Indien: Wo der Pfeffer wächst

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Südindien durch die Küchentür: Eine Reise ins Land von Palmenhainen, Gewürz- und Gemüsegärten, fabelhaften Currys und großartigen Köchinnen.

Am frühen Morgen ist das Geschrei der Krähen über der Altstadt von Kochi lauter als das Konzert der Autohupen. Auf dem weiten Platz vor der St. Francis-Kirche, der ältesten Indiens, spielen Buben Fußball. Es ist eine magische Stunde, bevor der Tag die auf mehreren Inseln gelegene Hafenstadt in Lärm und Hitze hüllt. Am Ufer ziehen Fischer große Netze aus dem Wasser: mit Steinen als Gegengewichten und der vereinten Kraft mehrerer Männer. Heute zappeln in den meisten Netzen nur ein paar einsame Rote Schnapper –  so bleibt Zeit, den Ausländern zu zeigen, wie man in Kochi seit 700 Jahren fischt. Einmal gibt es mehr, einmal weniger Fisch, das hängt auch von der Jahreszeit ab.

Vorsichtig balancieren einige Touristen auf dem hölzernen Gerüst und lassen sich fotografieren, bemüht, nicht in die bräunliche, übel riechende Brühe zu fallen. Stärker noch als den Augen offenbart sich Indien der Nase als das Land schärfster Kontraste. Zurück im Hotel duftet es nach frischer Dosa, einer hauchdünnen Teigrolle, die mit zwei Sorten Kokos-Chutney zum Frühstück gereicht wird. Auch Südindien prägen drei zentrale Merkmale des Subkontinents: freundliche Menschen, erstaunlicher Schmutz und großartiges Essen. Der Bundesstaat Kerala ist das Land, in dem buchstäblich der Pfeffer wächst, und außer dieser Schote, die hier „König der Gewürze“ genannt wird, auch Zimt und Zitronengras, Muskatnuss, Kurkuma und Kreuzkümmel. Um nur einige zu nennen. „Land der Kokosnuss“ heißt Kerala wörtlich übersetzt. Kokoshaine prägen die Landschaft, sobald die Straßen Kochis im Rückspiegel verschwinden. In Form würziger Chutneys, als Kokosöl im Topf und Palmzucker oder Kokosmilch im Curry begleitet die Kokosnuss Reisende von einer Mahlzeit zur nächsten. „God’s own country“ nennen die 32 Millionen Bewohner des südindischen Bundesstaats ihre Heimat. Das mag ein wenig übertrieben sein. Doch mit einer Alphabetisierungsquote von 82 Prozent, einer geringeren Kindersterblichkeit als in mancher Industrienation und einer Lebenserwartung von 72 Jahren – gedrosselt wird sie vermutlich nur von den Realitäten des Straßenverkehrs – sind hier viele der Probleme des Subkontinents nicht existent.

Börsenhandel. Und eines steht fest: Die Küche Keralas trägt göttliche Züge. In Kochi wird der Pfeffer bis heute an der Börse gehandelt. In dem kleinen Gebäude in der Altstadt stapeln sich allerdings keine Pfeffersäcke. Vielmehr wird das kostbare Gewürz am Bildschirm verschoben. Schließlich liegt Indien im Bereich der Informationstechnologie ganz vorn. Dass die neuzeitliche Pfefferbörse sich hinter einem Tor im alten jüdischen Viertel Kochis verbirgt, ist ein typisches Beispiel für die verwirrenden Gegensätze, die der Subkontinent ganz mühelos vereint. Auch das Haus von Nimmy und ihrem Mann Paul, die zur syrisch-christlichen Bevölkerung Keralas gehören, folgt der Gesetzmäßigkeit des Gegensatzes. Wie eine Insel ruht es im tosenden Verkehrslärm von Ernakulam, der Neustadt Kochis. Im Wohnzimmer begrüßt Nimmy in einem hellen Sari mit Goldrand ihre Gäste. Seit 1997 öffnet die 48-jährige Kochlehrerin ihre Küchentür regelmäßig für Touristen, die die Geheimnisse südindischer Kochkunst ergründen wollen. Auch der amerikanische Schriftsteller Paul Theroux saß schon auf Nimmys Küchenbank und machte sich Notizen. „Ich habe schon als Kind gerne gekocht“, erzählt sie, während sie einen erfrischenden Aperitif aus Kumquats, Wasser und Zucker mixt. Das war im ländlichen Kerala, zwei Stunden südlich von Kochi. „Ich bin ein Mädchen vom Land, in der Stadt überlebe ich nur.“ Der große Garten, in dem sie zwischen Blütenfluten Gewürze und Gemüse zieht, hilft ihr dabei.

