Die Mode und ihr leerer Thron

Hedi Slimane arbeitet nicht mehr für Yves Saint Laurent
Hedi Slimane arbeitet nicht mehr für Yves Saint LaurentImago
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Dass die Mode in einer Krise steckt, zeigen die Personalrochaden und Rücktrittserklärungen der vergangenen Monate.

Das Modesystem steckt in einer tiefen Sinnkrise. Bei den Umbrüchen in den großen Luxusmodehäusern blieb in den vergangenen Monaten kein Stein auf dem anderen – die Eilmeldungen überschlugen sich zum Teil. Ja, das große Stühlerücken scheint kein Ende zu nehmen, und die Nachrichten über unerwartete Rücktritte und überraschende Neubesetzungen dominieren seit Monaten die Berichterstattung. Dass freilich die Chefdesigner von Modelabels regelmäßig ausgewechselt werden, ist in dem unerbittlichen Saisongeschäft der Mode keine Ausnahme. Die zahlreichen Rochaden und freiwilligen Abschiede der vergangenen Monate lassen aber doch darauf schließen, dass man sich auf den höchsten Hierarchieebenen gerade Gedanken über Prioritäten, Erwartungen und Rollenanforderungen macht. Als das Maison Balenciaga etwa vorigen Juli mitteilte, dass man den Vertrag des dort wenig ruhmreichen Alexander Wang nicht erneuern werde, wirkte der Designer fast erleichtert. Im Oktober lief der quirlige Amerikaner nahezu frohen Mutes für eine letzte Runde Applaus über den Laufsteg.

Gerüchte und Rochaden. Raf Simons wieder, der konzeptuelle Belgier, der seit 2012 die Damenkollektionen von Dior entworfen hatte, verkündete Ende Oktober seinen Rücktritt mit der Begründung, dass er sich verstärkt auf seine eigene Marke und private Interessen konzentrieren wolle. Wenige Tage später trat Alber Elbaz, der in seinen 14 Jahren als Chefdesigner bei Lanvin der altehrwürdigen Marke zu neuem Prestige verholfen hatte, infolge eines unschönen Machtstreits mit dem taiwanesischen Firmeneigentümer von seinem Posten zurück. Seit wenigen Wochen kennt man seine Nachfolgerin: Bouchra Jarrar, erst seit 2010 Designerin ihres eigenen Labels, wird nun ihre Vision für Lanvin umsetzen.

Alessandro Michele stieg bei Gucci intern auf.
Alessandro Michele stieg bei Gucci intern auf. (c) REUTERS (STEFANO RELLANDINI)

Wo so viel passiert, brodelt es auch in der Gerüchteküche: Im Jänner meinten manche über das Aus von Phoebe Philo bei Céline Bescheid zu wissen – bislang ist es nicht dazu gekommen. In sozialen Medien wurde Jonathan Saunders als Nachfolger von Raf Simons bei Dior gefeiert – eine Bestätigung dieser Information steht aus. Simons selbst wurde kurzfristig als Nachfolger von Francisco Costa an der Spitze von Calvin Klein gehandelt – man wird sehen. Bewahrheitet hat sich indessen das Gerücht, dass Hedi Slimane seine Tätigkeit für Yves Saint Laurent beenden würde. Als sein Nachfolger wurde umgehend Anthony Vaccarello bekannt gegeben. Auch in Mailand ertönte ein Paukenschlag: Ennio Capasa, Kreativdirektor des 1986 von ihm und seinem Bruder Carlo gegründeten Labels Costume National, verkündete Mitte März den Rücktritt der Capasas als Folge des Verkaufs aller Firmenanteile an die japanische Investmentfirma Sequedge.

Neue Modelle. Neben diesen Personalrochaden ereignen sich unterhalb der Oberfläche des High-Fashion-Systems geradezu tektonische Plattenverschiebungen. Als solche ist die Ankündigung von Burberry-Kreativdirektor und CEO, Christopher Bailey, Anfang Februar zu deuten, fortan die gesamte Kollektion binnen weniger Stunden nach der Modenschau zu verkaufen (statt wie üblich erst vier bis sechs Monate später) und den Schauenplan entsprechend umzukrempeln. Die mediale Aufmerksamkeit für die Show soll sofort als Verkaufsbooster genützt werden. Umgehend ließen Tom Ford, Proenza Schouler und Tommy Hilfiger wissen, dass sie diesem Beispiel folgen würden. Andere Marken – primär in New York und London – werden nachziehen, wenngleich auch jene, die am bewährten Kalender festhalten wollen, offen für Veränderungen sind: Gucci gab bekannt, die Damen- und Herrenkollektionen fortan gemeinsam zeigen zu wollen, jedoch mit der üblichen saisonalen Verschiebung.

Der Druck, auf einem globalisierten, rasanten und sich rasch verjüngenden Markt zu bestehen, zwingt den Luxusmodesektor im Moment zum Nachdenken und Neuordnen. Die Rezession auf den Wachstumsmärkten Russland und Brasilien sowie das langsamere Wirtschaftswachstum in China drohen zudem den Optimismus einer Branche zu bremsen, die sich gerade erst von den Strapazen der rezessionsgebeutelten Jahre erholt hat. Auch die Kritik an der Übersättigung des Modemarktes und seinen ausbeuterischen, umweltschädlichen Arbeits- und Produktionsbedingungen, nicht nur bei den Billigmarken, erreicht längst auch das Luxussegment.

