Bertrand Guyon: Ein Spiel mit Zitaten

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Nach vier Saisonen findet Bertrand Guyon als Designer von Elsa Schiaparelli immer mehr zu seiner eigenen Handschrift für das legendäre Maison.

Sein Büro in einem Stadtpalais an der Place Vendôme, zwei Türen vom Ritz entfernt, ist eine reich dekorierte Kreativhöhle: Fotos, Skizzen, Kleidungsstücke aus dem Archiv von Elsa Schiaparelli. Bertrand Guyon umgibt sich mit einem opulenten Destillat aus der Geschichte des 1927 von der italienischen Aristokratin und Künstlerfreundin gegründeten Modehauses. Ehe er, vor etwas weniger als zwei Jahren, diese Funktion übernahm, arbeitete Guyon lange in den Haute-Couture-Ateliers von Valentino und lebte in Rom: „Das hat mir geholfen, die Schiaparelli besser zu verstehen“, sagt der Endvierziger im Interview. Als Diego Della Valle ihn anrief, um ihm den Designerposten von Schiaparelli anzubieten, zögerte Guyon zwar kurz, weil er sich auch in der zweiten Reihe ziemlich wohlfühlte und nicht unbedingt den Titel eines Chefdesigners angestrebt hatte. „Doch so eine Chance hat man nur einmal im Leben“, erkennt Betrand Guyon im Gespräch mit dem „Schaufenster“ in den Couture-Ateliers an der Place Vendôme.

Seit das Abenteuer einer Wiederbelebung der „Belle endormie“ Elsa Schiaparelli begonnen hat, sind Sie der dritte Designer, der zum Zug kam. Zugleich, nach kaum zwei Jahren, auch derjenige mit der größten Verweildauer. Wie gehen Sie mit dem reichen Schiaparelli-Erbe um?
Die Übung ist kompliziert, das liegt auf der Hand. Wenn ich mich zu weit weg bewege von den Codes der Schiaparelli, wird man mir vorwerfen, dass ich ihr Erbe nicht respektiere. Wenn ich zu nah an ihrer Ästhetik arbeite, wird man mir vorwerfen, dass ich nur mit Zitaten arbeite. Die Situation ist also ein wenig heikel. Und doch, mit der im Jänner vorgestellten Haute Couture habe ich meine vierte Kollektion für das Maison gezeigt, und damit war es auch möglich, mich aus dem reinen Zitiermodus herauszubewegen. Damit habe ich ganz bewusst gespielt, in beide Richtungen. Das legendäre Hummerkleid, das Elsa Schiaparelli für die Herzogin von Windsor entworfen hat, wollte ich zum Beispiel erst jetzt auf meine Weise interpretieren. Hätte ich das in der ersten Saison getan, wäre mir das sicher angelastet worden.

Hausherr. Seit vier Saisonen leitet ­Bertrand Guyon das Maison an der Place Vendôme.
Hausherr. Seit vier Saisonen leitet ­Bertrand Guyon das Maison an der Place Vendôme.(c) Beigestellt


Weil Sie sich zu früh vor der Legende verneigt hätten?
Ich denke ja. Man kann mir eventuell vorwerfen, dass ich Schiaparelli anfangs nicht gut genug kannte. Andererseits ist es wohl ganz gut, dass so eine gewisse Distanz bestand und ich mir nach und nach mein Verhältnis zu dem Maison erst erarbeiten musste. Die Herausforderung meiner Arbeit besteht darin, mich der verborgenen Seite des Eisbergs zu widmen. Die legendärsten, sehr bekannten Schiaparelli-Entwürfe – eben das Hummerkleid, Entwürfe, die in Zusammenarbeit mit Cocteau entstanden sind etc. – sind nämlich nur die Spitze, darunter gibt es unglaublich viel, das kaum bekannt ist.


Wie kann man Elsa Schiaparelli heute überhaupt wieder bekannt machen?
Es muss uns gelingen, die lange Geschichte dieses 1927 im Herzen von Paris gegründeten Hauses und auch den Esprit von Elsa Schiaparelli zu vermitteln, ohne nur historisierend vorzugehen. Eine zu buchstäbliche Reinterpretation ihrer Arbeit wäre reduktionistisch und nicht attraktiv genug, nicht nah an der Gegenwart.


In Ihre letzte Kollektion haben Sie bereits neue Facetten eingebracht: Einerseits referenzieren Sie Cocteau, mit dem sie zusammenarbeitete; andererseits aber Guy Bourdin, und das kommt ja zu hundert Prozent von Ihnen.
Das stimmt, und das ergibt sich aus meiner Arbeitsweise. Denn natürlich suche ich auch nach Inspirationen für meine Kollektionen, die nicht aus den Archiven von Schiaparelli kommen, sondern aus der Kunst, dem Film, der Fotografie. Das brauche ich, um das Universum von Elsa Schiaparelli zu erweitern und zusätzliche Lesarten einzufügen, indem ich neue Assoziationen und Querverbindungen herstelle.

