Amanshausers Album: Von oben

Google Earth zeigt hier Paris von oben – bei einer Präsentation der neuen, verbesserten  App heuer im Whitney Museum of Art in New York.
Google Earth zeigt hier Paris von oben – bei einer Präsentation der neuen, verbesserten App heuer im Whitney Museum of Art in New York.(c) APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY
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Jeder hat Google Earth, keine Ecke kann noch überraschen. Gibt es bald nichts mehr zu entdecken?

Manchmal fliege ich in ca. 8000 bis 10.000 Meter über dem Meeresspiegel oder dem Erdboden. Falls mir die Flugbegleiterinnen nicht strikt verbieten, in den Abgrund zu blicken („there’s nothing to see out there“) beziehungsweise das Herunterfahren der Plastikjalousie verordnen, dann starre ich auf den Planeten Erde und gerate ins Grübeln. Überall da unten hat der Mensch kleine Quadratchen angelegt, in der Sonne blitzende Dächer errichtet oder Striche, gewunden oder schnurgerade, in die Landschaft gedroschen. Und alles das ist auf Google Earth! In menschenlosere Gebiete fliegend, zweifle ich an diesem Gedanken. Unter mir ist Wüste, Gebirge oder Steppe.

Die Welt, die ja durch ihre vollständige Vermessung „immer kleiner wird“,
wie es gerne heißt, wirkt bei genauerer Ansicht total riesig, absolut
unüberblickbar, unendlich groß ... nicht nur aus Höhenperspektive, sondern auch für die Erdlinge da unten. Wir Menschen sind, zu diesem Schluss muss jeder Fliegende kommen, ein Volk mit massenhaft Raum. Ich will damit sagen, dass auf diesem Planeten, solange wir nur knapp zwei Meter Höhe erreichen, die Furcht, es werde eines Tages jeder Ort erforscht, kartographiert, kontrolliert sein, obsolet ist. Nicht einmal der 16. Bezirk Wiens, in dem ich das hier notiere, ist doch für mich in diesem Leben überblickbar. Wie sollte ich ein so begrenztes Gebiet je bewältigen? Unmöglich – doch als Neugieriger werde ich immer Unentdecktes finden.

Daher bin ich überzeugt davon, dass weder Google Earth noch irgendein
Einwohnerregister dafür sorgen wird, dass wir nichts mehr entdecken, im Gegenteil, dauernd kommen weitere Tiere, Gegenstände, Texte und Wolken mit Wassertropfen hinzu. Einiges wird uns bekannt sein, anderes jedoch brandneu, und so wird es endlos dahingehen, bis unsere Sonne sich in den Feuerball verwandelt. Keine Angst, bis dahin wird es noch mehrfach großartige Billigflugangebote geben, und jemand wird uns hypermoderne Drinks erfinden, denn immer wieder wird sich alles erneuern, nein, ich fürchte mich da absolut null.

www.amanshauser.at

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