Mode der Verharmlosung

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Schön anzusehen, schwierig zu tragen und Mittel der Verniedlichung: Rüschen stehen in der Mode wieder einmal hoch im Kurs.

In Stilfragen liegen Fantasie und Wirklichkeit oft sehr weit auseinander. Aktuell zum Beispiel suggerieren Fotostrecken in vielen Modemagazinen oder auf Modeblogs, in Carmen-Blusen, Vichy-Karos und schulterfreien Rüschen-Tops könnte diesen Sommer jede Frau so zart und unschuldig aussehen wie Romy Schneider als Sissi im Lungenerholungsurlaub auf Madeira. Das ist natürlich völliger Unsinn. Im echten Leben fehlt in der Wäscheschublade meist ein passender trägerloser BH, um schulterfreie Oberteile stilsicher ausführen zu können (und nein, „unsichtbare“ Plastikträger sind keine Option). Oder Bikini-Streifen behindern den Côte-d'Azur-Jetset-Auftritt. Oder aber die Rüschentops bauschen sich so unvorteilhaft am Oberkörper, dass unter Outfit-Fotos auf Instagram Glückwünsche zur Familienplanung gepostet werden. Ist alles schon vorgekommen.

Natürlich soll ein jeder das tragen, was ihn glücklich macht. Doch objektiv betrachtet ist kaum ein gegenwärtiger Modetrend in der Theorie so wunderschön anzusehen und gleichzeitig so schwierig zu tragen wie das Rüschen-Comeback. Dieses wurde von einer ganzen Reihe kleinerer, wenig bekannter Labels eingeläutet, die dafür schwer gehypt werden.

Etablierte Marken sind mittlerweile aber auch dabei behilflich, modische Mädchenträume zu erfüllen. Bei Haider Ackermann werden Volants auf altrosa Tops gesetzt, bei MSGM türmen sich hellblaue Wogen auf der Brust, Tod’s erinnert mit Babydoll-Oberteilen an einen Trend der späten Nullerjahre – und See by Chloé setzt gar auf gerüschte Miniröcke mit Blütenstickereien. Gut, immerhin outet man sich in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #Chloégirls als Fan der Marke. „Girls“, nicht „Women“.

Wo sind die Powerfrauen? Und so fragt man sich angesichts all dieser modischen Mittsommernachtsromantik, ob Frauen insgeheim am liebsten für immer Mädchen mit Blumenkränzen in den Zöpfen bleiben wollen. Baba, #Girlpower, baba, Emanzipation? Was ist bloß aus den toughen Céline-Frauen geworden, die bis vor Kurzem noch Anzughosen zu Sneakers trugen? Und war nicht gerade noch Powerdressing à la Claire Underwood, der streitbaren Hauptfigur der Polit-Serie „House of Cards“, „the next big thing“? Die aktuellen Volant-Niedlichkeiten erinnern eher an Mutter-Tochter-Werbefotos aus dem Versandkatalog. Im Vergleich dazu fühlen sich sogar Kim Kardashians Stretch-Kleider regelrecht nach selbstbestimmtem Superweib-Outfit an. Warum schafft es die Rüsche trotzdem immer wieder in die Mode? Es lohnt ein kurzer Blick in Auguste Racinets legendäre Kostümgeschichte: Für Frauen seien Rüschen Ende des 16. Jahrhunderts aufgekommen, schrieb er im Jahr 1888 – und bezeichnete die Halskrausen, wie sie Elisabeth I. liebte, als „maßlose Übertreibungen“, die nur so lang als Statussymbol funktioniert hätten, bis die gesellschaftliche Realität ein pragmatischeres Auftreten gefordert habe.

Und heute? Das Rüschen-Comeback darf durchaus als aktueller Beitrag zur Feminismus-Debatte verstanden werden. Denn der Sexappeal, der in diesem Look angestrebt wird, ist ostentativ unschuldiger Natur, fast wie einst im Biedermeier. Ja, das Schlüsselbein lässt sich in Carmenblusen subtil in Szene setzen. Und auch pilatesgestählte Rückenansichten kommen in ärmellosen Bauschetops gut zur Geltung. Aber Volants sind immer auch Tarnung und Täuschung. Sie sollen einen Busen vorgaukeln, wo keiner ist, das lernt man schon als 13-jähriges Mädchen in jeder Frauenzeitschrift. Auf der anderen Seite sollen sie verdecken, wo vielleicht ein bisschen zu viel ist. Und vor allem sollen sie der Umwelt vermitteln: Schaut mal, wie unschuldig ich aussehe, ich kann dieser Welt doch nichts Böses wollen. Ich bin doch nur ein Mädchen. Und „Girls just wanna have fun“, sonst nichts.

Hinter einem Rüschenoutfit kann also durchaus eine Strategie stecken. Immerhin ziehen die allermeisten Frauen selten einfach irgendetwas an. „Was immer eine Frau in der Öffentlichkeit sagt, ihre Kleider scheinen in einer Weise mitzusprechen, die bei Männern undenkbar ist“, schreibt die Modetheoretikerin Barbara Vinken treffend in ihrem Buch „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“, und fragt weiter, ob Weiblichkeit weiterhin wie im 19. Jahrhundert „kunstvoll-künstlich“ inszeniert werden müsse.

Die modische List der Entwaffnung. So handhabt beispielsweise Olivia Palermo ihr Auftreten, die als Socialite/Streetstyle-Heroine/Markenbotschafterin ein ordentliches Business aufgebaut hat und noch dazu mit einem wunderschönen Mann verheiratet ist, dem Männermodel Johannes Huebl. Dass Palermo bevorzugt Ballerinas und irgendetwas mit fluffigen Volants dran trägt, bedeutet eine Art modische Entwaffnungslist und soll die Außenwelt sicherlich von ihrer harmlosen Liebenswürdigkeit überzeugen.

So richtig souverän wirkt diese Verschleierungstaktik nicht. Dabei macht es gerade Mode eigentlich so einfach, Haltung anzunehmen. Man will doch nicht für immer das sorglose Girlie spielen. Irgendwann nimmt einem das sowieso niemand mehr ab. Rüschen haben deshalb etwas von der Zartheit einer Ballettaufführung: Der Anblick ist hübsch, aber hinter den Kulissen verbergen sich Abgründe, psychische und physische, das hat man ja spätestens aus dem Film „Black Swan“ gelernt. Und spätestens mit 30 ist für alle die Karriere zu Ende.

Eigentlich gibt es für Modefans der Zielgruppe Ü25 nur zwei Möglichkeiten, Rüschen zu tragen. Entweder, man übertreibt gnadenlos und betrachtet die Rüsche schlicht als modisches Statement, nicht als gesellschaftliches. Oder aber man nehme sich Miuccia Prada zum Vorbild: Ihre Herbst-/Winterkollektion 2016 ist zwar vom Romantiktrend bestimmt – allerdings macht sie die Prada-Frau auch bereit für den Alltagskampf, kombiniert Puffärmelkleider zu breiten Amazonen-Ledergürteln und Superwoman-Capes. Die wirken wie ein Warnsignal: Bei allem Liebreiz muss man mit dieser Frau immer rechnen. 

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