Alessandro Michele & Gucci: Verstand und Gefühl

Schöngeist. Mit seinem Amtsantritt hat Alessandro Michele der Marke Gucci vor zwei Jahren ein neues Image ­verpasst.
Schöngeist. Mit seinem Amtsantritt hat Alessandro Michele der Marke Gucci vor zwei Jahren ein neues Image ­verpasst.(c) Beigestellt
  • Drucken

Mit seiner Mode hat Alessandro Michele Gucci wieder in die erste Reihe der Mailänder Maisons geholt. Nun stellt er „Bloom“, sein erstes Parfum, vor.

Aus seiner Vorliebe für das Vereinigte Königreich, die englische Kultur und überhaupt „all things British“ macht der gebürtige Römer Alessandro Michele kein Hehl. Dass er mit Jane Austens Roman „Sense and Sensibility“ vertraut ist, im Deutschen seit der Romanverfilmung meist als „Sinn und Sinnlichkeit“ bekannt, darf also angenommen werden – zumal Michele ebenso schöngeistig wie vielseitig interessiert und hochkulturell bewandert ist. Ohne nun konkret auf die unglücklichen Verliebtheiten der von Austen beschriebenen Dashwood-Schwestern einzugehen, lässt sich die titelgebende Kombination aus Verstand und Gefühl zugleich als Charakteristikum von Micheles Arbeit für seinen Arbeitgeber, das Florentiner Modehaus Gucci, kennzeichnen: Bereits mit seiner ersten, Anfang 2015 präsentierten Herren- und kurz danach der ersten Damenkollektion läutete Michele eine neue Ära für das zu diesem Zeitpunkt etwas irrelevant gewordene Maison ein. Nach Jahren schwindender Bedeutung stand Gucci mit einem Mal wieder im Mittelpunkt der gesamten Modewelt. Und dies, weil Alessandro Michele eine unverwechselbare, zugleich sehr persönliche Mischung aus Opulenz und Gefühlsbetontheit gelungen war. Deren Erfolg äußert sich kaum zwei Jahre später darin – so viel zur rationalen Seite –, dass Gucci laut des letzten Quartalsberichts des auf Luxusartikel spezialisierten Mutterkonzerns Kering zur bestverkauften Marke in dessen Portfolio avanciert ist: Ein weiterer Meilenstein für Michele, dessen Anerkennung durch die Kritik somit auch von dem so wichtigen kommerziellen Erfolg untermauert wird.

Intellektueller Anspruch. Alessandro Michele ist etwas in mehrerlei Hinsicht Beeindruckendes gelungen. Denn er hat nicht nur Gucci aus dem Dornröschenschlaf erweckt und, die Dominanz von Saint Laurent ablösend, zum neuen Powerhouse im Kering-Verbund gemacht, sondern auch er selbst ist innerhalb kürzester Zeit in die Riege der wichtigsten Designer vorgestoßen. Zunächst vielleicht nur als Übergangslösung nach dem Hinauswurf seiner Vorgängerin, Frida Giannini, vorgesehen und aus dem bestehenden Team in die erste Reihe geholt, konnte er sich aufgrund der positiven Reaktionen auf seine erste, innerhalb weniger Wochen entstandene Kollektion sogleich als bleibender Kreativdirektor etablieren und gehört heute ohne Zweifel zu den Top Five der einflussreichsten Modemacher der Welt. Wie derzeit kein anderer Name steht der seine im Modekontext für Fülle und Ideenreichtum: Michele, man kann es kaum anders ausdrücken, entwirft Kleider, die berühren.

Engagiert. Auch die Auswahl der Testimonials für den neuen Duft „Bloom“, hier ­Model Hari Nef, war Chefsache.
Engagiert. Auch die Auswahl der Testimonials für den neuen Duft „Bloom“, hier ­Model Hari Nef, war Chefsache.(c) Beigestellt

Auch ein Besuch in einer Gucci-Boutique wird seit seiner Bestellung zum Divertissement. Denn hier erhält die Redensart, dass man sich an einer Sache „nicht sattsehen“ könne, neue Bedeutung. So reichhaltig sind seine Kollektionen, dass es unmöglich scheint, auf den ersten, zweiten – oder auch zehnten – Blick alle Details zu erfassen. In welcher (Gedanken-)Welt Michele lebt, zeigt darüber hinaus ein Blick auf sein Instagram-Profil. Als ­@ lallo25 postet der Designer in der für die Mode so wichtigen Bilder-Sharing-App ein Potpourri aus Inspirationen und Eindrücken: Streckenweise mutet sein Account wie eine Gemäldegalerie an, dann wieder wie eine Fotosafari durch einen Antiquitätenladen; auch ein Bildtext in altgriechischer Sprache mag dem Betrachter unterkommen. Entsprechend vielfältig sind die Referenzen, die Michele in seinen Kollektionen verarbeitet. Die Tatsache, dass sein Partner an der römischen Sapienza-Universität unterrichtet, spiegelt sich wohl in den anspruchsvollen Begleittexten zu den Gucci-Kollektionen, die mit ihren Verweisen auf wichtige Positionen der Geistesgeschichte mitunter an die Beschreibungen universitärer Lehrveranstaltungen erinnern.

