Marco De Vincenzo: „Es passiert gerade etwas mit der Mode“

Modetraum. 2009 zeigte  Marco De Vincenzo  seine erste eigene Kollektion,  damals in Paris.
Modetraum. 2009 zeigte Marco De Vincenzo seine erste eigene Kollektion, damals in Paris.(c) Beigestellt
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Er ist die große Nachwuchshoffnung der italienischen Mode: Dank Schützenhilfe aus Paris gilt Marco De Vincenzo zudem als Kandidat für große Luxusmaisons.

Die Suche nach neuen Modetalenten verlief in Mailand vor ein paar Jahren noch weitgehend erfolglos: New York, London und Paris hatten auf ihren Showkalendern viele interessante Namen gelistet, die lombardische Kreativmetropole hinkte nach. Die nationale Modekammer und wichtige Partner wie die „Vogue“ begannen jedoch rechtzeitig gegenzusteuern, und das Ansehen Mailands als international relevante Modemetropole hat sich seitdem gebessert. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung ist neben den interessanten Positionen von Designern wie Arthur Arbesser und Stella Jean der gebürtige Sizilianer Marco De Vincenzo. Er entwirft seit zwölf Jahren die Handtaschen von Fendi und pendelt neuerdings für den Ausbau seines eigenen Labels zwischen Rom und Mailand. Das „Schaufenster“ traf den gefeierten Newcomer, der auch als aussichtsreicher Kandidat auf wichtige Kreativposten im Portfolio des LVMH-Konzerns (mit Marken wie Louis Vuitton, Dior, Fendi, Loewe usw.) gehandelt wird, in seinem Pariser Showroom.

Ihr erstes eigenes Defilee zeigten Sie Anfang 2009 während der Haute-Couture-Woche in Paris. Wie kam es dazu?
Es ist ja kein Geheimnis in der Branche, dass ich seit Jahren Handtaschen für Fendi entwerfe. Damals war aber ein Wendepunkt für mich erreicht, und ich wollte endlich selbst eine Kollektion entwerfen. Taschen zu entwerfen, das war mein erster Job nach der Ausbildung, und ich liebe diese Aufgabe. Doch nach fast zehn Jahren war ich so weit zu sagen: Jetzt oder nie. Ich wollte einfach sehen, wie mir eine komplette Kollektion gelingen würde. Darum habe ich 20 Looks kreiert, mit denen ich im Jänner 2009 nach Paris gefahren bin, um sie während der Haute-Couture-Woche, außerhalb des offiziellen Kalenders jedoch, zu zeigen. Und das war ein guter Start, denn ich bekam gleich Berichterstattung in einigen wichtigen Modemagazinen, unter anderem der italienischen „Vogue“. Einige Monate später gewann ich die dritte Ausgabe des von Franca Sozzani veranstalteten „Who's on Next?“-Wettbewerbs: Das war ein großer Ansporn für mich weiterzumachen. Im September 2010 zeigte ich meine erste Prêt-à-porter-Kollektion in Mailand.

Taschenprofi. Für ­Fendi entwirft De ­Vincenzo seit Langem die Taschen, nun auch für sein eigenes Label.
Taschenprofi. Für ­Fendi entwirft De ­Vincenzo seit Langem die Taschen, nun auch für sein eigenes Label.(c) Beigestellt

Im Prêt-à-porter fühlten Sie sich besser aufgehoben?
Sagen wir lieber, ich habe die erste Kollektion als Haute Couture angelegt, weil diese Outfits unmöglich in Serie hätten gefertigt werden können. Alle Stücke waren von Hand gefertigt, echte Unikate. Diese erste Kollektion war der reine Ausdruck meines Wunsches, Mode zu machen und hinauszuposaunen: „Eccomi!“ – da bin ich.