Olivier Rousteing ist der Mastermind von Balmain.
Olivier Rousteing ist der Mastermind von Balmain. (c) APA/AFP/FRANCOIS GUILLOT

Eile mit Weile. Eine Reaktion auf dieses sich verändernde Klima ist die von Burberry angestrebte Revision und Verkürzung des Produktions- und Vertriebszyklus. Es bleibt allerdings fraglich, ob die geplante Neuerung, die auf eine Anpassung an die Marktmechanismen von Fast-Fashion-Unternehmen hinausläuft, letztlich die gewünschten Früchte tragen wird. Die Pulitzer-Preisträgerin und Modekritikerin der „Washington Post“, Robin Givhan, bezweifelt, dass die sofortige Verfügbarkeit Verkaufszahlen ankurbeln kann, und bemerkt trocken, dass Kundinnen „sehr wohl dazu bereit sind, sechs Monate auf eine phänomenale Kollektion zu warten“.

Die farbenfrohen, eklektischen Kollektionen, die der gebürtige Römer Alessandro Michele seit einigen Saisonen für Gucci entwirft, vergisst man zum Beispiel nicht so leicht. Der im Dezember 2014 zum Creative Director ernannte 44-jährige Designer feiert bei Gucci mit seiner neuen Vision für das florentinische Traditionsunternehmen Erfolge und gewann 2015 den Preis als besten Designer des Jahres des British Fashion Council. Unterstützt wurde Micheles interne Nachbesetzung – er hatte zuvor unter Frida Giannini Accessoires entworfen – von Marco Bizzarri, dem neuen CEO von Gucci. Gemeinsam wollen die beiden der Marke neue Kohärenz in sämtlichen modischen und medialen Kanälen verschaffen und die stagnierenden Verkaufszahlen ankurbeln.

Und fast sieht es so aus, als hätte der Hype um Gucci eine Trendwende eingeführt und als seien manche Manager nun wieder bereit, Risken einzugehen und in Nachwuchstalente für die Führung von großen Häusern zu investieren. Ob sich der Erfolg von Gucci und Balmain (bei dem der damals 25-jährige Olivier Rousteing 2011 die Nachfolge von Christophe Decarnin angetreten ist) auch bei Balenciaga wiederholen lässt, wird man sehen. Mit dem Deutsch-Georgier Demna Gvasalia wurde dort ein weitgehend unbekannter Designer engagiert, der in den vergangenen Saisonen als Mitglied des in Paris umschwärmten Modekollektivs Vetements für Furore sorgte.

Bouchra Jarrar soll nun Lanvin revitalisieren.
Bouchra Jarrar soll nun Lanvin revitalisieren. (c) REUTERS (GONZALO FUENTES)

Zu große Erwartungen? Angesichts des Rücktritts von Raf Simons stellen sich manche Beobachter die Frage, ob das Selbstverständnis von talentierten Kreativen wie etwa Haider Ackermann und Christopher Kane überhaupt mit dem Anforderungsprofil für die kreative Leitung eines globalen Luxus-Powerhouse vereinbar ist. Bridget Foley, erfahrene Modekritikerin für das Branchenblatt „Women’s Wear Daily“, sprach bereits nach dem Rücktritt von Alber Elbaz in einem Blogeintrag den hohen Erwartungsdruck an, dem Designer heute ausgesetzt sind.

Einerseits wird von ihnen verlangt, die permanent scrollende und klickende Kundschaft auf Instagram, Facebook, YouTube, Snapchat und Twitter bei Laune zu halten, ohne dabei wegen Banalität kritisiert zu werden. Andererseits „müssen und wollen sich die Megabrands auch vor einer Implosion schützen“, so Foley, „nicht zuletzt der ihrer wichtigsten Angestellten“ auf der kreativen Leitungsebene, weshalb sie auf Celebrity-Testimonials setzen und vielfältige Marketing-Tools, die im Notfall von einem leeren Thron an der Spitze der Marke ablenken.

Warum soll man sich also als Designer diesem Druck aussetzen, wenn es auch anders geht? Schließlich gibt es äußerst erfolgreiche Einzelkämpfer wie Tom Ford, Rick Owens, Haider Ackermann und Dries van Noten, die seit Jahren konsequent an der Etablierung ihrer eigenen Marke arbeiten und dabei nicht nur ihre kreative Integrität und künstlerische Freiheit bewahren, sondern auch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit. Möglicherweise sind diese Designer würdige Anwärter auf die Nachfolge der großen Créateurs des 20. Jahrhunderts. Ihr Verdienst liegt darin, die Zukunft der Mode zu sichern, indem sie die zunehmend von Managern und Börsentrends diktierten Spielregeln des Modesystems infrage stellen und zeigen, dass es auch immer schon anders gegangen ist.

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