Der Tee aus der blauen Höhenluft

Im Hochland der Blue Mountains im südindischen Nilgiris weilten die Briten zur Abkühlung. Von hier kommen besondere Tees: nach dem Frost gepflückt.

Die Affen am Straßenrand sind keinem Einheimischen auch nur einen Blick wert. Sie sind allgegenwärtig, sitzen schlauerweise an solchen Stellen der Hochlandstrecke, die trotz der vielen Kurven schon von fern gut sichtbar sind – auf dass in den Autos schon einmal die Bananen vorbereitet und die Fenster heruntergekurbelt werden können. Wilde Büffel im Teegarten indes sind sehr wohl ein Anziehungspunkt, ihr Anblick ist selten. Autos bleiben stehen, Grüppchen älterer Frauen mit Kindern eilen herbei, junge Männer posieren für Selfies mit den dunkelbraunen Tieren, deren Muskelspiel malerisch das glatte Fell in Bewegung setzt. Die Büffel winden sich im Steilhang direkt neben der Dorfstraße erstaunlich behände zwischen den niedrigen Teebüschen durch – und fressen in Seelenruhe die besten Triebe. Man lässt sie gewähren. Tee gibt es hier schließlich genug.

Hoch. Die Anbaugebiete reichen bis über 2000 Meter Seehöhe.
Hoch. Die Anbaugebiete reichen bis über 2000 Meter Seehöhe. (c) Anna Burghardt

Höher als Darjeeling. Nilgiris, ein Distrikt im Westen des indischen Bundesstaats Tamil Nadu, ist gleichsam das Darjeeling Südindiens, wenngleich auch deutlich weniger bekannt: ein hochgelegenes Teegebiet (zum Teil sogar höher als jenes am Himalaja) mit sichtbarer britischer Kolonialgeschichte, in dem feingliedrige Tees geerntet werden. Und eine Spezialität, die weltweit einzigartig sein soll: der Frost Tea. Das Tee-Unternehmen Chamraj, das, als erstes Südindiens, schon seit 1994 biologisch arbeitet, beliefert damit hauptsächlich Kunden in Japan. Der Wiener Teehändler Andrew Demmer hat sich aber vor Ort eine Charge sichern können; er nahm das „Schaufenster“ mit ins südindische Hochland, in dem die Nächte empfindlich kalt werden können.

Für die Spezialität Frost Tea werden in den Wintermonaten, wenn der Frost die Büsche erwischt hat, die obersten, zartesten Teeblätter geerntet. Zwischen fünf und sechs Uhr früh, bei Temperaturen zwischen minus zwei und fünf Grad. Die Teegärten von Chamraj (und Korakunda, der Schwesternfirma) auf rund 2000 Metern Seehöhe gehören zu den höchstgelegenen der Welt. Hier oben haben die jungen Teeblätter gegen den Nachtfrost besonders zu kämpfen, was dazu führt, dass sie besonders intensive Aromen ausbilden. Durga Hedge, der Manager von Chamraj, nennt die Wintersaison auch „quality season“.

Ordnung. Die Blätter kommen aus den Pflückkörben in Säcke.
Ordnung. Die Blätter kommen aus den Pflückkörben in Säcke.(c) Anna Burghardt

Hitzeflucht für britische Militärs. Schon seit 1922 wird hier, in der Nähe der Stadt Ooty, Tee angebaut. Ooty war einst eine der berühmten britischen Hill Stations, wie es sie auch in den hochgelegenen Gebieten Darjeeling und Nuwara Eliya auf Sri Lanka gab: Britische, in Indien stationierte Beamte und Militärs flohen in den Sommermonaten vor der unerträglichen Hitze in den Großstädten wie Delhi oder Mumbai hierher. Und auch heute noch ist Ooty ein bekannter Urlaubsort mit unzähligen kleinen Herbergen, wenngleich der quirlige Verkehr nicht auf den ersten Blick Erholung nahelegt. Ruhiger als in Delhi ist es hier aber auf jeden Fall.

Shortbread, Toast und Mulligatawny Soup

Ooty heißt eigentlich Udagamandalam, die anglisierte frühere Form ist Ootacamund – meistens wird die Stadt aber einfach Ooty genannt. Hier wurde 1841 der legendäre Ootacamund Club eröffnet, hier soll Snooker erfunden worden sein. Es scheint, als ob sich in den Gemäuern des langgestreckten weißen Kolonialstilhauses seit damals nicht allzu viel verändert hätte. Gut, es gibt im Kaminzimmer Magazine wie „Good Housekeeping“, aber sonst: Jagdtrophäen an der Wand, Trennung in Damen- und Herrenräume, Sakko- und Krawattenpflicht für die Herren beim Abendessen (auch wenn sonst kein anderer Tisch besetzt ist).