Alles aus Liebe. Bei alldem ist es aber entscheidend, dass Michele keinen eingemotteten Kostümfundus über den Laufsteg schickt, und sich seine Kollektionen darum, wenngleich das neue Gucci-Image im Kontext einer Modeschau bisweilen fast überfrachtet wirken mag, gut verkaufen. Micheles persönlicher Freund Jared Leto – der Designer buchte den Schauspieler als Testimonial für einen Herrenduft der Marke und stattet ihn für Konzerttourneen mit seiner Band Thirty Seconds to Mars aus – fand zuletzt in einem Beitrag für das amerikanische „Time“-Magazin eine Erklärung für diese Anziehungskraft. Leto verfasste das knappe Porträt von Alessandro Michele, der in der diesjährigen „Time“-Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Planeten als einziger Italiener auftaucht: „Menschen mögen Gucci nicht einfach nur, sie begehren es. Und das ist so, glaube ich, weil sie verstehen, dass Michele sein ganzes Herzblut in jede Sache einfließen lässt, der er sich widmet, und dass er mit uns eine ebenso flüchtige wie mächtige Zutat teilt – nämlich Liebe.“
Auf die emotionale Ebene begibt sich denn auch Michele selbst auf die Frage nach dem mitunter nostalgischen Charakter seiner Entwürfe gegenüber dem „Schaufenster“ am Rande einer Pressekonferenz in New York: „Nostalgisch zu sein bedeutet nicht zwingend, dass man sich nach der Vergangenheit zurücksehnt, sondern vielmehr, dass man in enger Verbindung mit seinem tiefsten Inneren steht.“

Da hätten wir es also wieder: Sinn und Sinnlichkeit, Vernunft und Gefühlsbetontheit bzw. die Fähigkeit, in Kontakt mit den eigenen Emotionen zu treten. Bedeutsam scheint zugleich die Tatsache, dass Michele üblicherweise von einem „quirky Gucci girl“ spricht, also einem frechen, jungen, unkonventionellen Wesen als Leitbild für seine Mode. Das Schicke und ansatzweise Altmodische seiner extremsten Entwürfe kommt wohl nur positiv zur Geltung, wenn eine junge Frau, fast ein Mädchen, sie trägt. Damit gelingt es Michele, ein immer erneuertes – wiewohl nicht allzu stark variiertes – Angebot an die Generation der Millennials zu machen, an die sich die gesamte Luxusbranche derzeit begehrlich wendet.

Großer Auftritt. Die Gucci-Kollektionen von Alessandro Michele sind ein klarer Fall von Modemaximalismus.
Großer Auftritt. Die Gucci-Kollektionen von Alessandro Michele sind ein klarer Fall von Modemaximalismus.(c) Beigestellt

„Nach einer langen Phase der dominanten Globalisierung ist es wieder an der Zeit, dass wir alle unsere Persönlichkeit zeigen, individuell und authentisch agieren. Jeder soll seine Glücksgefühle und seine Fähigkeit zu lieben nach außen tragen können – das sind für mich Spielarten der Furchtlosigkeit“, bemerkt Michele auf die Frage nach seinem Mut als Designer, kompromisslose Kollektionen zu entwerfen, aber auch nach der nötigen Courage seiner Kunden, um diese Mode in einer Alltagssituation zu tragen. Immer wieder kommt er auf die Welt der Gefühle und die Euphorie zurück, die ihn ebenso antreibt, wie sie seinen Entwürfen abzulesen ist.

Das bedeutet auch den Bruch mit einer konventionellen Auffassung von Luxus, für den das Gucci der jüngeren Vergangenheit noch einstand: „Die Vorstellung davon, was Luxus sein kann, hat sich in der letzten Zeit verändert. Früher dachte man an Geld und Macht, heute geht es meiner Meinung nach mehr um Freiheit und die Möglichkeit, das auszuleben, wofür man steht und was man sein möchte. Geld ist nur Papier.“ Wenn Alessandro Michele das sagt, schwingt wohl der Hintergedanke mit, dass die von ihm entworfene Mode als Freiheitskatalysator und Individualisierungswerkzeug funktionieren soll – zumindest bei allen, die tief genug in die Tasche greifen können.

