Amanshausers Welt: 465 Island

Der Tag, an dem ich hier irgendwo Daniel Brühl traf.
Der Tag, an dem ich hier irgendwo Daniel Brühl traf.(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

Ich habe ein Problem. Es ist eine Schwäche, offenbar von meinem Vater genetisch weitergegeben an mich. Sie heißt Prosopagnosie. So nennt man die „Gesichtsblindheit“, ein Unvermögen, Gesichter von Bekannten (oder auch von Prominenten) zu identifizieren. So wie viele Menschen sich Namen kaum merken, geht es mir mit Gesichtern. Ich muss lange, intensiv (oder mehrfach) mit jemandem gesprochen haben, um ihn oder sie später in der Öffentlichkeit zu erkennen. Auf Partys brauche ich viel länger als andere, die sofort alles überblicken, ich zittere wie ein Kaninchen: Wen kenne ich, wer von denen ist jetzt verdammt noch wer? Eine Mischung aus Bekannten und Unbekannten auf einem Haufen bringt mich in Stress, weil ich fürchte, jemanden nicht zu identifizieren und arrogant zu wirken. Und ehrlich, ein paar Mal Im Jahr kommt da draußen in der Ubahn jemand von euch auf mich zu, umarmt und (im schlimmsten Fall) busserlt mich ab, „Hallo Martin!“ Ich stammle dann unauffällig, „äh, lange her, wann nur haben wir uns das letzte Mal gesehen ... und wo?“

Im Internet absolvierte ich einen Prosopagnosie-Test – zum Glück bewege ich mich in den Ebenen der „leicht Betroffenen“. Mein Vater hatte das gleiche Problem, nur stärker. Oft erzählte er, wie ihm nach dem Begräbnis eines Freundes eine alte, stark mitgenommene Frau die Hand schüttelte, und wie er darauf entgegnete: „Erfreut, Amanshauser!“ Sie war die Gattin eines anderen Freundes, er war ihr Dutzende Male begegnet. Er kannte sie gut, er mochte sie.

An einem absurd warmen Septemberabend spazierte ich durch Reykjavík. Bars und Straßen waren voll bis zum Platzen. Ich wollte mir vom Tresen eines Lokals ein Bier holen, um es draußen zu trinken. Dabei stieß ich mit einem jungen Mann zusammen. Wir wechselten ein paar Worte, auf die ich kaum achtete, irgendwas Freundliches. Er war Deutscher. Er hob den Daumen, und ich ging mit meinem Bier davon.

Eine Frau aus meiner Gruppe sagte, sie sei fast in Ohnmacht gefallen, und ob ich mir ein Autogramm geholt hätte? Ich starrte sie überrascht an. Von wem? Na vom Daniel Brühl, sagte sie, und ich solle nicht so cool tun, es sei toll, dass ich mich getraut hätte, ihn anzuquatschen – was wir denn gesprochen hätten? Nebensächliches, antwortete ich, er sei nett. Ist doch unglaublich, dass der in Reykjavík ist!, rief sie. Na, irgendwo muss er ja sein, sagte ich cool und versuchte angestrengt, mich an Daniel Brühls Gesicht zu erinnern.

Ort

Prosopagnosie. Der Autor war Gast von Visit Iceland. Innenstadt-Lokal in Reykjavík, Island.

Neues Buch: Martin Amanshauser, „Typisch Welt, 111 Geschichten zum weiter Reisen“, Picus Verlag.

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