Stimmungsvoll. In seinem Büro umgibt sich Guyon mit Inspirationen aus den Schiaparelli-Archiven.
Stimmungsvoll. In seinem Büro umgibt sich Guyon mit Inspirationen aus den Schiaparelli-Archiven.(c) Beigestellt


Im Modekonzern von Diego Della Valle, der Tod’s Group, nimmt Schiaparelli eine Sonderstellung ein?
Wir sind wohl das Kronjuwel der Gruppe, auf gewisse Weise jedoch in der ganzen Modewelt eine besondere Kostbarkeit. Diese historisch wertvolle, aufgeladene Marke, gegründet von einer italienischen Aristokratin, hat unglaublich viele Designer im Lauf der Zeit beeinflusst. Das ist übrigens auch eine Herausforderung für uns: Schiaparelli-Zitate, die in anderen Häusern sehr selbstbewusst aufgenommen wurden und zum Teil eher mit anderen Marken assoziiert werden, wieder zu uns zurückzuholen.


Es gibt auch eine Luxuskonfektion von Schiaparelli, die hier Prêt-à-Couture heißt: Soll dieser Aspekt ausgebaut werden? Und ist da die Herausforderung, etwas den Erwartungen an Schiaparelli gerecht Werdendes zu schaffen, nicht noch größer?
Das stimmt, wir machen und verkaufen das Prêt-à-Couture ebenfalls in unserem Stammsitz an der Place Vendôme. Und wir arbeiten in der Tat an einer Vergrößerung dieser Seite der Marke, vielleicht sogar an einem Defilee, wobei wir aber nichts überstürzen wollen. Es ist jetzt schon so, dass wir eine ikonische Jacke aus den Schiaparelli-Kollektionen pro Saison aufgreifen und reeditieren. Die erste ist die sogenannte „Veste Zodiac“, die wir in zwei Ausführungen neu aufgelegt haben. Übrigens hängt die Originalvorlage, eine Stickerei von Lesage, in meinem Büro, und die Stickerei wird auch heute wieder von Lesage in den Pariser Ateliers angefertigt.


Gleich unter der originalen Zodiac-Weste hängen Instagram-Screenshots: Auch ein Maison wie Schiaparelli geht also mit der Zeit, was Kommunikationskanäle betrifft.
Natürlich, niemand kann sich mehr leisten, nicht auf Instagram oder vergleichbaren Medien präsent zu sein. Mich interessiert auch persönlich sehr, was dort passiert. Der Einfluss, den solche Plattformen auf unsere Arbeit heute ausüben, wäre noch vor wenigen Jahren ganz unvorstellbar gewesen.


Wie lange arbeiten Sie schon in der Mode?
Schon seit fast 30 Jahren – ich habe angefangen, als ich ganz jung war. Ich habe die École de la Chambre Syndicale de la Couture in Paris abgeschlossen, wo man tatsächlich auf eine Karriere in der Haute Couture vorbereitet wird. Und das hat auch meinen Interessen entsprochen, da ich von Jugend an immer mehr von der Couture als vom Prêt-à-porter angezogen wurde. Für mich war immer offensichtlich, dass es da einen Quantensprung gab.

Re-Edition. Die ­„Veste Zodiac“ wurde zuletzt als Teil des Prêt-à-porter neu aufgelegt.
Re-Edition. Die ­„Veste Zodiac“ wurde zuletzt als Teil des Prêt-à-porter neu aufgelegt.(c) Beigestellt


War aber die Haute Couture nicht Anfang der Neunziger, als viele neue Talente in Paris und auch London oder New York auftauchten, nicht ein wenig „démodée“?
Manche empfanden die Haute Couture damals wohl tatsächlich als „has been“. Mir war das egal. Denn es gab ja andererseits jemanden wie Christian Lacroix, der mit seiner Haute Couture bekannt wurde und eine ganz einzigartige Position im Modesystem besetzte. Saint Laurent war andererseits damals nicht mehr von einer Aura besonderer Originalität umgeben, das stimmt.


Am Anfang Ihrer Karriere arbeiteten Sie mit Christian Lacroix zusammen: Tut es Ihnen leid, dass dieses Maison heute nicht mehr existiert?
Selbstverständlich, gar keine Frage. Lacroix hatte sein Modehaus 1987 gegründet und verließ es 2008, ich habe 1997 für ihn zu arbeiten begonnen. Auch dass es die unglaublichen Couture-Ateliers nicht mehr gibt, ist jammerschade. Das Stadtpalais mit der Adresse 73, Rue du Faubourg Saint-Honoré war ein außergewöhnlicher, unvergleichlicher Ort mit einer wunderschönen Originalarchitektur. Es ist traurig, wie schnell solche Erinnerungen verloren gehen, aber ich bin selbst sehr froh, diese Erfahrungen gesammelt zu haben.


Erinnerungen gehen auch deshalb schneller verloren, weil die Mode so irrsinnig schnell voranschreitet. Sind Sie froh, für eine Marke zu arbeiten, die sich etwas aus dem System herausnimmt?
In gewisser Weise ja, aber ganz so einfach ist das nicht. Wir beklagen uns zwar alle über diese Geschwindigkeit und den großen Druck. Doch alle, die in der Mode arbeiten, sind letzten Endes genau daran so gewöhnt, dass kaum mehr vorstellbar ist, wie es wäre, wenn es diesen Druck und diese Geschwindigkeit nicht gäbe. Aber es stimmt schon, zum Teil ist das alles etwas übertrieben, und es ist manchmal kaum vorstellbar, wie unser Metier mit all seinen Spielarten auf einen Außenstehenden wirken mag.

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