Patrick-Louis Vuitton: „Nur ein gelernter Koffermacher“

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Wenn Ästheten des Reisens ihren Kaffee in der Wüste trinken wollen, sind sie bei Patrick-Louis Vuitton gut aufgehoben.

Louis, Georges, Gaston-Louis, Joséphine – die Vornamen jener Familienmitglieder, die die Geschicke der Dynastie Vuitton in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten maßgeblich prägten, kann die beflissene Mitarbeiterin im Zeitraffertempo aufsagen. Sämtliche Generationssprünge meistert sie auf das Eleganteste; maßgebliche Innovationen, die auf den einen oder anderen zurückgehen, werden prompt mitgeliefert und kurz erklärt. Und das, während der Besucher an ihrer Seite durch den gepflegten Garten einer Villa in der Rue Louis Vuitton (bien sûr!) im Pariser Vorort Asnières schreitet.

Ein ganz klein wenig könnte man sich hier fühlen wie in dem gallischen Dorf bei Asterix: ein kleines Eiland, den Entwicklungen seiner Zeit nahezu enthoben. Schließlich ist die Marke Louis Vuitton das Flaggschiff des größten Luxusartikelkonglomerats der Welt, Kernstück eines weltumspannenden Imperiums, in dem es um das Gediegene und Edle ebenso geht wie um gewiefte Wachstumsstrategien für neue Märkte in Fernost. Die Villa mit Art-déco-Glasscheiben, bis in die Sechzigerjahre Wohnhaus der Familie Vuitton, macht sich da beinahe als ein putziger Anachronismus aus.

„Als ich vor vierzig Jahren auf Wunsch meiner Großmutter Joséphine im Familienunternehmen zu arbeiten begann und das Handwerk des Koffermachers lernte, waren das ganz andere Zeiten. Der Name meiner Familie war noch nicht auf der ganzen Welt bekannt“, erzählt Patrick-Louis Vuitton im Wohnzimmer des einstigen Familiensitzes – sozusagen in der Zeitkapsel: „Wenn man sich heute umsieht, gibt es ja kaum mehr Menschen, die die Namen bekannter Luxusmarken tragen und selbst in der Lage sind, die Objekte herzustellen, für die ihre Familie bekannt wurde. Das ist doch schade.“

Ein Koffer aus 1001 Nacht. Patrick-Louis Vuitton hingegen, Angehöriger der fünften Generation seit Firmengründung (die sechste Generation ist auch schon am Werk: zwei seiner Söhne sind in das Unternehmen eingetreten), hat von der Pike auf das Handwerk gelernt. Entsprechend großen Wert legt er auf die Qualität der Erzeugnisse, die den Namen seines Ururgroßvaters tragen. „Wenn man mich nach meiner Berufsbezeichnung fragte, habe ich nie ,Verantwortlicher für Spezialanfertigungen‘ gesagt oder ,Betriebsstättenleiter‘. Ich bin nur ein gelernter Koffermacher – ein ,malletier‘ –, wie es auch mein Vater, mein Großvater und ihre Väter gewesen sind.“

Darum erfüllt es Monsieur Vuitton bei einer Begehung der Werkstättenräumlichkeiten auch mit Stolz zu wissen, „dass ich selbst jedes einzelne dieser Modelle selbst anfertigen könnte. Ob ich Vuitton heiße oder nicht, ist dafür nicht bedeutsam.“ Selbst wenn seit Ende der Achtzigerjahre die Familie keine Rolle mehr in der Führung des LVMH-Konzerns spielt, ist Herr Vuitton doch ein wichtiger Botschafter: Er reist um die Welt zu anspruchsvollen Kunden des Hauses – übrigens nennt er sie „esthètes du voyage“, Ästheten des Reisens –, die sich für ihre Lieblingsobjekte maßgeschneiderte Gepäckstücke anfertigen lassen möchten. „Der Ausgangspunkt ist immer der Gegenstand, der eingepackt werden soll. Darum komme ich zu meinen Kunden mit einem weißen Blatt Papier, einem Bleistift und einem Maßband. Wenn ich abreise, gibt es eine Skizze, die Materialauswahl wurde getroffen, Details wie die Verschlussart sind besprochen worden.“

Im Lauf der Jahre hat Herr Vuitton logischerweise schon einige Kuriositäten erlebt, viele gefinkelte Spezialaufträge zum Abschluss gebracht. „Ça ne va pas“ gibt es dabei so gut wie nie – außer, wenn sich jemand einen Koffer für den Transport eines Tieres anfertigen lassen will. Das lehnt der Tierfreund Patrick-Louis Vuitton strikt ab. „Ich befördere keine Tiere, und ich habe auch Nein gesagt, als man mich aufforderte, einen Koffer für den Transport von Schlangen oder Vögeln anzufertigen.“

Darüber hinaus sind den Launen der Kunden aber kaum Grenzen gesetzt. Manchmal erinnern die einlangenden Arbeitsaufträge gar an die Missionen von Märchenhelden: „Ein Kunde wünschte sich von mir einen Koffer, der es ihm erlauben sollte, jederzeit überall auf der Welt fernsehen zu können und dabei mit fünf Menschen Kaffee zu trinken.“

Ohne nachzufragen, warum genau dies notwendig sei (das tut Patrick-Louis Vuitton selbstverständlich nie), machte er sich an die Arbeit und konstruierte einen Koffer „mit zwei eingebauten Bildschirmen: einen mit Fernsehempfänger, einen mit DVD-Spieler. Außerdem eine Kaffeemaschine, fünf Tassen und Untertassen, alles nötige Zubehör, eine Batterie und Solarpaneele, damit man auch in der Wüste die Geräte aufladen kann.“

Was für den unbetroffenen Betrachter an dieser Stelle nicht nur kurios anmuten mag, sondern sogar fast entbehrlich, ist für den Auftraggeber von Patrick-Louis Vuitton offenbar eine unbedingte Notwendigkeit. Ein schönes Beispiel eigentlich, um wieder einmal unterstreichen zu können: Alles ist relativ, auch das Verständnis von Luxus.

Der Autor reiste auf Einladung von Louis Vuitton nach Paris.

Gepäckverwahrung

Angrenzend an jenes Haus, das die Familie Vuitton bis in die 1960er-Jahre bewohnte, sind auch heute noch Werkstätten untergebracht. Den besonderen Esprit dieser Räume soll jetzt auch eine eigens eingerichtete Galerie erfahrbar machen. Die Kostümkundlerin Judith Clark wählte aus dem umfassenden Archiv des Hauses (165.000 Dokumente, 23.000 Objekte) die markantesten Exponate für eine Ausstellungsanordnung aus. Nach Voranmeldung beim Kundenservice von Louis Vuitton ist diese ab sofort für Besucher zugänglich. Der Service ist telefonisch in Österreich unter +43/(0)1/533 61 51 erreichbar.

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