Amanshausers Welt: 428 Tschechien

Reservation auf Englisch? Diesmal hat der Autor eine.
Reservation auf Englisch? Diesmal hat der Autor eine.(c) Martin Amanshauser
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Kleine Geschichten über große Locations.

Die Villa Tugendhat in Brünn, ein Bau von Mies van der Rohe aus dem Jahr 1929/30, wirkt von der Straße aus so richtig unschön. Am liebsten würde man die Abrissbirne schwenken und stattdessen eine der netten, verschnörkelten 19.-Jahrhundert-Villen aufbauen lassen. Nur ein Eisenpfahl mit Klingel und Sprechanlage deutet auf den Kulturerbe-
status hin. Läutet man, wird auf Englisch nach einer „reservation“ gefragt. Hat man eine, öffnet sich zehn Minuten vor Führungsbeginn ein hässliches Gitter. Man erhält sowohl ein Ticket als auch, per Maschine, einen Plastiküberzug für die Schuhsohlen.

Erst als die Führerin sagt, dass im Haus keine Bilder und Dekorationen vorgesehen waren, weil die Materialien selbst die Zierde seien, versöhne ich mich
mit dem Ort. Angesichts der schönen, klaren Formen des Badezimmers entschlüpft mir ein unwillkürliches Lächeln. Aber welches Gesicht machte Mies van der Rohe bei einem Besuch angesichts jener Perserteppiche  –  die längst entschwundene Innenausstattung der Villa wurde anhand von Originalfotos nachgestellt und nachgekauft –, die die Familie Tugendhat auf den schmucklosen Boden legte? Oder verräumten sie sie hastig, wenn Mies vorbeikam?

Gänsehaut muss bei jedem fühlenden Menschen der Glass Room erzeugen, ein Großsalon mit einer verglasten Front zum Garten hin – die man in den Boden versinken lassen kann. Total sinnlos, denke ich in diesem Moment, dass der Bau ein Museum wurde und dass zum Beispiel nicht ich hier wohne.
Ab 1939, die Tugendhats waren bereits vertrieben bzw. emigriert, kamen die Nazis in die Villa, Flugzeugbauer Willy Messerschmitt und ähnliche Giganten wohnten hier. Die Sowjets berieten laut unzuverlässigen Quellen im Salon Ochsen. Die tschechischen Kommunisten brachten immerhin einen Ableger des Kinderspitals unter. Die Postrevolutionstschechen hatten indes nichts Besseres zu tun, als den Trennungsvertrag mit der Slowakei hier unterschreiben zu lassen. Bei der anschließenden Erkundung des Gartens organisiere ich im Geist den Einzug meiner Familie in die Villa Tugendhat. Ich stoße auf einige logistische Schwierigkeiten. Vor allem die hohe Quadratmeterzahl schafft Probleme, und die Betriebskosten sind beträchtlich. Man braucht Personal. Als ich an den Seitenstiegen eine Koje für Securitys entdecke (Gefahr von Einbrüchen, Entführung der Kinder etc.), beschließe ich, doch nicht einzuziehen. Soll ein Museum bleiben.

Ort

Architektur van der Rohe. Der Autor wurde von der Tschechischen Zentrale für Tourismus
eingeladen, www.czechtourism.com, Villa Tugendhat, Černopolní 45, Brno/Brünn, Tschechien.

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