Kam damals überhaupt jemand zu Ihrer Show?
Glücklicherweise, ja. Ich war mit zwei Koffern voll mit Couture-Kleidern, die wir in Rom genäht haben, angereist. Mit einer befreundeten PR-Agentin haben wir einen Raum gemietet, sie hat Einladungen verschickt, und da waren wir nun. Kurz vor der Show habe ich nach draußen geschaut, in einen Raum, der fast leer war, da können Sie sich ja vorstellen, wie sich das angefühlt hat. Das Gute war aber: Es waren zwar nur wenige Medien anwesend, aber die wichtigen. Die Reaktionen fielen so gut aus, dass ich nach dieser ersten Saison nicht entmutigt war, ganz im Gegenteil.


Wie reagierte man im Hause Fendi auf Ihre Entwicklung?
Wir einigten uns darauf, dass ich meine Arbeitsstunden reduzieren und weiterhin Taschen entwerfen würde. Als Verantwortlicher für die Pelletteria-Abteilung bei Fendi spiele ich eine wichtige Rolle, also sagte Silvia zu mir: „Ich wünsche dir alles Gute für deine neue Unternehmung, hoffe aber, dass du beide Aufgaben miteinander vereinen kannst.“ Es war wohl allen klar, dass ich diesem Wunsch, selbst Mode zu machen, nachgeben musste, weil ich sonst die Freude an meiner anderen Aufgabe verloren hätte. Man ließ mir also die Freiheit, die ich brauchte, und ich war auf mich allein gestellt.


Wie ging es dann weiter, konnten Sie diesen anfänglichen Elan beibehalten?

Leider nicht. Ein kleines, unabhängiges Label steht vor so vielen Herausforderungen, ob in der Produktion, im Vertrieb, der Auslieferung. So ging es leider keineswegs ständig bergauf. Nach drei Jahren war ich an einem Wendepunkt angelangt. Nach der Show in Mailand schaute ich meine Kollektion an, die auf das Nötigste reduziert war und gar nicht mehr ausdrücken konnte, was ich eigentlich tun wollte. Da musste ich mir eingestehen, dass es keinen Sinn ergab, so weiterzumachen und am Traum eines eigenen Labels mehr oder weniger nur um meiner selbst willen festzuhalten.

Taschenprofi. Für ­Fendi entwirft De ­Vincenzo seit Langem die Taschen, nun auch für sein eigenes Label.
Taschenprofi. Für ­Fendi entwirft De ­Vincenzo seit Langem die Taschen, nun auch für sein eigenes Label.(c) Beigestellt

Wie haben Sie diese schwierige Situation überwunden?
Ich sprach das Thema bei meinem Arbeitgeber an, um Meinungen einzuholen, mich umzuhören. Die Diskussion, die in Rom begann, wurde dann nach Paris weitergetragen, und zwar an die Konzernspitze von LVMH. In der Zwischenzeit war Pietro Beccari zum neuen CEO von Fendi geworden, auch er hat mich von Anfang an unterstützt. So kam es zu der bis heute existierenden Partnerschaft mit LVMH: 45 Prozent der Marke gehören dem Konzern, 55 Prozent mir, wir haben einen Vertrag mit einer Laufzeit von sechs Jahren abgeschlossen, und das war wirklich ein kompletter Neubeginn für mich, weil sich völlig neue Möglichkeiten aufgetan haben.


Welche Art des Modemachens reizt Sie am meisten?
Mich haben schon immer jene Modehäuser am meisten fasziniert, die mit jeder Kollektion überraschen, ständig komplett neue Positionen beziehen. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der besonders Prada das jede Saison aufs Neue bewerkstelligt hat. Genau diese Risikobereitschaft ist aber schwierig, wenn man am Anfang steht, und zwar umso mehr, als die meisten Beobachter sich von einem jungen Designer erwarten, dass er seine Geschichte kontinuierlich erzählt und mit jeder Kollektion an die davorgehende anknüpft. Mein Weg war insofern länger und komplizierter, heute kann ich aber definieren, wofür ich stehe oder was sich auch meine Kundinnen von mir erwarten dürfen.