Curry ist kein Gewürz. Nimmys Küche ist klein, aber mit dem roten Steinfußboden, den Antiquitäten, Bildern und Familienfotos urgemütlich. Meen Molee, Fisch in Kokosmilch, steht heute auf dem Programm, dazu Appam  – dünne Reisfladen, ein Auberginencurry, außerdem Biriyana, eine Art Gemüseeintopf mit Lamm. Nimmy wirbelt mit Tontöpfen und Gewürzen herum, während sie Grundsätzliches erklärt. Zum Beispiel, dass Garam Masala kein Gewürz ist, sondern eine Mischung der wichtigsten Aromen der indischen Küche (Kardamom, Zimt, Nelke, Anis, Pfeffer und Muskatnuss), die je nach Region und Geschmack unterschiedlich ausfällt. Curry ist natürlich auch kein Gewürz, auch wenn man in Europa gleichnamige Würzmischungen in kleinen bunten Dosen kaufen kann, sondern ein Gericht. Für das Fischcurry dünstet Nimmy Fisch in geklärter Butter und Sonnenblumenöl mit Zwiebeln, frischen Chilischoten, Ingwer und Curryblättern an. „Die Curryblätter kann man nicht ersetzen“, erklärt sie. „Wenn Sie zu Hause keine bekommen, lassen Sie sie weg. Sie intensivieren den Geschmack, verändern ihn aber nicht.“ Die scharfen Chilischoten entkernt sie nicht: „Das käme mir vor, als würde ich sie zerstören.“ Trotzdem ist das Essen, das Nimmy schließlich serviert, zwar eine Explosion ganz unterschiedlicher Geschmackserlebnisse, aber nur mäßig scharf. Am Wetter liegt es, erklärt sie: Es ist heiß heute, da kocht man mild.

Der Duft frischer Blätter vom Currybaum (Bergera koenigii) ist ständiger Begleiter auf der Reise durch Kerala. In Thekaddy sogar am Straßenrand. In dem kleinen Ort in den Ghats, den Bergen, der am Rand des Nationalparks Periyar an der Grenze zum Nachbarstaat Tamil Nadu liegt, wächst von Pistazien bis Rhabarber einfach alles, was sich im Kochtopf verarbeiten lässt. Vor allem aber Tee und Pfeffer. Wie groß geratene Bonsais sind Tee­pflanzen akkurat in die Hügel getupft. Dazwischen rankt sich Pfeffer an Baumstämmen empor. Auf knapp ­
1000 Metern Höhe ist die drückende Hitze der Küste angenehmer, fast kühler Luft gewichen. Nur das allgegenwärtige Hupen und die bunten Saris der Frauen erinnern daran, dass dies noch immer Indien ist. Die richtige Gegend also für scharfe Currys. Wie hatte Nimmy gesagt: „An kühlen Monsuntagen verträgt man scharfe, schwere Speisen.“ Ayurvedische Prinzipien prägen in Indien nicht nur die traditionelle Medizin, sondern auch die Ernährung. Die Ökolodge The Spice Village hat sich zusätzlich dem Umweltschutz verschrieben. Der Pool ist frei von Chlor und Salz, die Lampenschirme in den Zimmern sind aus Altpapier, das im Biogarten mit einer Papierpresse recycelt wird, im Restaurant 50 Mile Diet wird nichts serviert, was auf dem Weg in die Küche mehr als 80 Kilometer zurücklegen musste.

Das ist auch gar nicht nötig. Die mit Elefantengras gedeckten Cottages liegen in einem Garten, der alle botanischen Wunder Südindiens vereint. Während im Baum neben der Terrasse Äffchen herumspringen, trägt Küchenchef Raju Kumar ein „Tali“ auf: Probierportionen diverser Currys, die um eine Schale Reis angeordnet sind: Huhn in Kokosnuss-Soße, Fischcurry, Lamm, Gemüse. Zum Dessert gibt es Palada Payasam, eine Crème aus Reismehl und Milch mit Kardamom, getrockneten Früchten, frischer Papaya und Cashewnüssen.

