Amanshausers Welt: 363 Vatikan

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Kleine Geschichten über große Locations

Das Interessante am Vatikan ist schon die Anfahrt. Ich meine damit den öffentlichen Bus mit der Nummer 64, der Touristen und Fanatiker gleichermaßen zur wichtigsten Kirche der Welt bringt. Die Nonnen- und Taschendiebsdichte ist hier wohl am weltweit höchsten. Man steht so eng aneinander, dass man den Überblick über seine Körperteile verliert. Einmal blickte ich an mir herunter, als ich sah, wie eine Hand in meine Tasche fasste. Ich hob den Kopf – und sah rings um mich drei völlig seriöse Männer in die Luft starren, Gentlemen, die man unmöglich eines versuchten Diebstahls bezichtigen konnte. Am Petersplatz selbst wundert mich dann immer (egal, was hängt), wieso der Papst so weltliche Werbetafeln zulässt: ein Teufelshund, der Feuer speit.

Ich bin ungetauft. Das ist ein gutes Gefühl für einen mitteleuropäischen Atheisten, die wenigsten von uns sind das ja. Diese Untaufe, die mich im Vergleich zu den meisten anderen um mich in einen speziellen Zustand gebracht hat, den ich nicht zu verändern gedenke, hindert mich nicht daran, das Amt des Papstes zu mögen und jedes Mal, wenn ich in Rom bin, den Vatikan zu besuchen.
Die Peterskirche verfügt auch in ihrem aktuellen Zustand der Überlaufenheit über etwas wunderbar Heiliges, dem sich Atheisten schwer entziehen können. An wenigen Orten fühle ich mich so katholisch wie hier. Ich ziehe mich gut an, wenn ich komme. Ich mag den Gedanken, dass die halbnackten Touris am Eingang aussortiert werden, ich finde ehrlich gesagt die Sortierungsregeln sogar etwas zu liberal. Ich freue mich auch an der clownesken Uniform der Schweizergarde, das ist noch eine Uniform, die ich mir einreden lasse.

In der Mitte der Kirche muss ich immer an den 63-jährigen Pensionisten aus Bari denken, der sich hier vor nunmehr fünfzehn Jahren erschoss. Zwar hatte sich eine Nonne von einer der Terrassen St. Peters gestürzt, und ein Chauffeur hatte sich drin im Vatikan die Kugel gegeben – nicht zu vergessen der Homosexuellenaktivist, der sich auf dem Petersplatz anzündete – aber dies war die erste vergleichbare Tat im Dom.

Die Familie des Selbstmörders war ratlos, die Medien auch. Ich aber verstehe den Mann, wenn ich auch seinen blutigen Frevel nicht billige. Es mochte ein getaufter Atheist gewesen sein, der den Widerspruch in sich mit diesem Schuss aufzulösen versuchte. Ein paar Stunden nach seiner Tat musste die Kirche im Rahmen einer geistlichen Generalsanierung neu geweiht werden.

Ort

Religion. Buslinie 64, Termini−San Pietro, Petersdom, Piazza San Pietro, 00120 Vatican City,
Vatikanstadt, Vatikan.

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