Im Modesystem sieht man derzeit vielerorts Veränderungen. Auch große Häuser probie­ren Neues aus. Ist das gut?
Wir erleben einen sehr positiven Moment, es gibt viel Bewegung in unserem System. Lang existierende Regeln werden überworfen, es passiert gerade etwas mit der Mode. Was genau, weiß ich nicht, weiß wahrscheinlich noch keiner. Es gibt so viele verschiedene Referenzen, komplett divergente Herangehensweisen. In Mailand sehen wir die Kollektionen von Alessandro Michele für Gucci, die quasi ein Kontinuum sind, sich kaum voneinander unterscheiden. In Paris schauen alle auf Demna Gvasalia und seine Arbeit mit Vetements und Balenciaga, das ist eine diametrale Position. Wenn ich es mir genauer überlege, läuft es aber weiterhin auf das hinaus, was ich schon früher gesagt habe: Auf der einen Seite die Marken, die kontinuierlich eine Saison an die vorherige anschließen lassen. Und dann wieder jene, die bereit sind, ein Risiko einzugehen, mit ihrem Image zu brechen und so Neues entstehen zu lassen. Natürlich kann man nicht jedesmal von null anfangen.

Gerade der Erfolg von Vetements spricht dafür, dass es erstmals seit Langem wieder eine echte Street Culture gibt, die nach dem „Bubble-up-Prinzip“ die Laufstegmode beeinflusst . . .
Ja, das ist absolut so, es scheint so, als ob es jenseits der Uniformität auf Plattformen wie Instagram wieder originelle Aussagen zu entdecken gibt, auf die sich auch die High Fashion berufen kann. Andererseits kann auch zwischen den extremen Polen der Mode etwas Neues entstehen, es gibt sehr viel Spielraum, der sich nicht zuletzt zwischen den Metropolen Paris und Mailand aufmacht. Denn vergessen wir nicht, dass die Geschichte, die Alessandro Michele bei Gucci erzählt, eine sehr italienische ist, mit ihrer großen Opulenz und Überladenheit. Aber noch einmal. Dass in der Mode heute wieder so extrem entgegengesetzte Positionen existieren und jede auf ihre Weise erfolgreich sein kann, ist ein gutes Zeichen für die Flexibilität des Systems.

Sie sind eine Partnerschaft mit dem LVMH-Konzern eingegangen, auch die Kering-Gruppe, zu der Gucci gehört, ist ein wichtiger Player. Auf beiden Seiten herrscht Nachfrage nach guten Nachwuchsdesignern, die man an die Spitze großer Häuser hieven kann. Tangiert Sie das ?
Freilich – wie könnte es nicht? Aber ich würde sagen, es geht da nicht nur um die Suche nach Designern, die als Nachfolger von diesem oder jenem an der Spitze eines traditionsreichen Maisons infrage kommen, sondern es geht da um eine Unternehmenskultur, zu der der Aufbau von jüngeren, in ihrer Unabhängigkeit nicht angetasteten Marken gehört. Die Frische von solchen Brands im Portfolio wirkt auch auf Traditions- und Luxusmarken zurück.


Sie sind gebürtiger Sizilianer, pendeln derzeit zwischen Rom und Mailand: Wie erleben Sie diese Ortswechsel? Gab es einen Expo-Effekt in Mailand?
Das ganz bestimmt, seit zwei Jahren fahre ich regelmäßig nach Mailand, und ich muss sagen, ich empfinde die Stadt von Mal zu Mal als lebenswerter. Früher war das anders: Egal, zu wem man in Italien sagte, man lebe in Rom – die Reaktion war immer: „Du Glücklicher!“ Heute ist das anders, Mailand hat aufgeholt.


Stimmt es, dass Sie ein sehr inniges Verhältnis zur Literatur haben?
Das stimmt, ja. Ich habe ein klassisches Lyzeum besucht, in dem Sprachen und Literatur eine große Rolle spielen. Meine beste Schulfreundin ist heute Schriftstellerin – wir haben nie aufgehört, uns auszutauschen. Die Literatur ist immer sehr wichtig für mich gewesen, ich lese, wann immer es geht. Ich trage auch ständig Bücher mit mir herum, die ich lesen möchte, aber für die ich keine Zeit habe. Dennoch, die Mode ist heute mehr denn je meine Obsession, und es fühlt sich absolut richtig an, ihr so viel Platz wie möglich in meinem Leben zu geben.

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