Designer: Ikonoklasten und Innovatoren

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Designer im Dienste großer Maisons: Manche arbeiten sich an ihren Vorgängern ab, andere respktieren das Erbe.

Der Meister der großen Inszenierung, einer der fantasievollsten Modemacher, das geliebte Enfant terrible auf dem Pariser Parkett ist wieder da: Eine Woge der Erleichterung dürfte die Bewunderer von John Galliano ergriffen haben, als vor ein paar Wochen bekannt wurde, dass Renzo Rosso ihn für das zu seinem Konzern gehörende Label Maison Martin Margiela verpflichtet hatte. Im Jänner 2015 wird Galliano seine erste Couture-Kollektion für Margiela über den Laufsteg schicken und bei dieser Gelegenheit wohl Interviews geben, in denen er sich voller Reue zeigen wird. Bald wird wohl endgültig Gras über die Episode gewachsen sein, die Galliano als volltrunkenen, Hitler-Parolen schwingenden Alkoholiker in einem mit Handykamera aufgenommenen Video zeigte und ihn seinen Posten als Dior-Designer kostete. 

Bei einem Auftritt im französischen Fernsehen, rechtzeitig zur Pariser Modewoche im September ausgestrahlt, sprach ein kaum wiederzuerkennender Galliano in die Kameras. Das Drücken auf den Reset-Knopf hatte offenbar rechtzeitig stattgefunden, er wirkte nicht nur geläutert, sondern auch ausgeglichen, erholt, gesundet. Wie er mit dem Druck, dem ein Kreativdirektor eines so wichtigen Labels wie  Margiela unweigerlich ausgesetzt ist, um-gehen kann, wird sich zeigen.

Antipoden. Auch jenseits aller Fragen, die Gallianos psychische Verfasstheit betreffen, ist seine Verpflichtung für das Maison Margiela eine überraschende Wahl. Margiela selbst hat sich ja, als er noch für die von ihm gegründete, 2002 in den Besitz von Rossos Konzern Only the Brave übergegangene Marke tätig war, jedem Personenkult verweigert. Er blieb stets im Hintergrund, es gibt so gut wie keine Fotos, und er war dafür berüchtigt, mit Journalisten nur per Fax zu kommunizieren. Was seine Mode betrifft, so stand Margiela für jene verkopfte Dekon-struktion, mit der er in den Achtzigerjahren sein Label gestartet hatte. 

John Galliano wieder siedelt sich am anderen Ende des Modespektrums an: Seine Defilees, besonders bei Dior, gehörten zum Pompösesten, das der Modezirkus zu bieten hatte. Galliano hat Mode inszeniert – und sich selbst gleich mit, auf eine Weise, die am Antipol zu Margielas Haltung beheimatet ist. Freilich, die Versuchung, sich ein so ungeheures Talent für eine seiner Marken zu sichern, dürfte für Rosso unwiderstehlich gewesen sein. Auch kann man annehmen, dass inmitten so vieler Designerrochaden, wie man sie in den letzten Saisonen gesehen hat, das Fehlen eines Kreativ-Zugpferdes bei Margiela auch aus Marketingsicht als kritisch empfunden wurde.

Ausgerechnet den (im besten Sinn, zumindest aus einer Perspektive des Modeschaffens) respektlosen Ikonoklasten Galliano zu inthronisieren, zeugt aber zumindest von Kühnheit. Was Martin Margiela selbst darüber denkt, der kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Label angeblich Haider Ackermann oder Raf Simons als Nachfolger gewinnen wollte, kann man nur ahnen.

Ein weiterer Designer, der sich wie Galliano wenig um Anstand und Vorgaben des guten Geschmacks schert und ähnlich verwegen agiert wie er, wurde vor zwei Saisonen damit beauftragt, das von Franco Moschino gegründete Label wieder auf der Mindmap von Fashionistas zu positionieren: Jeremy Scott werkt und wütet bei Moschino voll des Eifers, lässt ein Feuerwerk des Humorigen und der Ironie explodieren und entspricht damit zumindest dem Geist von Moschino, der in den Achtzigerjahren dafür bekannt wurde, dass er ohne Respektabstand die Ästhetik großer Mode-häuser persiflierte. Scott hat sich in seinen ersten Kollektionen mit Ikonen der Konsumkultur auseinandergesetzt und sie mit einer Dosis Logo-Manie, ausgeliehen bei Barbie, Sponge Bob und McDonald's, auf-geladen. 

