Palmers: „Reizung der Lüsternheit“

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Geschichte von unten: Das Palmers-Archiv öffnete zur Feier des 100. Firmengeburtstages ausnahmsweise seine Pforten.
Text: Fotos: Katharina Roßboth

Familienmenschen sammeln gemeinsame Erinnerungen in Fotoalben, Familienunternehmen tun dies in groß angelegten Archiven. Und wie im Familienverband, so braucht wohl auch ein Firmenarchiv eine gute Seele, die alles sammelt und sortiert und die Bilder mit Geschichten lebendig macht.

Im Archiv von Palmers ist dies Ulla Fleischer, ehemalige Werbeleiterin, die seit 50 Jahren für das Unterwäscheunternehmen tätig ist und somit genau bei der Halbzeit des heuer 100-jährigen Bestehens von Palmers zu arbeiten begann. 1914 von Ludwig Palmers als Geschäft für Schürzen und Stoffreste gegründet, spezialisierte sich die Firma nach dem Ersten Weltkrieg auf Strumpf- und Wäschewaren. Seit damals wird alles aufgehoben, was man an Text und Bild erzeugt, von der Zeitungsannonce bis zur Strumpfverpackung. „In unser Archiv führe ich zum Beispiel unsere Lehrlinge, um die Unternehmenstradition zu vermitteln“, erklärt Fleischer. In deckenhohen Regalen werden sämtliche Plakate in großen Rollen aufgehoben, darunter auch echte Skandalblätter.

Schwindelfrei. Archivleiterin Ulla Fleischer erklimmt hohe Höhen.
Schwindelfrei. Archivleiterin Ulla Fleischer erklimmt hohe Höhen. (c) Katharina Roßboth



„In den 1950er-Jahren waren unsere Werbeanzeigen ungeheuer erotisch“, weiß die Archivarin. Ein Plakat aus dieser Zeit, auf dem Frauenbeine bis weit übers Knie zu sehen sind, führte zu großer Aufregung in der Bevölkerung. Um Jugendliche durch „Reizung der Lüsternheit“ (so lautete der Vorwurf) nicht schädlich zu beeinflussen, wurde vom Unterrichtsministerium verfügt, dass die Frauenbeine auf dem Plakat mit einem Röckchen überklebt werden müssen.

Sex sells. Der Skandal blieb nicht ohne Folgen: Die Verkaufszahlen schossen in die Höhe. Ob dies dem Zufall oder dem unternehmerischen Kalkül von Walter Palmers, Sohn des Firmengründers, zu verdanken war, bleibt ungewiss; sicher ist, dass Palmers seine Art der Unternehmensführung aus den USA importiert hatte. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Man wählte auf Anraten des Schildermalers jene Farbe für das Firmenlogo, die am seltensten nachgefragt wurde: „Schweinfurter Grün“. Sodann wurde das Tragen einer Uniform in „Palmersgrün“ für jeden Mitarbeiter verpflichtend. „Dazu bekam man eine Nummer zugeteilt“, erzählt Fleischer. „Um dem Kunden Vertrauen und Nähe zu suggerieren, wurden die Nummernbroschen aber Anfang der 1960er-Jahre durch Namensschilder mit dem Vornamen ersetzt.“ Dabei durfte es in den Filialen jeden Namen nur einmal geben. Aus Frau Ulla Fleischer wurde also kurzerhand „Frau Ulli“, weil es in der Buchhaltung schon eine Ulla gab. „Heute weiß ich sofort, wenn es ,Frau Ulli‘ heißt, dann ist es geschäftlich.“

Die alten Uniformen und Nummernbroschen im Archiv belegen dieses Kapitel der Firmengeschichte. Vom Bestreben, die Kunden an die Marke zu binden, zeugen auch die Kundengeschenke, die man zu Weihnachten oder zum Frühlingsbeginn in den Geschäften verteilte. Die Hausfrau der 1950er-Jahre bekam von Palmers ein Stopfholz, während die PowerFrau der 1990er-Jahre mit einem Mauspad beschenkt wurde.

