Amanshausers Welt: 409 Deutschland

(c) Amanshauser
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Kleine Geschichten über große Locations.

Was würden Sie tun, wenn in Ihrem Stammlokal plötzlich ein Sexfilm gedreht würde? Ich saß in meinem „Haus am See“ (siehe auch Kolumne 403), arbeitete am Computer und trank wie üblich eine Rhabarber-Schorle mit Vanille – ich war tief konzentriert und kann nicht ausschließen, dass mir manchmal kurz die Augen zufielen.

So entging mir, dass sich der Raum mit bunten Figuren füllte. Als ich aufblickte, bevölkerten fünfzig Leute mein Lokal, tranken Bier und verlegten Kabel. Zwei Schauspielerinnen in Sexfilm-Outfit waren die auffälligsten Gestalten, dazu ein Regisseur, der Bryan Ferry ähnelte. Da ich davon ausging, dass sie ihren Film im hinteren Teil des Lokals drehten, setzte ich meine Arbeit fort. Als ich das nächste Mal aufblickte, waren wir bereits mitten im Dreh. Die Dunkelhaarige in Dessous führte die Blonde in einem Pferdegeschirr an mir vorbei, auf den Regisseur zu, der zugleich Hauptdarsteller zu sein schien. Auf dem Nebensofa begannen diese Personen, einander zu lieben und zu züchtigen. Ich bewunderte den Hauptdarsteller für seine Selbstsicherheit. Oder war es Viagra?

Ich versuchte, mich auf meinen Text zu konzentrieren, doch die dazugehörigen Geräusche waren störend. Gab ich als Komparse eine total lächerliche Figur ab? Jetzt sprang ich auf, wollte zahlen, die Kellnerin winkte ab, während der Aufnahmen sei alles gratis – ich flüchtete.

Drei Tage später kamen sie wieder. Die Crew, Bryan Ferry, neue Mädels. Ich nahm in der hintersten Ecke Platz, holte meine gratis Rhabarber-Schorle ab und arbeitete mit gesenktem Kopf – leider begannen sie auch diesmal wieder, direkt auf dem Nebensofa zu interagieren. Ich beobachtete die Vorgänge aus dem Augenwinkel. Bryan Ferry führte sein Mädchen herum und ließ ihm von Komparsen auf den Hintern schlagen, der bereits furchtbar rot gefärbt war. Einiges blieb mir verborgen, da es hinter der Sofalehne stattfand und ich mich aufzustehen scheute, weil das im Film allzu voyeuristisch gewirkt hätte.

Als es bald und erneut zwischen den Akteuren zum Äußersten kam, nahm ich weiter meinen Fotoapparat nicht hervor. Denn zwanzig Männer filmten die Szene mit Handys. Einer von denen wollte ich nicht sein. So fehlt mir das Bilddokument. Erst nach Ende des Drehs, als die Schauspielerin, noch immer nackt, sich für Selfies und Gruppenfotos zur Verfügung stellte, wagte ich einen Klick. Es ist so schade, dass wir Künstler so schüchtern, so verklemmt sind.

Ort

Neues Buch: Martin Amanshauser, „Der Fisch in der Streichholzschachtel“, Deuticke Verlag 2015.

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