Macau: Der Cotai-Wahnsinn

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Luxusstadt, Boomtown und reizvollste Mischung der Welt –
das portugiesisch-chinesische Macau.

Von all den Inseln an der Mündung des Perlflusses ist Macau, historisch gesehen, die interessanteste. Bis ins 13. Jahrhundert war sie unbesiedelt. Doch nicht weit von hier fand 1279 bei Yamen eine der großen Seeschlachten der Weltgeschichte statt. Die ehrwürdige Song-Dynastie unterlag den Mongolen unter Kublai Khan. Der siebenjährige Kaiser Bing wurde von seinem Premierminister bei einem gemeinsamen selbstmörderischen Wassersprung ertränkt. Das Fußvolk der Song-Dynastie, um die 50.000 Menschen, ließ sich auf der unbewohnten Insel nieder, die Spuren verblassten allmählich, und 1516, als die Portugiesen Macau anliefen, fanden sie nur noch einige Fischer vor. Die Insel wurde nie zu einer klassischen Kolonie, Portugal zahlte für den Handelsstützpunkt Steuern an China. Die fremde Administration war gern gesehen, weil sie die Piratengefahr am Perlfluss eindämmte. In Macau stand in jeder Epoche eine krasse Minderheit an Portugiesen überwältigend vielen Chinesen gegenüber. Heutzutage mag man sich fragen, ob Macau je portugiesisch war – ganz bestimmt war es ab 1565 jesuitisch. Im Colégio de São Paulo studierte zum Beispiel Pater Ricci, der das erste chinesische Wörterbuch verfasste. Der Aufstieg der benachbarten britischen Kronkolonie Hongkong (ab 1842) beschädigte den Stellenwert des Umschlagplatzes, die Bewohner Macaus mussten sich etwas einfallen lassen. Also legalisierten sie Mitte des 19. Jahrhunderts das Glücksspiel.

Ein Casino Hongkongs. Die Politik Chinas gegenüber dem Glücksspiel war denkbar rigide – Wohlhabende fanden aber immer Wege, ihr Geld aufs Spiel zu setzen. Eine Reise nach Macau stillte solche Bedürfnisse, zunächst beim legendären chinesischen Glücksspiel Fan-Tan, später immer mehr bei westlichen Spielen. Unter der alten Monopolgesellschaft „Sociedade de Jogos de Macau“ (SJM) wurde im 20. Jahrhundert eine Basis für ein kleines „Monte Carlo des Ostens“ geschaffen. Mit Schnellbooten (Jetfoils, eine Stunde Fahrzeit statt drei Stunden mit der herkömmlichen Fähre) kamen die Hongkonger zum kleinen Bruder und warfen in den Casinos ihr Geld aus dem Fenster.

Nach 1945 versuchten die Portugiesen mehrere Male, den schwer zu verwaltenden Klotz an China zurückzugeben, allein, die Chinesen wollten Macau nicht nehmen. Erst in den Achtzigern einigte man sich auf den 20. Dezember 1999 als Übergabetermin, zwei Jahre nach Hongkong. Macaus Bewohner befürchteten schwierige Zeiten, waren sie doch nun eine Sonderverwaltungszone und von Peking abhängig – doch die kommunistische Zentralregierung machte das, was sie am besten kann, sie agierte kapitalistisch und liberalisierte das Glückspielmonopol. Neben der SJM Holding erhielten drei Player aus Las Vegas (Venetian/Sands, MGM und Wynn), ein Joint Venture zwischen Hongkong und Australien (Melco Crown) und ein Hongkonger Unternehmen (Galaxy) Lizenzen. Und heute erweist sich, dass für alle diese Riesenbauten Bedarf besteht. 30 Millionen Besucher kommen jährlich, die meisten aus Festlandchina und Taiwan. Die Immobilienpreise im Zentrum haben sich in den 15 Jahren seit der Übergabe verzehnfacht.

