Dell’Orefice: Die Sieben-Millionen-Dollar-Frau

Zeitlose Eleganz. Carmen Dell’Orefice ist Star der aktuellen Airfield-Kampagne.
Zeitlose Eleganz. Carmen Dell’Orefice ist Star der aktuellen Airfield-Kampagne.(c) Beigestellt
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Besser im Geschäft denn je – und das nach 70 Arbeitsjahren: Carmen Dell’Orefice ist nicht nur in der Modewelt eine absolute Ausnahmeerscheinung.

Ehe es zu irgendwelchen Missverständnissen hinsichtlich des Privatvermögens von Carmen Dell’Orefice kommt: Die Überschrift steht in keinerlei Verbindung zum angenommenen Kontostand der New Yorker Stilikone. Vielmehr handelt es sich um den deutschen Titel der US-Fernsehserie „The Bionic Woman“ aus den späten Siebzigerjahren. Daraus, dass sie sich dem einen oder anderen operativen Eingriff unterzogen hat, macht Carmen Dell’Orefice nämlich kein Geheimnis – erneuert wurden im Lauf der Jahre auch so elementare Körperbausteine wie Hüfte oder Knie. „Ich bin wie die ,Bionic Woman‘, wissen Sie. Und ich habe mir all das nicht angetan, um nicht mindestens hundert Jahre alt zu werden. Ich liebe das Leben, ich fühle mich gesund, ich fühle mich lebendig. Also sehe ich gar nicht ein, warum ich nicht mindestens ein volles Jahrhundert erleben sollte.“

Stilikonen. Die Österreicherin Iris Strubegger, erblondet, posiert mit Dell’Orefice.
Stilikonen. Die Österreicherin Iris Strubegger, erblondet, posiert mit Dell’Orefice.(c) Beigestellt

Die Kate Moss der Vierzigerjahre. Nun ist es ja nicht eben schicklich, ausdrücklich auf das Alter einer Dame hinzuweisen. In der Modebranche grenzt es aber bekanntermaßen schon an ein Wunder, wenn Frauen jenseits der 40 für Kampagnenshootings gebucht oder gar auf den Laufsteg geholt werden. So verwundert es wenig, dass auch im Fall von Carmen Dell’Orefice kein Beitrag ohne Hinweis auf die beeindruckende Dauer ihrer Karriere auskommt – welches Model kann schon nonchalant „meine 70 Arbeitsjahre“ ins Treffen führen? Tatsächlich wurde Carmen Dell’Orefice bereits Mitte der 1940er-Jahre erstmals für die amerikanische Vogue abgelichtet, ihr erstes Cover fotografierte Erwin Blumenfeld. „Eigentlich war ein Society-Girl für die Titelseite vorgesehen, aber Blumenfeld bestand darauf, dass man mich zeigen sollte.“ Überhaupt, erzählt das Mannequin am Rande eines Fotoshootings für die österreichische Modemarke Airfield, sei zu Beginn ihrer Karriere noch alles ganz anders gewesen. Das Berufsbild des Stylisten gab es damals noch nicht, als geschmacksbildende Instanzen werkten und wirkten auch in den Fotostudios Redakteurinnen wie Eleanor Scully Montgomery oder Diana Vreeland, die selbst Teil der gehobenen Gesellschaft waren und sich selbst als Stilideale empfanden. Eine Demokratisierung, wenn man so will, fand erst nach und nach statt.

