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Einsame Männer: Beistellung netter weiblicher Wesen.
Einsame Männer: Beistellung netter weiblicher Wesen.(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

Aus einem der Apartments im Rotunda-Turm (16. Stock) betrachte ich, teetrinkend, Birmingham. Hinter mir hängt überlebensgroß die schwarz-weiße Frau mit dem türkisen Stirnband. Sind die Bewohner der Apartments namens „Staying cool“ meist einsame Männer, zum Reisen verdammt – wie ich – denen man so ein nettes weibliches Wesen beistellt? Aber was wäre, wenn wir alle schwul sind?

Außer der türkisen schwarz-weißen Frau bringen mich noch die acht großen Orangen im Kühlschrank zum Grübeln. Hat die jemand vergessen? Oder spinnen die Besitzer von „Staying cool“ total? Ich meine, wenn wir schwul sind und uns so eine Posterfrau ärgert, wie reagieren wir dann auf die acht Orangen?

Der Weihnachtsmarkt auf der New Street wurde aus Frankfurt importiert, die Hütten heißen Adventkalender, ½ Meter Bratwurst, Frankfurter Schokoladeschmiede. Sie verkaufen Pfannkuchen, Faschingskrapfen („Berliner – filled donuts“), original german frankfurter sausage (sagen die Frankfurter nicht „Wiener“?), Pretzels, Marshmallow-Spieße, Feuerwürste, Gegrilltes auf Buchenholz. Unter dem Schild „Deutsches Brot“ frage ich nach, ob die Standlerinnen aus Deutschland kommen, nein, „von Transsilvanien . . . Dracula“, sagt eine und fletscht die Zähne. Neben den Aufschriften „Kirschwein, Heidelbeerwein, Himbeerwein“ lese ich, dass ich, hätte ich das Glück, als Trinkender für unter 25 gehalten zu werden, nach meiner ID gefragt werden dürfe und beweisen müsse, über 18 zu sein. Allerdings hält mich heute niemand für unter 25. Am Victoria Square stehen im Oberstock einer Holzhütte zwei Santa Clause. Sie singen auf Bayrisch ein Medley deutscher Weihnachtslieder, Jingle Bells und „Christus der Herr ist heut geboren, den hat der Herrgott auserkorn, fürchtet euch nicht“. Die Briten schunkeln romantisch, prosten einander mit Weißbier zu. Zwei Schilder am Ende der New Street warnen: „No alcohol beyond this point“ und „Cyclists Dismount“. Zurück im Apartment überkommt mich dieses mulmige Gefühl wegen der komischen Orangen und ich zwinkere meiner schwarz-weißen, türkisen Stirnbandfreundin unsicher zu. Sie reagiert nicht. Erst am nächsten Tag finde ich einen Flyer: „Don’t worry, we haven’t gone mad, the oranges are in the fridge to stay fresh and chilled“, sie seien zum Zerquetschen im „electric juicer“ bestimmt. Ha, ich zerquetsche also. Bin so froh, dass sie nicht verrückt sind. Frohe Weihnacht, Birmingham!

Ort

Deutsche Kultur. Der Autor war Gast von Visitbritain. Staying Cool Apartments, Rotunda Square, 150 New Street, Birmingham, England.

Tipp

www.amanshauser.at

Neues Buch: Martin Amanshauser, „Typisch Welt“, Picus.

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