Selbstverständlich hält man im Ooty Club zur Wahrung des Anstandes Leihsakkos schmalen Schnitts parat, die auch solchen männlichen Gästen aufgedrängt werden, die eher Schrankformat haben. Irgendwie geht es sich immer aus, eine Pflicht zum Knöpfeschließen gibt es noch nicht. Die braunen Leihkrawatten bestechen durch ihr Jagdhundmotiv, die „tea cosys“, quasi teekannengroße Eierwärmer, tragen fesches Schottenkaro. Die Weinkarte listet sogar indische Weine, man isst Toast mit Butter, Shortbread und die Mulligatawny-Suppe, die mittlerweileschon fast zur britischen Küche gehört.

Die Männer schauen zu

Die Fahrt nach Ooty hinauf – man erreicht das Hochland etwa via Flughafen Coimbatore – ist für Hobbybotaniker mit Faible für Düfte ein Fest: Ätherische Schwaden von Eukalyptuswäldern entlang der Straßen sind ebenso Teil der Anreise wie jener tröstlich-süße Duft, der von den vielen üppigen Mimosenbüschen mit ihren sattgelben Pölsterchen-Blüten ausgeht. Das Hochland der Nilgiris, auch Blue Mountains genannt, ist in vielen Teilen vergleichsweise wohlhabend, die Straßen sind bestens ausgebaut, die unzähligen kleinen flachen Häuser entlang der Hänge leuchten in ebenso unzähligen Zuckerlfarben, von Zyklam über Türkis bis zu Vanillegelb. In den oft sehr abschüssigen Teegärten der Nilgiris ist die Arbeitsteilung klar: Die Männer stehen herum und schauen zu. Die schwarzen Affen schaukeln hoch oben in den Bäumen und schauen zu. Und die Frauen in ihren bunten Gewändern pflücken. Mit flinken Fingern, immer nur die obersten drei Blätter, „two leaves and one bud“. Mit Stöcken markieren sie die schon bearbeiteten Büsche. Die Körbe, die mittels Gurt und Polster auf ihren Köpfen hängen, werden mit den Stunden immer schwerer.

Erstaunlicherweise (oder auch nicht, wenn man die Parallele zu vielen Kaffeeanbaugebieten kennt) ist der Tee, den man in den Nilgiris zu trinken bekommt, an fast allen Adressen schlecht – ob im teuren Country Club, im Privathaus der Fabriksmanager oder am Straßenimbiss. Die besten Qualitäten werden offenbar ausschließlich exportiert. Man kann das verschmerzen, wenn man sieht, was etwa Chamraj mit einem guten Teil des Umsatzes macht: Die konzerneigene Schule im Einzugsgebiet der Plantagen ermöglicht 1700 Kindern, auch solchen, deren Eltern keine Plantagenarbeiter sind, kostenlose Bildung – und zwar mit Chemie- oder Computerlabors, die viele Schulen hierzulande gern hätten, sowie Sportmöglichkeiten wie Cricket. Der Unterricht findet auf Englisch statt, programmiert wird ab zwölf Jahren, „damit unsere Kinder möglichst viele Chancen haben“. Verpflichtend für eine Teeplantage ist an sich nur eine Volksschule, die von Chamraj finanzierte Schule geht aber bis zum Level Pre-University. Das eigene Spital ist ebenfalls für alle Bewohner der Gegend offen, die Behandlungen sind sehr viel günstiger und professioneller als anderswo. „Wegen all dem“, witzelt der Manager, „sagen wir immer: ,Wir machen auch Tee.‘“ 

Reise Infos:

1. Engagiert. Die Teefirma Chamraj Estate unterhält mit einem Teil des Umsatzes eine außergewöhnlich gut ausgestattete Schule für 1700 Schüler. 70 Lehrer unterrichten dort auf Englisch. Der Unterricht ist kostenlos. Ebenfalls zum Engagement des Unternehmens gehört ein Krankenhaus.

2. Rarität. Teehändler Andrew Demmer hat sich eine Charge des raren Frost Teas sichern können. Die zarten Blätter werden nach dem Frost geerntet, das Aroma gewinnt durch den Kälteschock an Intensität. „Nilgiri Blue Mountain Frost Tea“ von Demmer, 100 g um 17,60 Euro. Etwa Mölkerbastei 5, 1010 Wien. www.tee.at

3. Marktvergnügen. Immer eine bunte Erfahrung: indische Lebensmittel- und Blumenmärkte.

4. Relikt. Im Ooty Country Club scheint die Zeit stillzustehen. Hier soll Snooker erfunden worden sein, es besteht Sakko- und Krawattenpflicht beim Abendessen, es gibt getrennte Damen- und Herrenräume. www.ootacamundclub.com

Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Demmer Tee.

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