„Mit den neuen Zeiten kam aber auch die Nachfrage nach einem anderen Frauenbild auf: Blond, blauäugig, prall und gesund sollten Amerikanerinnen aussehen – das war so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was ich darstellte. Ich war eigentlich eine Ausnahmeerscheinung“, hält sie fest. Der „New York Times“ vertraute sie in einem Artikel, der anlässlich ihres 70. Geburtstages erschien, sogar an, sie sei die Kate Moss ihrer Zeit gewesen. Diesen runden Geburtstag feierte sie übrigens kurz vor den Anschlägen auf das World Trade Center – eine Katastrophe, die sie nicht minder mitnahm als der schicksalsschwere Tag, an dem sich Bernie Madoff als Veruntreuer zahlreicher Privatvermögen herausstellte. Madoff, ein enger Freund von Dell’Orefice, hatte auch ihre Ersparnisse verzockt, und so musste sie von Neuem intensiv in ihr Berufsleben einsteigen. „Das war ein Schock, aber ich ließ die Branche wissen, dass ich wieder arbeiten muss“, erzählt sie. Dass sie nicht in privilegierten Verhältnissen, sondern unter finanziell widrigen Umständen aufwuchs, habe schon früh ihre Persönlichkeit geprägt und machte sich auch da wieder bezahlt, meint Dell’Orefice, die als Teenager auf Rollschuhen durch Manhattan zu Shooting-Terminen fuhr.

Superfrauen. Für Airfield wurde Dell’Orefice mit zwei anderen Models fotografiert.
Superfrauen. Für Airfield wurde Dell’Orefice mit zwei anderen Models fotografiert.(c) Beigestellt

„Ich sage häufig, dass ich meinen ersten Tod erlebte, als ich im Alter von 13 Jahren wegen einer langwierigen Krankheit aufhören musste zu tanzen.“ Dass sie wenig später von der Modewelt entdeckt wurde, erwies sich indessen als glückliche Fügung. Der Tanz begleitet sie freilich bis heute. „Einer meiner liebsten Ballettschritte ist der Balancé, er lässt sich auch gut auf das Leben übertragen: nicht statisch sein, nicht erstarren, gerade die richtige Art und Intensität der Bewegung finden, um durchs Leben zu schlittern – so elegant wie möglich.“

Mentoren und Modegeschichte. Carmen Dell’Orefice ist abgesehen von allem anderen eine Zeitzeugin, die die Modegeschichte in der immer rasanter verlaufenden zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begleitete. Die Namen der Fotografen, mit denen sie arbeitete und die sie als ihre Mentoren nennt – neben Blumenfeld etwa Avedon, Horst P. Horst, Alexander Liberman –, sind ebenso bekannt wie jener einer langjährigen Vertrauten und Freundin, der Agenturgründerin Eileen Ford. „1947 nahmen Eileen und ihr Mann mich in ihre Agentur auf, und sie waren alles für mich: Matriarchin, Patriarch, Mutter und Vater und meine besten Freunde.“ Dass sie freilich – ein Detail, das immer wieder in Artikeln auftaucht – irgendwann zwischendurch die Agentur verlassen oder zu modeln aufgehört habe, sei schlichtweg falsch, betont Carmen Dell’Orefice. „Ich war manchmal sichtbarer, manchmal weniger sichtbar – aber ich habe immer gearbeitet“, betont sie.

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So viele Magazincover wie in ihrer aktuellen Karrierephase, die nach dem Madoff-Skandal begann, habe sie in den Jahrzehnten zuvor nicht gehabt. „Jeder bekommt früher oder später das Gesicht, das er verdient. Ich habe mich im Lauf der Jahre immer wieder verändert, mein Aussehen hat sich verändert, und ich habe mich in meiner Arbeit an die Gegebenheiten angepasst.“ Dass sie sich heute freilich nicht mehr auf jeden Irrsinn der Modewelt einlassen muss und von ihr nicht erwartet wird, zigtausende Follower auf Instagram oder Snapchat zu versammeln, um gebucht zu werden, freut Carmen Dell’Orefice. „Das ist eine schreckliche Welt, für mich wäre es ganz unmöglich gewesen, daran teilzunehmen. Die Mädchen heute denken oft, dass sie keine andere Wahl hätten, und so muss jede von ihnen für sich herausfinden, wie sie damit umgeht, wie sie Spaß damit haben kann – und zwar bestenfalls 70 Jahre lang.“

Eine Reise zum Interviewtermin in München erfolgte auf Einladung von Airfield.

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