Ein Duft wie ein Märchen. Der rasche Erfolg und die Anerkennung der wichtigsten Branchenvertreter seien ihm, versichert Michele, nicht zu Kopf gestiegen: „Ich verspüre wegen des aktuellen Erfolgs von Gucci überhaupt keinen Druck. Denn ich mache ja etwas, das in erster Linie ausdrückt, wofür ich stehe und wer ich bin – und natürlich ist es ein großes Glück, das tun zu können.“ Auch über seine Zukunft in einer schnelllebigen Branche zerbricht er sich nicht den Kopf: „All das ist nur ein Kapitel in meiner Geschichte. In der Hinsicht bin ich fast wie ein Kind, ich mache mir keine Gedanken über die Bedeutung meiner aktuellen Position in der Modewelt.“

Dass von einer regelrechten Gucci-Mania in der Mode gesprochen werden kann und der Schöngeist Alessandro Micheles das neue Markenbild durch die Kooperation mit Künstlern aus verschiedenen Sparten nochmals verstärkt, läuft auf ein selten in dieser Intensität beobachtbares Phänomen hinaus. Und wenn Michele über sich sagt: „Ich liebe Dinge, Gegenstände aller Art. Wenn ich etwas wirklich bin, dann bin ich ein Sammler!“, so spiegelt sich dieser Wesenszug in den kaleidoskopischen Bilderfluten wider, die sich neuerdings über die Gucci-Laufstege ergießen – wie übrigens auch in der Tatsache, dass Michele ein ausgezeichnetes Händchen (oder sollte man besser sagen: Näschen) für Parfums hat und sich auch auf diesem Gebiet als Connaisseur entpuppt.

Um das von ihm neu komponierte Gesamtbild der Marke abzurunden, hat sich der gefeierte Designer zuletzt stark in den Entstehungsprozess des ersten Gucci-Parfums unter seiner Kreativdirektion eingebracht. Sowohl die Form des Flakons (ein wenig altmodisch, floral, ornamental, dabei wohl elegant) als auch die Komposition des Duftes (eine geerdete Tuberosen-Kreation, beinah mit dem Charakter eines Nischenparfums ausgestattet) lagen ihm sehr am Herzen. „Schon als Kind habe ich von den Parfums meiner Mutter und meiner Tanten stibitzt. Bei mir zu Hause in Rom gibt es ganze Regale voll mit Parfum. Einen Flakon mit einem neuen Duft zu öffnen, das hat für mich etwas Magisches, und alle Parfums, die ich sammle, haben eine ganz bestimmte Bedeutung.“ So verwundert es wenig, dass Micheles erste Reaktion auf die von Parfumeur Alberto Morillas übersandten Laborproben in der frühen Entstehungsgeschichte von „Bloom“, dem neuen Gucci-Duft, sehr emotional ausgefallen sind: „Als die ersten Laborproben von Alberto gekommen sind und ich sie riechen durfte, war das ein wunderbarer Moment. Ich durfte einen Traum in einem Flakon entdecken – für mich war das wie ein Märchen.“ Man darf gespannt sein, ob Alessandro Michele seine Erfolgsgeschichte und seinen guten Riecher für das, was gefällt, auch auf das Reich der Düfte ausweiten konnte.

Die Reise des Autors nach New York erfolgte auf Einladung von Coty Inc.

„Bloom“. Der neue Duft ist ab sofort erhältlich, 100 ml Eau de Parfum kosten 122 Euro.
„Bloom“. Der neue Duft ist ab sofort erhältlich, 100 ml Eau de Parfum kosten 122 Euro.(c) Beigestellt

Neue florale Duftära?

Bei der Lancierung des neuen Dufts
einer Modemarke wird zwar gemeinhin beschworen, der Designer habe sich intensivst in dessen Entstehen eingebracht. Das ist aber, wie Insider gern berichten, zumeist eine in den Pressebüros ausgeheckte Mär. Alessandro Michele freilich, den man am Rande einer Modewoche schon einmal beim Einkaufen in einer Nischenparfümerie in Mailands Brera-Viertel antreffen kann, hat ein offenkundiges Interesse an (exquisiten) Düften. Darum wollte er auch nicht mit irgendeinem, vom neuen Lizenzpartner der Gucci-Parfums ausgewählten Parfumeur zusammenarbeiten, sondern wünschte sich von dem Kosmetikriesen Coty explizit, dass Alberto Morillas den ersten Duft für Micheles Gucci kreieren sollte. Morillas ist einer der längstdienenden und erfolgreichsten Parfumeure, ihm gelangen etwa die Evergreens „Pleasure“ für Estée Lauder, „CK one“ für Calvin Klein oder „Acqua di Giò“ für Armani. „Alessandro drückt sich aus wie ein Dichter, und er weiß alles über Parfums. Das hat die Zusammenarbeit zu einer großen Herausforderung gemacht“, erzählte Morillas dem „Schaufenster“ über die Entstehungsgeschichte von „Bloom“. Ausgegangen sei man gemeinsam von Micheles Wunsch, eine unverwechselbare florale Komposition zu finden. Vom ersten Gedanken des Designers – Maiglöckchen an der Piazza Navona im römischen Frühling – sei man alsbald abgekommen, und das wahrhaft betörende Ergebnis ist nun ein unverwechselbarer Tuberosenduft, der sich aber zurückhaltender gibt als andere Vertreter desselben Duftgenres. Was die Zukunft von „Bloom“ und auch jene der Parfumbranche betrifft, gibt sich Morillas zuversichtlich: „In den vergangenen Jahren sind so unglaublich viele Parfums auf den Markt gekommen, doch unter ihnen allen findet sich so wenig Originelles. Ich bin guter Dinge, dass bald eine neue Ära anbricht – ­vielleicht erneut eine Zeit der großen floralen Düfte.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.