Karl Lagerfeld: Mann oder Markenzeichen?

Karl Lagerfeld: Mann oder Markenzeichen?
Karl Lagerfeld: Mann oder Markenzeichen?(c) Beigestellt
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Karl Lagerfeld feiert am 10. September seinen vielleicht 80. Geburtstag. Eine Betrachtung seiner Person zum besonderen Anlass.

Karl Lagerfeld? Keine weiteren Fragen! Außer natürlich: Wie alt wird Herr Lagerfeld eigentlich am 10. September 2013? Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet jener Modedesigner, über den alles gesagt scheint (das meiste von ihm selbst) und dessen Medienpräsenz ihresgleichen sucht, die Welt über sein Geburtsjahr im Unklaren lässt: 1938 war lang die offizielle Angabe, irgendwann schwenkte Lagerfeld auf 1935 um, und laut „Spiegel“-Recherche soll er ein 1933er-Jahrgang sein. Solche Mätzchen mögen ob ihrer Entbehrlichkeit erstaunen, doch sie sind bezeichnend für Lagerfelds natürlichen Umgang mit einer Ökonomie der Aufmerksamkeit.

Seit Jahren, Jahrzehnten nützt er alle sich bietenden Möglichkeiten, mit der interessierten Öffentlichkeit zu kommunizieren, auf das Geschickteste aus. Und obwohl Lagerfeld gleich einem „echten“ Popstar auch außerhalb des Modeuniversums Beifallstürme auszulösen vermag, werden selten allzu private Trivia publik. Das Entblößendste sind da schon Paparazzi-Aufnahmen, auf denen man Lagerfeld ohne seine dunkle Brille über eine Speisekarte gebeugt sieht. Man könnte also sagen, er verbirgt sich erfolgreich hinter einer Wand, die sein eigener Redeschwall und die von ihm penibel inszenierte Flut von Bildern seiner selbst und seiner Entourage stützen.

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Wandelbar. 2008 machte Lagerfeld Werbung für Verkehrssicherheit.
Wandelbar. 2008 machte Lagerfeld Werbung für Verkehrssicherheit.(c) EPA (CHRISTOPHE MORIN / MAXPPP)
Karl Lagerfeld Mann oder
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TIPP



Bonmots en masse. Auch eine Unzahl Lagerfeld’scher Bonmots ist jederzeit abrufbar – in dieser Hinsicht ist der Deutsche ja ein würdiger Erbe der als Zitatspenderin geltenden Gabrielle „Coco“ Chanel. Denn der Sohn eines Hamburger Kondensmilch-Herstellers war etwa Protagonist der Filmbiografie „Lagerfeld Confidential“, er gab und gibt gern lange TV-Interviews und nimmt artig auf den Polstergarnituren in großen Fernsehshows Platz. Dort kritisiert er mit schöner Regelmäßigkeit übergewichtige Berühmtheiten, gibt der deutschen Kanzlerin ungefragterweise Stilratschläge und ist immer für ein fein kalkuliertes Provokatiönchen gut.

Abseits aller Unterhaltsamkeiten gilt Karl Lagerfeld, auch dies unterstreicht er selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit, als Arbeitstier. Er ist unausgesetzt kreativ, fantastisch vielseitig – und unheimlich einflussreich. Den schönen jungen Menschen, mit denen er sich umgibt, verhilft er turnusweise zu Berühmtheit. Die ansteckende Faszination, die von Lagerfeld ausgeht, ließ unter webaffinen Fashionistas sogar den Twitter-Account von seinem Kätzchen „Choupette“ zur kultigen Informationsquelle werden.

Sein Kreativoutput umfasst derweil schokoladevertäfelte Hotelzimmer und Coladosen-Design ebenso wie die Ko-Autorenschaft bei einem Diätkochbuch, das sogar seinen Leibarzt vorübergehend zum Star machte. Über all dem ließe sich fast aus den Augen verlieren, dass Karl Lagerfeld seit über fünfzig Jahren als Fixgröße im Pariser Modekosmos wirkt und wiederholt dessen Regelwerk neu zu definieren half.

