ratgeber vermitteln das Gefühl, man müsse diese spektakuläre Architektur einfach gesehen haben. Und so sind, um es etwas überspitzt auszudrücken, Flagshipstores seit geraumer Zeit zu neuen Monumenten avanciert. Man fährt man Paris, besucht Notre-Dame und den Trocadéro ebenso selbstverständlich, wie man in der Avenue Montaigne auf Tuchfühlung mit den Luxustempeln geht und bei Chanel in der Rue Cambon vorbeischaut.

Neue Raumkonzepte. „Es gab schon in den 1950er-Jahren herausragende Geschäfte“, analysiert der Wiener Sozial- und Kulturforscher Manfred Russo, der derzeit an der Bauhaus-Uni Weimar unterrichtet, und fährt fort: „In Zeiten des Internet ist es aber umso wichtiger, eine Marke auch lokal zu verorten.“ Das betrifft die „Geburtsstätten“ global operierender Luxusmarken, also etwa London, Paris, New York und Mailand, aber auch die als relevant erachteten Satellitenstädte. Neuerdings kommt auch Wien in diesem Zusammenhang einige Bedeutung zu: Louis Vuitton, Emporio Armani und Miu Miu eröffneten im „goldenen Quartier“. Christian Dior und Yves Saint Laurent soll es auch nach Wien ziehen. Die Schattenseiten dieses Runs sind aber auch bereits deutlich abzusehen, meint Manfred Russo: „Flagshipstores haben weltweit die Mietpreise stark in die Höhe getrieben. Sie graben alteingesessenen Geschäften das Wasser ab.“ Auch in der Wiener Innenstadt sei dies zu beobachten: „Alte Geschäfte können sich die Mieten auf der Kärntner Straße, dem Graben oder dem Kohlmarkt kaum mehr leisten.“

(c) beigestellt

Für frischen Wind in der Raumgestaltung sorgt das seit ein paar Jahren besonders beliebte Konzept der Pop-up-Stores: Diese temporären Geschäfte werden mittlerweile auch von Luxusgiganten wie Louis Vuitton oder Chanel betrieben. Vorreiter war Comme des Garçons 2004 in Berlin; das Procedere erinnert an Ausstellungen und Partys. Wer einkauft, hängt zugleich mit coolen Gleichgesinnten ab. Selbst große Marken können es sich offenbar nicht leisten, auf ein avantgardistisch angehauchtes Nischenpublikum mit dem nötigen Kleingeld zu verzichten.

Setzte man früher auf edle Tropenhölzer und Marmor, erkennen viele Häuser mittlerweile, wie inflationär und austauschbar diese Art der Traditionsinszenierung geworden ist. Pompös und protzig mag zwar auf dem russischen Markt ziehen, aber viele finden das mittlerweile auch langweilig. „Mode und Kunst vermischen sich sehr stark, allzu biedere Raumkonzepte passen da nicht mehr dazu: Man lehnt sich auch architektonisch an Subkulturen an“, analysiert Manfred Russo den Trend zur Verjüngung und die damit einhergehende Gratwanderung zwischen dem Demonstrieren alteingesessener Qualität und zeitgemäßer Modernität. Flagshipstores sind in vielen Fällen ohnehin begehbare Lifestyle-Magazine geworden, Orte, in denen man Kaffee trinken, neue Musik hören und wie nebenher einkaufen kann. „Der Konsum soll künstlerisch sein“, sagt Russo: „Es wird vermittelt, es ginge um nichts Geringeres als die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.“ Und die will man schließlich nicht dem Internet überlassen, in dem die Ablenkungsgefahr trotz aller Reglementierungsversuche noch immer größer ist als im Shop.

TIPP

Auf Erkundungstour durch die Wiener Innenstadt ist für Luxusshopping-Interessierte das goldene Quartier an der Tuchlauben eine Anlaufstelle mit Weltstadtflair. Nach Louis Vuitton und Emporio Armani eröffnete vor Kurzem Miu Miu hier einen Shop.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.