Push-up zum Selbermachen. Mögen sich die Geschenkideen in den Jahrzehnten auch verändert haben, die Bedürfnisse der Kundinnen sind heute noch dieselben wie damals. In den 1950ern versprach der „Atlas Büstenformer“ eine größere Oberweite auch für zierliche Frauen. Die Einlagen mit Namen „Schönheitsformer“, musste man selbst in den Büstenhalter einnähen. Um auch in Peeptoes nicht auf die obligatorische Strumpfhose verzichten zu müssen, brachte Palmers damals einen Strumpf mit aufgestickten roten Zehennägeln auf den Markt.

Heute gibt es für solche Zwecke die „Toeless“-Strumpfhose im Sortiment, bei der die Zehen vorne frei bleiben. Und auch nähen müssen die Kundinnen nicht mehr selbst. Für die optische Vergrößerung der Oberweite wurde das „Miracle-Up“-Bustier entwickelt, das man über den BH zieht. „Bei Unterwäsche ging es schon immer um Kaschieren und Modellieren, nur heute haben wir eben andere technische Mittel als damals“, sagt „Frau Ulli“.

Innovationsgeist war von Anfang an maßgeblich am Erfolg beteiligt, einfallsreich waren auch die Werbestrategien. In den 1990er-Jahren war das Unternehmen schließlich auf dem Zenit seines Erfolgs angekommen. Palmers war allgegenwärtig, nicht nur an Frauenkörpern, sondern auch in den Kinderzimmern. 1996 startete auch die Vermarktung von Barbiepuppen. Sogar die Mattel-Schönheit war jetzt „Palmersverkäuferin“.

Die Werbekampagnen dieser Zeit erwiesen sich indes als Sammelbecken der auffällig posierenden weltweit gefeierten Supermodels: Man arbeitete mit Stars wie Naomi Campbell oder Cindy Crawford zusammen. „Mit unserer 100-Jahre-Palmers-Kampagne wollten wir an diese Zeiten wieder anknüpfen, deshalb standen neben Eva Padberg auch Tatjana Patitz und Nadine Wolfbeisser vor der Linse“, erklärt Ulla Fleischer.

Die zehn Gebote. In den 1930er-Jahren hingegen waren Supermodels noch kein Thema. Wäsche und Strümpfe fotografierte man ganz pragmatisch an den eigenen Mitarbeiterinnen ab und nahm diese Fotografien dann zur Vorlage für die gezeichneten Plakatillustrationen. Das „Vorher-Nachher“ lässt sich heute an den Schauwänden des Archivs beurteilen, Originalfoto und Illustration wurden hier gegenübergestellt. „Das Archiv bekommt immer wieder alte Fotos und andere Dinge von ehemaligen Mitarbeiterinnen geschenkt“, sagt die Archivverwalterin, „nur nach einer Sache bin ich noch auf der Suche: nach den zehn Palmers-Geboten.“ Diese Verhaltensrichtlinien für „die perfekte Palmersverkäuferin“ bleiben verschollen. Überliefert ist nur das erste Gebot: „Immer lächeln!“
Lächeln will Palmers auch über die Konkurrenz. Mit Innovationen und neuen Technologien versucht sich das Familienunternehmen von Mitbewerbern abzuheben. Neueste Errungenschaft ist ein Bikini, dessen Pads sich dank Nano-Technik nicht mehr mit Wasser vollsaugen. Vielleicht wird dieser ja eines Tages auch seinen Platz im feuerfesten Schrank des Palmers-Archivs finden, neben wertvollen Stücken wie dem „Millennium-Bra“ oder Originalstrümpfen von Kaiserin Sisi, die von Palmers vor ein paar Jahren ersteigert wurden, „um etwas Historisches zu haben“. Bis dahin wird wohl auch „Frau Ulli“ unermüdlich weiter auf Leitern steigen, sortieren, archivieren und mit ihrem Wissen über das Unternehmen die Firmengeschichte lebendig halte.

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