Amanshausers Welt: 399 Deutschland

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Kleine Geschichten über große Locations.

Berlin, Alexanderplatz, Sonntag zehn Uhr morgens, der Tag nach dem Champions-League-Finale. Verkaterte Italiener, krächzende Raben, Straßenbahnen, ein Polizeiwagen. André Lauermann sperrt die City-Toilette auf, einen Quader mit mondänem Unterstock. Für 50 Cent darf man nun bis 21.30 im Disco-Ambiente den Bedürfnissen nachgehen. Lauermann, der heute erste Schicht hat (bis 15.30), wacht darüber, hält den Ort sauber und bleibt freundlich und cool. „Ist Quatsch, wenn ich hier einen Stress mache. Ich möchte es friedlich haben.“ Das schafft er, denn er hat Humor und eine besondere Gabe: Die Menschen vertrauen ihm. „Du brauchst Fingerspitzengefühl. Der eine ist betrunken, der andere nur lustig. Den Job kann nicht jeder machen.“
Aber 50 Cent hat nicht jeder? „Wenn einer kein Geld hat und aufs Klo muss, schicke ich ihn nicht weg“, bestätigt er, „oder sehr Alte, Kranke, Schwangere, Kinder.“ Aber sobald ihm jemand blöd kommt, sperrt er oben zu, und der Betreffende kann die Anlage nicht
verlassen.

Einmal kam ein Mann, der erzählte, dass er sich in diesem Bunker im Weltkrieg vor den Bomben versteckt hatte. Schon in den Zwanzigerjahren war es eine
Toilette, in DDR-Zeiten erneut, „aber ziemlich versifft“, wie Lauermann erzählt. Seit seine Firma vor acht Jahren den Standort übernahm, kamen 640.000 Frauen und 733.000 Männer.

Die Damentoiletten sind reinigungsintensiver. „Frauen sind einfach – wie soll ich sagen? – extremer. Liegt aber wohl daran, dass die Männer meist nur zum Pissoir gehen. Die meisten Leute sind aber okay, sie kommen ja nicht umsonst hier runter. Es drückt.“

Die groteskeste Begegnung hatte er, als ein Mann mit Krücken nach einer halben Stunde im Behindertenklo den Feueralarm auslöste. Lauermann hat die Toilette „zwangsmäßig öffnen“ müssen, wie es im Fachjargon heißt, und da ist der Typ vor ihm gestanden, die zwei Krücken nach oben haltend. Sie brannten wie Fackeln, da er viele Klopapierrollen um sie gewickelt hatte. Lauermann reagierte professionell: „Bist du Satan?“ – „Nö!“ – „Das ist mir jetzt zu blöd, ich hol die Polizei.“ – „Die suchen mich sowieso“, sagte der Fackelträger und humpelte davon.
„Es gibt schon welche, die versuchen die Klofrau“, sagt Lauermann und lacht, „zu bescheißen, ich scherz’ ein bisschen mit, und ein bisschen ärgere ich mich schon. Geht ja nicht. Die meisten freuen sich, dass es diese Toilette gibt und dass sie sauber ist.“

Ort

Menschenbedürfnis. City-Toilette Alexanderplatz der Wall AG, gegenüber der Urania-Weltzeituhr, barrierefrei mit Lift, 18 Toiletten und Wickelbereich, täglich ab neun Uhr, Sonntag ab zehn, Berlin.

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