Nebenbei wurde das Staatsgebiet verdoppelt. Macau, noch vor einem Vierteljahrhundert auf 15 Quadratkilometern Fläche gelegen, hat nun an die 30 Quadratkilometer, die Inseln Taipa und Coloane sind zu einem Wasserkopf zusammengewachsen. Zauberwort „Land Reclamation“ – man trägt Berge in Festlandchina ab und schüttet sie in die seichten Lagunen. In Taipa Village kann man heute noch die Avenida da Praia, die ehemalige Küstenpromenade, besichtigen. Ein bizarrer Anblick, denn ihr fehlt nur eines, das Meer.

Der Cotai-Wahnsinn. Cotai ist ein Kunstwort, verschmolzen aus den Inseln Coloane und Taipa. Vor 20 Jahren fand man hier Gemüsefelder und Hühnerfarmen. Heute erheben sich dort die Geldmaschinen, die aus Macau das Land mit dem höchsten BNP Asiens gemacht haben. Die gute, alte SJM hält sich auch nicht zurück. Gemeinsam mit Versace baut sie gerade an einem Turm namens Palazzo Versace, der 2017 fertig werden soll, eine neoklassizistische High-End-Unterkunft, das erste von einem Modehaus entworfene Luxushotel in Macau. Kalkül dahinter: Die Chinesen lieben Modelabels, in den Hotels kompetieren bereits Flagship-Stores von Prada, Burberry, Cartier, Chanel, Armani und Gucci.

Unübersehbar in Führung liegt das Venetian (sprich: Winí-schn), mit 50.000 m2 Spielfläche das größte Casino der Welt. Hier befindet sich jeder fünfte Arbeitsplatz Macaus. So wie das originale Venetian in Las Vegas dem Ursprungsvenedig nachempfunden wurde, so gleicht das chinesische dem von Las Vegas. Vor dem Riesengebäude steht ein Campanile, etwas höher als der originale, trotzdem winzig wirkend, davor ein nachts beleuchteter Lagunensee. Im zweiten Stock des Einkaufsparadieses geht man durch einige venezianische Straßenzüge und Brücken, in den Kanälen fahren Gondeln, auf denen philippinische Tenöre „O sole mio“ singen. Zwischen Rialto und Marcusplatz erstreckt sich eine Shoppingwelt, wie sie das echte Venedig mit seinen schwerfälligen Immobilien und feuchten Kellern, algig, stinkend und voll Ratten, niemals bieten könnte. Wieso noch good old Europe?

In China hat Roulette keinen hohen Stellenwert, denn es gilt als Kinderspiel – und die einarmigen Banditen, die in der westlichen Hemisphäre regieren (und etwa die Hälfte der Einnahmen in Las Vegas ausmachen), stehen im Ruf der Unredlichkeit und bringen nur fünf Prozent des Gesamtumsatzes ein. Das Glücksspiel der Region heißt Baccara, ein auf Laien kompliziert wirkendes Kartenspiel, bei dem die Bank ebenso wie überall anders gewinnt, bei dem aber die Einflussmöglichkeiten höher scheinen. Große Umsätze werden – man weiß das hinter vorgehaltener Hand – allerdings auch aus anderen Gründen gemacht. Reiche Festlandchinesen können in Macau ihr Schwarzgeld, indem sie es zunächst in Spielgeld wechseln, zu Dollarscheinen transformieren. Das gewaschene Bargeld bringen sie in Koffern außer Landes, die Kleinen selbst, die Großen mithilfe von Strohmännern. Der Bedarf, Bargeldbesitz in den Besitz amerikanischer Immobilien umzuwandeln, ist momentan hoch.

Ungebremster Boom. Macau hat heute 600.000 Einwohner und mit 84 Jahren die zweithöchste Lebenserwartung der Welt, was auch gut zum höchsten Haushaltsüberschuss passt. Gäbe es ab sofort keine Einnahmen, könnte Macau aus den Reserven sechs Jahre Budget ohne Einnahmen weiterbestreiten. Doch es gibt sie, die Casinosteuer fließt, eine Quellsteuer von ca. 40 Prozent. Dafür beträgt die höchste Abgabenquote zwölf Prozent, was bedeutet, dass die Durchschnittsverdiener gar keine Steuern zahlen. Im Gegenteil, jeder Staatsbürger bekommt jährlich einen Anteil am Budgetüberschuss, „wealth sharing scheme“ heißt das, eine Einnahmenbeteiligung von umgerechnet immerhin ein paar hundert Euro. Auch das Pensionssystem ist „flat“ gestaltet, jeder Mensch über 65 erhält monatlich 500 Euro „Altersgeld“, unabhängig von Beruf oder Einkommen.

