Amanshausers Welt: 372 Schweiz

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Kleine Geschichten über große Locations.

Erstens rate ich auf Reisen von Museen ab. Zweitens von Reiseführern, jedenfalls von einem zu breit angelegten Vorabstudium solcher Bücher. Diese beiden Auffassungen schüren regelmäßig Empörung. Immer wieder beschwören mich Leserbriefschreiber, dass die Führer von Marco Polo und Dumont doch beispiellos seien und man in Lusaka, Vientiane oder Windhoek unbedingt ins Nationalmuseum müsse, sonst Banause! Ich jedoch, unbeirrt wie ein Esel, rate weiter von Museen ab – und von Reiseführern, obwohl ich selbst einige besitze, letztlich auch. Doch eines Tages geschah ein Wunder. Ich fühlte anders. Bern stand diametral zu allem. Bern beschwor Museumsbesuche
herauf. Ich wollte rein!

Wie kam es dazu? Ich hatte mich bereits zwei Mal knapp vor der vollen Stunde zur Zytglogge gestellt, um das Glockenspiel anzusehen, immer erklang es enttäuschend kurz. Dafür stach mir die Obuslinie 12 ins Auge, die bis zum „Zentrum Paul Klee“ fuhr. Paul Klee liebe ich, seit ich einmal eine Kindheitszeichnung von ihm gesehen habe, auf der er aus Kinderperspektive die Erwachsenen mit langen Füßen bei den Knien abgeschnitten hat. Also bin ich eingestiegen.

Das Gebäude vom berühmten Architekten Renzo Piano war ein geschwungenes Wellending, eine Mischung aus Oper in Sydney und Hundertwasser-Therme. Drinnen gab es viel Ausstellungsraum, massenhaft Themen, Denkanstöße und Merchandising, ­aber nur eine ziemlich kleine Klee-Ausstellung, versteckt im Unterstock. Die Kindheitszeichnungen waren nicht dabei. Ich las, dass dieses Museum 4000 Klee-Arbeiten besaß und „ständig neue Klee-Ausstellungen“ zeigen konnte. Wie oft soll ich ab jetzt nach Bern kommen? Dreckshunde.

Wie jeder, der zu viel von seinem Reiseziel weiß, hatte ich übersteigerte Erwartungen. Ich wollte jetzt Paul Klees Grabstein auf dem Friedhof nebenan sehen, auf dem laut Reiseführer ein Zitat von ihm stand: „Diesseits bin ich gar nicht fassbar.“ Ich spazierte ein labyrinthisches Hügelchen hinauf, zur sogenannten Luft-Station, benannt nach einem Kleebild.

Oben erwartete ich das Grab, aber ich fand nur Luft vor. Ich verließ das Labyrinth, betrat das Friedhofsgelände nebenan, sah Kinder- und Babygräber – der Gedanke an deren Eltern schmerzte im Bauch –, aber nirgends eine Spur von Paul Klee. Sein Grab lag laut Reiseführer „etwas abseits“. Ich suchte dieses „abseits“ vergeblich. Ich rate von Museen ab – und von Reiseführern auch.

Ort

Museen und Reiseführer? Schlosshaldenfriedhof, Ostermundingenstraße 116, Zentrum Paul Klee, Monument am Fruchtland 3, Bern, Schweiz.

Tipp

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