New York: Nostalgie und Amnestie

Nirgends ist der Showkalender so vollgepackt wie in New York. Es braucht schon einen Blizzard, um ihn ins Wanken zu bringen.

Unter einem besonders guten Stern schien die vor Kurzem zu Ende gegangene New York Fashion Week diesmal nicht zu stehen. Im Vorfeld kursierten Berichte über ein verheerend aggressives Grippevirus, gegen das sich das zart besaitete Modevolk wappnete, dann legte auch noch Blizzard(chen) Nemo einen Großteil des Flugverkehrs lahm: Nicht nur zahlreiche internationale Pressevertreter erreichten verspätet den Big Apple, sondern auch Accessoires, die Marc Jacobs für kommenden Herbst entworfen hatte. Für Jacobs führte das zwar nicht zum Ausfall seiner Show, jedoch zu einer Verschiebung auf den letzten Show-Slot. Jacobs trug es aber mit Fassung, schließlich konnte er mit der (wie immer bunt zusammengewürfelten) Kollektion seiner Zweitlinie „Marc by Marc Jacobs“ Boden wettmachen. Für Staunen hatte er ohnehin auch durch das kurz vor Beginn der Modewoche publik gewordene Engagement als (oberbekleidungsloser) Kreativdirektor von Diet Coke gesorgt.

Ein weiterer New Yorker Designer, der sich für eine disziplinenübergreifende Kooperation anheuern ließ, ist Alexander Wang: Gemeinsam mit dem koreanischen Hightech-Riesen Samsung, der in puncto Coolness einiges an Terrain gegenüber Apple gutgemacht hat, wird ein Handtaschenmodell entstehen: Nutzer des Galaxy-Smartphones können mit einem integrierten Programm Entwürfe beisteuern. In seinem Kerngebiet, der Mode, zeigte Wang eine wuschelige, fluffige, wahrhaft auf das raue Klima abgestimmte Kollektion – die zahlreich auftauchenden überschnittenen Schultern erinnerten vage an manche Entwürfe von Nicolas Ghesquière für Balenciaga, dessen Nachfolge Wang ja demnächst antreten wird.
Neben Wang galt das Interesse der Fachpresse auch anderen Designern mit asiatischen Wurzeln, etwa Jason Wu (der die besondere Wertschätzung von Michelle Obama genießt), Prabal Gurung oder Phillip Lim. Da freilich das chinesische Neujahrsfest und damit der Beginn des Jahres der Schlange genau in die Modewoche fiel, nutzte auch Edeljuwelier Bulgari die Gunst der Stunde, um seine Serpenti-Kollektion mit einer Sonderausstellung in der passend dekorierten Boutique auf der Fifth Avenue zu feiern. Auf Werbewirksamkeit setzte auch das Label Opening Ceremony, das bereits zum wiederholten Mal mit Chloë Sevigny als Gastdesignerin kooperierte.

Vergeben und Vergessen.
Unter den etablierten Modemachern gaben sich Donna Karan und Diane von  Fürstenberg leicht nostalgisch: Karan, die ebenfalls gerade mit Opening Ceremony gemeinsame Sache für eine Best-of-Kollektion macht, führte dieses Prozedere der Selbstzitate sowohl in ihrer Haupt- als auch der Zweitlinie DKNY fort. Diane von Fürstenberg ließ ebenfalls ein Medley von in der Vergangenheit erfolgreichen Silhouetten defilieren. Tommy Hilfiger indes schielte in transatlantische Gefilde und verband seinen typischen „Preppy“-Studentenlook mit britischer Schneiderkunst. Das stimmige Setting: ein als Pappmaché-Bibliothek aufgemachter Saal.

Als Fixstarterin der New Yorker Modewoche konnte sich in den vergangenen Jahren Victoria Beckham etablieren, die auch nach dem Umzug ihrer Familie nach London dieser Modestadt für die Präsentation ihrer Kollektionen (sie betreibt seit Kurzem auch die Zweitlinie „Victoria“) treu geblieben ist. Modern, klar und doch feminin ist die Ästhetik ihrer Entwürfe, den Status „Popstar laboriert ein bisschen im Modezirkus herum“ konnte Victoria Beckham durch konstant solide Präsentationen längst ablegen.
Für Schlagzeilen sorgte in New York auch ein Landsmann von Beckham, nämlich der in Paris bekanntermaßen in Ungnade gefallene John Galliano: Oscar de la Renta, anerkannter und bereits recht betagter Edelschneider Nordamerikas, ließ Galliano für einen Arbeitsaufenthalt nach New York kommen – die Modepresse gab sich überzeugt, die Spuren von Gallianos kreativen Visionen in de la Rentas Kollektion ausmachen zu können. Ob die Zusammenarbeit fortgeführt und vielleicht sogar intensiviert wird, bleibt vorerst offen, jedoch wäre Galliano nicht der Erste, der auf einem anderen Kontinent auf Vergeben, Vergessen und einen Neuanfang hoffen darf.

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