Kardamom ist die Königin der Gewürze an der Seite von König Pfeffer, erklärt Hausbiologe Prateesh bei einer Tour durch den Kräutergarten. Ab 500 Metern Höhe gedeiht die Pflanze, deren Kapseln frisch gepflückt schmecken wie Mundwasser. Zwischen Touren in den Nationalpark, in dem sich außer Elefanten 40 scheue Tiger verbergen, stehen auch hier Kochstunden auf dem Programm. So muss kein Gast ohne die Rezepte für (höllisch scharfe) eingelegte Rote Rüben, junge Kartoffeln mit geraspelter Kokosnuss und ingwer- und chililastigem Masala sowie „Karimundan Beef Slice“ ins Tal zurückkehren. Karimundan bezeichnet eine schärfere Pfeffervariante, Beef das Fleisch des Tiers, das in Indien unter besonderem Schutz steht. Auch in Kerala ist die Kuh heilig, aber nach
450 Jahren europäischen Einflusses und einer zahlenstarken christlichen Bevölkerung eher auf dem Papier als auf dem Teller.

Syrische Christen. Auch Aniamma und Anu
Mathew sind syrische Christen. Ihre  Ahnen wurden bereits im ersten Jahrhundert christianisiert. Aniamma, „Mummy“ genannt, und ihre 39-jährige Schwiegertochter Anu betreiben auf einer Insel in den Backwaters in der Nähe von Kumarakom Philipkutty’s Farm, eine Biofarm und sechs mit Antiquitäten eingerichtete Gästevillen am Ufer des Sees Vembanad. Es ist ein märchenhafter Ort: Indien ohne Autos, ohne Mofas, ohne Hupen, sogar ohne Müll. Zu erreichen ist das paradiesische Inselchen voller Palmenhaine, Bananen-, Kakao- und Vanillepflanzen per Vallam, dem traditionellen Boot, das wie eine Gondel mit einem Holzstab bewegt wird.

Im Haupthaus, wo die Familie mit den beiden Kindern Anus wohnt, tragen die beiden Mrs. Mathews für ihre Gäste an einem runden Tisch wundervolle Mahlzeiten auf. Fotos von Mummys Mann Philip, der der Farm den Namen gab und 1997 starb, und ihrem Sohn Vinod, der das Gästehaus begründete und 2005 einem Herzinfarkt erlag, erzählen von den Schicksalsschlägen der Frauen. Mummy unterweist in einer offenen Küche die Gäste der Farm im Kochen. Heute Abend hat sie Fischcurry und gehackten Kohl mit grünen Chilischoten, geraspelter Kokosnuss, Curryblättern, Senfsamen und getrockneten roten Chilis zubereitet, zwei Klassiker der syrisch-christlichen Küche. Über frittierten Okras, Linsencurry, Appam und Fisch tauschen sich die Gäste bald wie alte Bekannte mit Anu und Mummy über ihre Erfahrungen in Südindiens Küchen aus. Keine Frage: Das Essen bringt die Menschen zusammen. 

Tipp

Naiv. Masken aus Kochi, Kerala; Patchwork - Frosch.

Farbenpracht. Traditionelle Saris gibt es etwa bei www.neetalulla.com

Nahrhaft. Masala dosa - Palatschinke aus Linsenmehl, gefüllt mit Erdäpfelpüree. Im Henkelmann (Indisch: Dabbas) praktisch für die Mittagspause.

Anreise. Wien–Mumbai–Wien ab etwa 780 Euro mit Qatar Airways über Doha. qatarairways.com

Reisezeit.Ganzjährig tropische Temperaturen; März bis Mai sehr heiß. Juni bis Oktober öfter Regen, niedrigere Preise.

Logieren. Wunderschön ist das historische Malabar House in Fort Kochi, das seine südindische Küche mit europäischen Einflüssen verbindet, ideal für Einsteiger (DZ/F ab 150 Euro, malabarhouse.com).
The Spice Village in Thekaddy bietet auch Touren in den Nationalpark, Jeep-Safaris und Ausflüge mit dem Ochsenkarren (cghearth.com, DZ/HP ab 130 Euro).

Auf Philipkuttys Farm, 75 km vom Flughafen Kochi, kostet die Nacht mit Vollpension 110 Euro pro Person im DZ. Auch hier werden Kochkurse und Bootsausflüge geboten (philipkuttysfarm.com).

Pauschal: Diese Reise wurde von enchanting-india.com ermöglicht.
Andere Anbieter: Kneissl Touristik, Ruefa, Meier‘s Weltreisen.

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