Flechtsport: Bottega Veneta

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Handwerkskunst als Programm: Ein Besuch in den Werkstätten von Bottega Veneta.

Vom Bahnhof in Vicenza bis zum Atelier von Bottega Veneta sind es knapp 20  Minuten mit dem Auto. Schnell entfernt man sich vom Zentrum, für das der Renaissancearchitekt Andrea Palladio einige seiner schönsten Bauten entworfen und der Stadt einen ewigen Platz unter den Kunststädten gesichert hat. Zunächst ist die Umgebung weniger umwerfend, wie in den meisten Industriegebieten, eher grau und nüchtern. Doch dann fährt der Wagen durch ein großes elektrisches Eisentor, und plötzlich findet man sich in einem wunderschönen Garten wieder. In seiner Mitte: eine herrschaftliche Villa aus dem 19. Jahrhundert, mit dem typischen Palladio-Portikus. Die Autobahn ist zwar nicht allzu weit entfernt, doch der Besucher hat gleich das Gefühl, von einer grünen Oase umgeben zu sein. Einer Oase, in der sich Kreativität und Kunstfertigkeit ganz von selbst entfalten.

Hier nämlich, in dieser Villa in Montebello, nehmen auch die gewagtesten Entwürfe greifbare Form an. Im Herzen des Werkstätten-Trakts flicht eine Mitarbeiterin flink und geschickt aus dunkelbraunen Lederstreifen elf gleich große Dreiecke. Das Ganze passiert ohne jegliche Schiene, Schablone, nur eine Haarspange hält die erste Flechtzeile zusammen, und ein Bastband zeigt die Diagonale an. Möglich wird das durch langjährige Erfahrung und eine bewundernswerte innere Ruhe. Denn ganze zwei Arbeitstage erfordert das Flechten von den zwei Taschenteilen, meistens im Stehen und von derselben Hand, damit alle Lederriemen auch wirklich gleich stark gestrafft sind.

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Understatement ohne Logo. Das Unternehmen Bottega Veneta wurde 1966 in Vicenza, 75 Kilometer nordöstlich von Venedig, gegründet. In einer Region, in der man sich seit Jahrhunderten auf die kunstfertige Verarbeitung von Leder versteht. Erfahrene Handwerker zu finden war deshalb nicht schwer, und die Lederaccessoires mit dem BV-Logo erlangten schnell den Rang von Kultobjekten. Mitverantwortlich für den Erfolg war die Technik des „Intrecciato“, des Ledergeflechts, das bald zum Markenzeichen wurde. Die Flechttechnik erlangte unter Tomas Maier, dem seit 2001 amtierenden Kreativdirektor, mit der von ihm entworfenen Cabat-Tasche eine meisterliche Übersetzung in die Sprache des Designs. Ja, so unverkennbar ist das Bottega-Veneta-Intrecciato, dass heute kein Logo mehr die Tasche ziert.

Wie Handwerkstradition und fortschrittliche Technologie zueinanderfinden, zeigt sich bei einem Lokalaugenschein in Montebello Vicentino: In diesem Ort bei Vincenza wurde 2013 das neue Atelier für Modellprototypen und Limited-Edition-Taschen eingeweiht. Übrigens ist bereits der Markenname als Programm angelegt: Schließlich heißt „bottega“ wörtlich Werkstatt und ruft so die Erinnerung an die „Botteghe“ der Renaissance wach, wo Künstler und Handwerker ihre Meisterstücke herstellten. Beim Eintreten in das Atelier muss man sich aber schnell von jeder allzu romantischen Erwartung verabschieden. Natürlich sieht man Leder jeglicher Art, vom Kalbsleder bis hin zu den unter Verschluss gehaltenen Kroko- und Schlangenledern. Wenige Schritte weiter setzen Männer handbeschriebene Schnittmuster aus Karton, wie ein Puzzlespiel, zu einer Tasche zusammen. Dennoch erinnert diese Bottega alles in allem an ein Labor, in dem die Werktätigen in blütenweißen Kitteln ihre Arbeit geräuschlos verrichten.

Hightech und Handwerk. Die Bottega hat sich unseren technologischen Zeiten angepasst. War es einst die Erfahrung des Meisters, die Form und Funktion in Einklang brachte, ist es heute der Computer. Nähte sind bei der Cabat überhaupt nicht erwünscht, abgesehen von den angebrachten Trägern. Genau so will es Meister Maier, der zwar abwesend ist, im Geiste aber über diese Bottega wacht.

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Die Zeichnung eines neuen Modells wird etwa am Computer in eine CAD-Zeichnung und in mathematische Formeln verwandelt. Griff, Weichheit, Spannkraft des Leders können anhand der vorgegebenen Form berechnet und dann auf das Entwurfmuster angewendet werden. Bei der zur Gänze geflochtenen Cabat kommt man so auf 77 Lederstreifen, die zur Herstellung erforderlich sind. Während all die neuen Technologien zwar ein wichtiges Instrument sind, können sie doch die Kunstfertigkeit der Handwerker nicht ersetzen. Ohne diese Experten, die freilich in einem Artikel nicht zu Wort kommen dürfen – so will es die Kommunikationsrichtlinie der Marke – gäbe es die Meisterstücke nicht, die im kleinen Museum im ersten Stock der Villa ausgestellt sind.

Sorge um Nachwuchs. Seit jeher gründet der Ruhm des „Made in Italy“ in der Luxusbranche in der Weitergabe tradierten Fachwissens. Vielerorts wurde dieses Erbe aber in den vergangenen Jahren zuweilen vernachlässigt. Doch bei Bottega Veneta wurde in Montebello mittlerweile eine eigene „Scuola dei maestri pellettieri“, eine Handwerkerschule, eingerichtet. Das Klassenzimmer befindet sich in einem großen, von Licht durchfluteten Raum, wo die angehenden Handwerker erste Schnitt- und Flechtversuche machen. Für die Theorie kommen Lehrer von auswärts, die Praxis wird aber von den hauseigenen Meistern gelehrt. Und da es im Veneto keine weiteren Lehranstalten für die Lederverarbeitung gibt, schult man hier nicht nur den eigenen Nachwuchs. Auch Studenten der Università della Moda aus Venedig erlernen hier die Grundlagen der Lederverarbeitung. Drei Jahre dauert der komplette Studiengang, es werden aber auch spezifische Kurse angeboten: wie man Leder schneidet, näht oder flicht. Diese dauern nur drei Monate. Wer den ganzen Studiengang absolviert, besitzt am Ende das Know-how, um ein einfaches Taschenmodell herzustellen. Bis er sich aber an eine Cabat machen darf, braucht es noch viel Zeit, Übung und Hingabe.

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