Eine Oase im Gewusel der Stadt, den hupenden Autos, klingelnden Rikschas, donnernden Bussen, ist der Lou-Lim-Ieoc-Garten aus dem Jahr 1906, eine Art Gegengift zu französischen Barockgärten. Schmale Gehwege zwischen Bäumen, Lotusteichen und einem Teepavillon mit -museum, über das Wasser eine winzige Brücke mit neun Kurven, um die Geister abzuschütteln. In den Morgenstunden praktizieren alte Damen Tai-Qi-Übungen, vormittags spielen die Pensionisten Mahjong. Zwei Schritte nach draußen, und man steht an einer Durchzugsstraße mit kleinen Cafés auf Berliner Art, freundlichen Nudelsuppenlokalen und alten Papierhandlungen. Das Straßenleben geht seinen eigensinnig chinesischen Gang. Auf dem Roten Markt werden die Schweinsfüße aufgespießt, als wären sie der tägliche Renner – und in den anliegenden Straßen werden indonesische und philippinische Spezialitäten verkauft.

Das Zentrum Macaus sieht aus wie vor hundert Jahren – chinesisch überformter portugiesischer Kleinstadtflair, einzigartig für China und für die Welt. In der charmanten Fußgängerzone drängen sich die kleinen Hongkonger Modelabels für die Massen, dahinter Kekshandlungen, Medizinshops, getrockneter Fisch, lackierte Enten, glänzender Schinken. Die Straße führt steil nach oben zu den Ruinas de São Paulo, der einst mächtigsten Kirche Asiens, 1835 bei einem Feuer, das einem Taifun folgte, bis auf die eine, stolz stehende Vorderfassade, abgebrannt. Die Atmosphäre in der beschaulichen Innenstadt hat sich kaum gewandelt. Wer durch das Gelände des guten alten Tempels der Göttin A-Má mit seinen steilen Steinstiegen spaziert, auf dem die Räucherstäbchen verbrannt werden, würde nichts von einem Boom bemerken. Und auch auf dem Farol da Guia, dem dicklichen portugiesischen Leuchtturm aus dem 17. Jahrhundert, steht die Zeit still. Er befindet sich am höchsten natürlichen Punkt von Macau. Früher wurde sein Licht von einer Paraffinlampe erzeugt, gedreht auf einem Holzrad mit Muskelkraft. Er sieht so gemütlich aus, man möchte ihn streicheln.

Küche. Die Chinesen übernahmen das Beste aus beiden Kulturen und erzeugten die macanesische Fusionsküche, die sich aus alentejanischen Hausmannsgerichten, kantonesischen Spezialitäten und Dim Sum (hier Yam Cha) zusammensetzt. Manchmal kommt noch ein afrikanisches Element dazu. Die Einheimischen essen aber immer noch am liebsten in den Garküchen auf der Straße, die hier Dai Pai Dong heißen: Fleisch- und Meeresfrüchtespieße, scharfe Saucen und Nudelsuppen. Die Pasteis de Nata übrigens könnten aus Lissabon oder dem Alentejo stammen.

Name Macau hat etliche Schreibweisen. Im alten Portugiesisch: Macao. Seit einer Rechtschreibreform: Macau. Auf Chinesisch: Àomén. Offiziell: Zhōnghuá Rénmín Gònghéguó Àomén Tèbié Xíngzhèngqū, also Sonderverwaltungszone Macau der Volksrepublik China. Reise: Derzeit keine Direktflüge von Europa, doch Cathay Pacific fliegt Frankfurt–Hongkong. Mit Jetfoils (Schnellfähren) in einer Stunde vom Airport bzw. von Kowloon/Hongkong Island nach Macau.

Info: Fremdenverkehrsbüro Macau: +49/611/2676730, www.macau-info.de

Der Autor wurde für die Reise vom Macau Government Tourist Office und dem Fremdenverkehrsbüro Macau eingeladen.

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