Amanshausers Welt: 430 Deutschland

Kind auf Stele. Ja, dürf’ ma denn das?
Kind auf Stele. Ja, dürf’ ma denn das?(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

An einem sonnigen Familiensamstag planten wir einen Touristenausflug durch Berlin. Wir stiegen bei Bellevue aus, durchquerten den Tiergarten zur Siegessäule (dem Denkmal, nicht dem schwul-lesbischen Stadtmagazin). Erstmals überlegte ich, wie dieser goldene Phallus zustande gekommen war, wann, verdammt, hatte Deutschland denn Kriege gewonnen? Ah ja, richtig, das hatte ich als Österreicher kurz vergessen, es handelte sich um Siege zur Zeit von Preußen, Militärstaat. Irgendwo musste der Stolz unseres damals kleinen Nachbarn schließlich hin.

Erstaunlich, wie ungebremst diese Siege, großteils errungen gegen EU-Mitgliedstaaten, weiterhin dargestellt werden, ohne dass das Deutschland von heute ein Stück Triumphalismus abschraubt. Im Osten der Stadt hat man doch Lenin abmontiert, ein guter Schritt zur Entpolitisierung des öffentlichen Raumes. Die westlichen Helden glänzen in dummer Pracht, und wer das Zeug betrachtet, versteht schon, wieso das alliierte Frankreich es nach dem Zweiten Weltkrieg sprengen wollte.

Weiter zum Mahnmal des Holocaust. Mitten im Stelenfeld überlege ich erstmals meinen Standpunkt. Ich sehe das Feld aus zwei Perspektiven. Und ich weiß heute nicht, welche ich vorziehe. Einerseits finde ich es künstlerisch unüberprüfbar, ausfransend-sinnlos, durch seine Bombastik respektlos den Opfern gegenüber. Andererseits finde ich es großartig. Der Holocaust ist mit den Mitteln der Bildhauerei ohnehin nicht darzustellen – in Wien scheiterte Alfred Hrdlicka daran – also passt eine großmannsüchtige Quaderlandschaft ganz gut.

Wir begehen, tragischer- oder positiverweise, je nach meiner changierenden Sicht, einen glänzenden Outdoor-Spielplatz. Denn einzig die Kinder verwenden das Denkmal adäquat. Sie jagen glücklich durch die Schluchten, obwohl Laufen eigentlich untersagt ist. Über die Einhaltung der Regeln wachen uniformiert-schnoddrige Aufseher. Mit Trial und Error findet man heraus: Niemals darf man sich auf sie stellen, sogar Babys, die man draufstellt, werden abgemahnt. Doch setzen darf man sich auf die Stelen. Die Aufseher überblicken längst nicht alles, sie administrieren da einen ziemlich willkürlichen Flohzirkus. Ist den Deutschen dieses schäferhündische, possenhafte Kontrollsystem zur Strafe auferlegt worden, eventuell von den Alliierten, um sie lächerlich wirken zu lassen? Nun, es geschieht ihnen – denke ich als erstes Opfer – oder uns? – eigentlich recht.

Ort

Vergangenheitsbewältigung. Spaziergang zur Siegessäule, dem Großen Stern, Tiergarten, und von dort zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Cora-Berliner-Straße 1, Berlin, Deutschland.

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