Balmain, Patou, Chloé. Seinen Einzug in die Couture-Welthauptstadt feierte er 1954 als einer der beiden Gewinner eines Modepreises, den das internationale Wollsekretariat vergab. Danach wurde er zu Pierre Balmains Assistenten, wechselte zum Haus Patou, in den Sechzigern folgte sein Engagement durch die Chloé-Gründerin Gaby Aghion und damit die Festigung seines Rufes als Verwandlungskünstler (so, nämlich einen „créateur protéiforme“, nennt ihn auch der Präsident der französischen Couture-Fédération, Didier Grumbach, in seinem Buch „Histoires de la mode“).

Kreativsöldner.
Neben seiner Rolle bei Chloé wurde Lagerfeld noch in den Sechzigerjahren von Fendi als Kreativdirektor engagiert (diese Kooperation hält im wechselhaften Modetreiben den unangefochtenen Langlebigkeitsrekord). Und vor genau dreißig Jahren ereilte ihn der Ruf der Familie Wertheimer, die sich, elf Jahre nach dem Tod von Coco Chanel, nach einem Designer für ihr als „Sleeping Beauty“ geltendes Maison umsah.

Didier Grumbach schreibt über den Impakt von Lagerfelds Engagement durch die Wertheimers: „Entgegen allen Erwartungen und jeglicher Tradition, allem bestehenden Regelwerk zuwiderhandelnd, überträgt die Marke Chanel 1983 ihre Kollektionserstellung einem Mann, der als freier Designer gilt: Karl Lagerfeld. Dies ist ein Präzedenzfall, denn plötzlich zählt der bekannteste unter den ‚Kreativsöldnern‘ (stylistes mercenaires) das mythischste unter allen Pariser Modehäusern zu seinen Kunden.“ Über den ungebrochenen Erfolg dieser Zusammenarbeit erübrigt sich jeder Kommentar.

Parallel zu seinen übrigen Engagements betreibt Karl Lagerfeld auch ein Modehaus, das seinen eigenen Namen trägt. Größerer Erfolg war zwar lange jenen Unternehmungen beschieden, in denen er den kreativen Geist einer existierenden Marke kanalisierte. Doch nach seiner publikumswirksamen Abmagerungskur nach der Jahrtausendwende schaffte es Lagerfeld, sich endgültig zum Popstar umzudeuten. Das hinterlässt auch in der Positionierung seiner Eigenmarke Spuren.

Die Neuaufstellung von „Karl Lagerfeld“, seit 2006 im Besitz der Londoner Investmentgruppe Apax Partners, die Lancierung der Zweitlinie „Karl“, die Eröffnung von „Karl“-Concept-Stores (zuletzt in Berlin und München), der Start der Website Karl.com mit einer eigenen Zitatesammlung namens „Karlisms“ ist eng an den Starstatus des Designers gebunden.

Luxusmode oder Celebrity Fashion? Längst ist also Karl Lagerfeld zu einem Protagonisten der Popkultur geworden. Und so drängt sich bei genauerer Betrachtung der Eindruck auf, dass er mittlerweile auf zwei entkoppelten Ebenen funktioniert. Zum einen entwirft er die Kollektionen von Luxusmarken wie Chanel und Fendi; operiert damit im Feld der eigentlichen Modeproduktion. Zum anderen ist er aber aus der Mode ­herausgetreten und hat sich eine Position erarbeitet, die ihm – auf einer anderen Ebene, eigentlich jener der Celebrity Fashion – die Rückkehr in das Modesystem ermöglicht. Der Karl Lagerfeld von Chanel ist ein anderer als jener Karl Lagerfeld, der hinter „Karl Lagerfeld“ steht oder der 2004 als erster Gastdesigner von Hennes & Mauritz eingeladen wurde.

Letzterer funktioniert – fast – nach dem Paris-Hilton-Prinzip: Sein Name und sein abstrahiertes, ikonenhaft aufgeladenes Konterfei beflügeln die Verkaufszahlen von Produkten, also werden entsprechende Produkte entworfen und vermarktet. Da Karl Lagerfeld selbst bereits ausgeschlossen hat, sich jemals zur Ruhe setzen zu wollen, und keinerlei Ermüdungserscheinungen zu bemerken sind, wird es übrigens interessant sein zu beobachten, ob ihm in den nächsten Jahren noch die Erfindung eines dritten Lagerfeld-Levels gelingen kann. Auszuschließen ist in seinem Fall ja kaum etwas.

Karl über alles. Im Oktober erscheint „Karl. Über die Welt und das Leben“ im Edel-Verlag. Die vierstündige Lagerfeld-Doku „Mode als Religion“ sendet Vox am 7. September um 20.15 Uhr.

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