Amanshausers Welt: 401 Kanada

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Kleine Geschichten über große Locations.

Ich bin mit Kate, einer jungen Pressefrau, im kanadischen Parlament, weil ich mir das eingebildet habe und sie mich begleiten muss. Wir warten auf die Parlamentssitzung, sie ist freundlich, aber man merkt, sie hätte Besseres zu tun. Sie erklärt mir, wieviel Kilometer Radwege Ottawa hat.
Ob ich weitere Informationen brauche?, fragt sie. Ich frage Kate also nach den kanadischen Parteien. Sie zählt sie auf. Sie sagt, dass sie sich total für Politik interessiert, und falls ich Informationen brauche . . . Ich frage sie, was sie wählt. Sie schluckt. Dann: „Das ist leider keine Information, die ich weitergeben kann.“ Einverstanden. Ich frage sie über den kanadischen Parlamentarismus
mit dem Mehrheitswahlrecht aus. Sie sagt, dass sie sich für Politik zwar interessiert, die technischen Details jedoch nicht kennt. Ich frage nach den ungefähren Prozentzahlen der großen Parteien bei der letzten Wahl. Ich spüre Kates
Verzweiflung. Sie sagt, dass die konservative Partei mehr als 50 Prozent der Sitze . . . Ich wende unhöflich ein, das
sei bei einem Mehrheitswahlrecht logisch. Sie meint, falls ich eine weitere Information . . . Ich frage, ob normale Gesetze auch in Kanada eine relative Mehrheit und Verfassungsgesetze eine Zweidrittelmehrheit benötigten? Sie sagt, dass sie das gerne nachfragen kann, falls diese Information für mich wichtig ist. Ich heule auf: „Information, information, I do not need information!“ Ich sinke zusammen: „I only wanted to talk.“ Sie lacht ziemlich komisch.

Auf der Besuchergalerie. Der Oppositionsführer ruft in Richtung einer fast leeren Regierungsbank: „What you said, was false. I know that it was false, every-body in here knows that it was false, you know that it was false.“ Großartig!

Kate fragt, ob sie mich zum Hotel zurückbegleiten soll – es ist dreihundert Meter entfernt, danke, nein – und falls ich noch irgendeine Information . . . Ich halte ihr meine Taxirechnung vor die Nase, die mir die Stadt Ottawa versprach zu ersetzen. Es ist ein läppischer Betrag, und während ich mich sehr kleinlich finde, frage ich sehr offiziell, wie wir das jetzt machen. Sie sagt, sie kann sich erkundigen. Verabschiedung. Wir stehen beim Händeschütteln ganz weit auseinander.

Später dachte ich manchmal noch an Kate, stellte mir vor, wie sie am Abend unseres Treffens vor dem Fernseher saß und meine Taxirechnung mit einer ­Hautschere in kleine dünne Streifen schnitt.

Ort

Besuchergalerie. Der Autor war eingeladen von Ontario Tourism und Ottawa Tourism;
House of Commons, Parliament Hill, Ottawa, Kanada.

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