Beengendes Erbe. Nicht eigentlich an dem Gründer des Modehauses, für das er als Kreativdirektor verpflichtet wurde, sondern an seinem Vorgänger in derselben Position arbeitet sich gerade der junge Amerikaner Alexander Wang ab: Die Arbeit von Nicolas Ghesquière, der Balenciaga
zu einer der begehrenswertesten Marken unter Avantgarde-Adepten gemacht hat, versucht Wang konsequent mit seiner New Yorker Casualness vergessen zu machen. Diese Haltung mag verständlich sein, warum auch einem Vorgänger und direkten Konkurrenten Reverenz erweisen? Ghesquière ging ja zu Louis Vuitton, trat also vom Kering- zum LVMH-Luxuskonzern über und nahm seine bei Balenciaga entwickelte Ästhetik weitestgehend mit. Auch Gesquière hält sich somit nicht mit Regungen des Respekts für Marc Jacobs’ Arbeit bei Louis Vuitton auf: Das erwartet aber von ihm wohl auch niemand, ebenso wenig wie übrigens von Wang bei Balenciaga.

Solang nur die Zahlen stimmen, lässt man Designern offenbar viele Freiheiten, auch bei Kerings wahrscheinlich wichtigster Luxusmarke Yves Saint Laurent – neuerdings Saint Laurent Paris, obwohl das Kreativstudio nach Los Angeles verlegt wurde – ist das so. Dort darf sich Hedi Slimane ausleben, wie es ihm beliebt: Dem Vernehmen nach steigen die Umsätze, sein jugendlicher Vintage-Vibe kommt auch bei etwas älteren, kaufkräftigen Kundinnen gut an. 

Ganz und gar nicht im Ruf, sich als Ikonoklast betätigen zu wollen, steht derweil Raf Simons: Er selbst wird seit den Neunzigerjahren als einer der maßgeblichsten Modeminimalisten gehandelt, als Nachfolger von Jil Sander hat er stets den Designansatz der zurückhaltenden Deutschen respektiert. Und das, obwohl er, wie er zuletzt in einem Interview mit dem „W Magazine“ bekannte, am Ende seiner Verpflichtung nicht mehr das Gefühl hatte, bei großer Treue zu den reduzierten Codes der Sander-Marke den Kontakt zur Gegenwart wahren zu können.

Bei Christian Dior, wo er seit einigen Saisonen äußerst wohlwollend aufgenommene Kollektionen vorlegt, kann Raf Simons auf eine breitere Möglichkeitenpalette zugreifen. Zum einen gibt es da die historische Dimension, die Dior-Archive und die Geschichten, die sich um Christian Dior selbst ranken. Zum anderen ist Dior vor fast fünfzig Jahren verstorben (übrigens nach nur elf Jahren an der Spitze seines eigenen Hauses), seitdem haben andere Designer sein Erbe fortgeführt und dabei unablässig variiert. Das eröffnet zahlreiche Herangehensweisen, und ein vielseitig interessierter Kreativer wie Raf Simons kann einiges ausprobieren, ohne als Ikonoklast zu gelten.

Alles im Fluss. Und genau darin besteht ja der Spagat, den Designer in historisch wichtigen Modehäusern schaffen müssen: Etwas für das aktuelle Modegeschehen Relevantes schaffen, ohne doch unter Missachtung wichtiger Charakteristika vorzugehen. Manchmal ist schon ein neuer Name Garant für einen erhofften Innovationsschub: Die erste Kollektion von Simons’ Nachfolger bei Jil Sander, Rodolfo Paglialunga, wurde etwa in Mailand mit Standing Ovations bedacht, auch wenn er die minimalistische Mode nicht neu erfunden hat. Gar zu große Treue zu seiner Vorgängerin wurde wohl zum Verhängnis von Marco Zanini bei dem von Diego della Valle wiederbelebten Couture-Haus von Elsa Schiaparelli: Seine verschachtelten, kostümigen, dem Esprit der Modesurrealistin und Dalí-Vertrauten entsprechenden Entwürfe waren eher sperrig, und della Valle zog nach nur zwei Saisonen die Notbremse, trennte sich von Zanini. 

Schließlich ist das mit den klingelnden Kassen in der Mode aber so eine Sache, die den Apologeten großer Designernamen nicht immer behagen dürfte: In der Phase, als John Gallianos Position bei Dior vakant war und noch ehe Raf Simons als sein Nachfolger berufen wurde, konnte die Modemarke nämlich ihre Umsätze kontinuierlich weitersteigern. Eine Zeit lang lässt es sich anscheinend auch in kreativen Cockpits auf Autopilot schalten. 

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