Hüte: Kopfgeburten

Girardi. Hüte wie diesen zeigt das Wien-Museum noch bis Ende Oktober.
Girardi. Hüte wie diesen zeigt das Wien-Museum noch bis Ende Oktober.(c) Beigestellt
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Die Schau „Chapeau“ im Wien Museum versammelt interessante Positionen zum Thema Hut. In unrühmlichem Licht erstrahlt die berühmte Wiener Modistin Adele List.

Geschichte von unten erzählen, das heißt auch, die Vorkommnisse aus einer ungewohnten Perspektive betrachten. Insofern erweist sich die Ausstellung „Chapeau – eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes“ im Wien Museum als ein Von-unten-Narrativ, wenngleich – das ist dem hauptsächlichen Ausstellungsgegenstand geschuldet – in einer Von-oben-von unten-Variante. Denn der Hut, als politische Kopfbedeckung, in seinen für verschiedene Weltreligionen relevanten Ausprägungen, als Begleiter in die Migration etc., steht im Mittelpunkt. Um eine Modeausstellung im engeren Sinn, unterstreicht Regina Karner, Leiterin der Kostümsammlung des Museums, handle es sich ohnehin nicht: „Eher geht es hier um politische Geschichte auf dem Kopf“, fasst sie zusammen. Freilich, im letzten Kapitel der Schau werden Positionen versammelt, die – etwa die neueren Kreationen von Traditionsunternehmen wie Habig oder Mühlbauer, beziehungsweise Entwürfe junger Modisten aus der Modeschule Hetzendorf – auch als Kreativkonstrukte beeindrucken. Das Berührende und Aufrüttelnde an dieser Schau sind aber die Geschichten, die sich um die Kopfbedeckungen ranken – Geschichten und, im allerengsten Sinn, Geschichte.

Tradition. Mühlbauer und Habig gehören zu den bis heute aktiven Hutspezialisten.
Tradition. Mühlbauer und Habig gehören zu den bis heute aktiven Hutspezialisten.(c) Beigestellt

Aus dem Archiv. Während die facettenreiche Ausstellung, kuratiert von Michaela Feurstein-Prasser und Barbara Staudinger, vielerorts nachdenklich stimmt oder schmunzeln lässt, fördert sie auch für die österreichische Modegeschichtsschreibung Neues zutage: Über zwei bekannte Hutmacherunternehmen wird nämlich herausgearbeitet, dass und wie sie als Profiteure des Nationalsozialismus agieren konnten. Bei dem einen handelt es sich um den von Käthe Niernsee geleiteten Hutsalon Roberta; bei dem anderen um die oft gerühmte, neben Fred Adlmüller und Gertrud Höchsmann als dritte große Vertreterin heimischen Modeschaffens in dieser Zeit geltende Wiener Modistin Adele List.

„Mein Ansatz war, Geschichte durch Mode zu erzählen“, so Barbara Staudinger, „denn Mode ist immer politisch, und Kopfbedeckungen vereinen mehrere Identitäten.“ Bei Adele List habe sie die Tatsache stutzig gemacht, dass die Modistin akkurat in den Vierzigerjahren ihre Karriere begann. „Das hat mich gewundert, also habe ich einen Blick in das Wiener Stadt- und Landesarchiv geworfen.“ Zwar habe sich kein Schreiben gefunden, in dem Adele List eine etwaige NSDAP-Mitgliedschaft herausstreicht oder auf ihre besondere Förderung der nationalsozialistischen Causa hinweist (anders als im Fall von Käthe Niernsee – ihr Antragsschreiben für die Arisierung eines Geschäfts ist Teil der Ausstellung), jedoch konnte erwiesen werden, dass Adele List sich erfolgreich um die Arisierung der Geschäftseinrichtung in dem an ihre Boutique angrenzenden Ladenlokal bemühte. „Sie hat das Inventar arisieren lassen und später auch den Mietvertrag übernommen“, fasst Barbara Staudinger ihre Recherchen zusammen. „Da List aus Niederösterreich stammt, kann auch dort noch Material verwahrt sein“, fährt sie fort.

Einblicke. Adele List war Profiteurin des Nationalsozialismus, wie die Schau zeigt.
Einblicke. Adele List war Profiteurin des Nationalsozialismus, wie die Schau zeigt.(c) Beigestellt

Bislang liegt – was angesichts der oft betonten Bedeutung von Adele List verwundert – keine gültige Monografie über sie vor. So wäre durchaus wünschenswert, dass in diese Richtung noch einschlägige Forschung unternommen wird. Zudem wäre es an der Zeit, dass den Tätigkeiten des von den Nazis gegründeten Wiener Hauses der Mode im Palais Lobkowitz einmal eine größere, ähnlich gut aufbereitete Ausstellung gewidmet wird. Oft ins Treffen geführte Zwangsmitgliedschaften in dieser Institution, so Staudinger, würden nicht den prominenten Status mancher Modemacher während des NS-Regimes erklären. Die ungebrochen positive oder nach dem Krieg sofort ins Positive gewandte Wahrnehmung mancher Granden der heimischen Modehistorie, wie im Fall von List, ist offenbar nicht über jeden Zweifel erhaben.

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