Luxuriöse Häuslichkeit: Der Schürzen-Index

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Wenn die Farbe des Kleides zu den Vorhängen passt, ist der Zweck manch aktueller Modekreation erfüllt? Ein Rundumblick in Dingen luxuriöser Häuslichkeit.

Vor ein paar Monaten im Grand Palais, unter dem Pariser Modehimmel: Vor den Augen des internationalen Modezirkus marschieren Models in taillenbetonten Kostümen, Jacken und Mänteln durch eine Kinder-Kaufladen-stilisierte Hypermarket-Szenerie. In der Hand halten sie adrette 3000-Euro-Handtäschchen, die aussehen wie etwas, das unsere Großmütter zum Aufbewahren ihrer Lockenwickler verwendet haben.

Es ist das Prêt-à-porter-Defilee von Chanel. In der Show von Rochas zu ungefähr demselben Zeitpunkt wiederum sieht man überlange, überweit geschnittene gelbe, orange und pinke Lederhandschuhe, als wären die Models zwischen Klo- und Badputzen schnell einmal in ein Abendkleid geschlüpft. Aus der Welt von Küche und Vorratskammer, Warenhausregal und Kinderzimmer, verspielte Designstücke auch bei Jeremy Scott und Anya Hindmarc. Man fühlt sich zurückversetzt in die Welt der 50er-Jahre, als Doris Day noch für Rock Hudson und seine Freunde Sandwiches schmierte, die aussahen wie Pokerkarten. In eine Zeit, als Andy Warhol und Co. aus den Alltagsgegenständen des amerikanischen Traums Kunst machten. Als die „Frauen von Stepford“ noch real existierende Vorstadt-Ehegattinnen waren, die in abbezahlten Eigenheimen wohnten und in benzinfressenden Riesenschlitten zum Supermarkt fuhren.

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Tiefe Sehnsüchte. Was will uns die Mode bloß damit sagen? Frauen, vergesst die Quote, vergesst die Karriere, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, vergesst halbe-halbe, lasst euch wieder zu Hausfrauen machen!? Oder: Die Gegenwart mit ihren unklaren Rollenmodellen, mit den aufgeweichten Grenzen zwischen Gut und Böse, Ost und West, Arbeit und Freizeit, Familie und Gesellschaft, ja sogar: zwischen Mann und Frau, ist uns zu kompliziert, wir wollen zurück in die Zeit, als die Welt noch in Ordnung war!? Spricht die Mode-Inszenierung etwas an, wonach wir uns alle im tiefsten Inneren (zurück-)sehnen?

Soziologen haben sich immer schon mit dem Zeichencharakter der Mode beschäftigt. Zeitströme scheinen von der Mode aufgenommen und verstärkt zu werden. So beobachtete man eine Verschiebung der Taille nach einem Krieg oder der Rocklänge nach einer Wirtschaftspleite. 1920 erfand George Taylor den Rocksaum-Index, der besagt, dass die Konjunktur mit der Rocklänge korreliere. In Boomzeiten, so meinte Taylor, tragen Frauen kürzere Röcke, und in Zeiten des Abschwungs werden die Röcke wieder länger. Der Minirock- Index ist noch immer fixer Bestandteil jedes Börsenberichterstattungs- Repertoires. Während Taylor noch vermutete, dass die Frauen bei Hochkonjunktur möglichst viel von ihren teuren Seidenstrümpfen zeigen und während der Rezession schamhaft verbergen wollen, dass sie sich diese nicht mehr leisten können, glauben andere an die sexuell freizügige Stimmung beider Geschlechter im einen und eine umfassende Unlust im anderen Fall. Manche gehen sogar soweit, dem Rocklängen- Index prophetische Macht zuzusprechen. Überprüft man den Minirock- Index allerdings in der Realität, ist er etwa so treffsicher wie ein Zuckersackerl- Horoskop oder die Prophezeiungen des Nostradamus. Also nicht sehr. Die Röcke wurden zum Beispiel schon 1927 wieder länger – zwei Jahre vor der Weltwirtschaftskrise. Während des Schwarzen Montags 1987, der die Börsen weltweit schwer erschütterte, trug man die Röcke ebenfalls kurz.

Und jetzt? Die Säume wandern von Jahr zu Jahr unbeirrbar nach oben, obwohl sich die Konjunktur bekanntlich kaum in diese Richtung bewegt. Die Börse war seit jeher sehr anfällig für Irrationalitäten. Man sucht Gewissheiten, wo es keine gibt. Die Mode wie die Astrologie liefern diese Gewissheiten scheinbar. Denn gemeinsam ist ihnen, dass sie offene Referenzräume sind. Jede und jeder kann darin sich finden – wenn er sich dort sucht.

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Mode als Stichwortgeberin. Aber gehen wir doch noch einmal zurück zur Pariser Fashion Week 2014 und dem Chanel’schen Supermarkt- Defilee. Setzen wir uns in die erste Reihe, möglichst nahe zu den Celebrities, dorthin, wo ein Kameraauge auf uns gerichtet ist und wo wir auf YouTube beobachtet werden. Und was fällt uns da auf? Dass wir auffallen! Auffallen(-Wollen) ist das, was alle miteinander verbindet. Modeproduzenten wie Modekonsumentinnen, Medienmacherinnen wie Modeschau-Macherinnen. Die Frauen wollen sich durch Mode abheben, und die Mode will sich durch die Präsentation der Mode abheben. Und das ist schließlich keine so leichte Aufgabe. In einer Zeit, in der jegliche Provokation schon einmal da war: Gasmasken, Schleier, Waffen, Roboter, Babys. Was, wenn die Chanel- und Rochas-Models nur deshalb wie Heimchen am Herd ausstaffiert werden, weil „die Farbe so gut zu den Vorhängen passt“?

Die Mode bezieht sich auf die Gesellschaft, die Politik, die Kunst. Aber vor allem als Stichwortgeberin. Sie lässt sich nicht festnageln, nicht vor den Karren spannen und nicht berechnen. Sie mag das Verspielte, Spontane, Unscharfe. Einmal nimmt sie Stellung, einmal tut sie nur so. Das einzig Konstante der Mode ist, dass sie immer in Bewegung ist. Im Übrigen kann man sich bereits auf die Fashion Week 2015 freuen. Da gibt es vielleicht kunstvoll gestopfte Strümpfe und Mini-Kleiderschürzen aus Perlon. Natürlich nur, wenn die Konjunktur steigt.

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