Kambodscha: Unerschlossen

A man walks past the Royal Palace in Phnom Penh
A man walks past the Royal Palace in Phnom Penh(c) Reuters (SAMRANG PRING)
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Kambodschas Attraktionen neben Angkor sind zunehmend die quirlige Metropole Phnom Penh und die zahlreichen idyllischen Inselchen im Golf von Thailand.

Phnom Penh, lokal Phnum Pénh, zwei Millionen Einwohner, Hauptstadt Kambodschas, hat diesen gruseligen Beigeschmack. Eine Stadt, die während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer (1975–1978) unter dem Vorwand eines drohenden US-Angriffs binnen weniger Tage auf ein paar tausend Einwohner reduziert wurde. Nur Militär- und Parteiführer, dazu einige tausend Fabrikarbeiter, durften in den Apriltagen 1975 bleiben. Nach einer Reform des Justizsystems blieb im Sinne der Vereinfachung als einzige Strafe die – Todesstrafe. Die Intellektuellen im weitesten Sinne, auch alle Brillenträger standen unter Bildungsverdacht, wurden ermordet oder aufs Land umgesiedelt, wo eine glückliche Gesellschaft aus Reisbauern entstehen sollte, eine voll kontrollierte Welt mit gleichgeschaltetem Haarschnitt und zugeteilten Ehepartnern, ohne Geldverkehr, ohne technische Geräte oder Krankenhäuser.

Nach dem Zusammenbruch des Experiments waren durch Hungersnöte und Massenmorde mehr als 1,5 Millionen Tote zu beklagen. Seitdem hat die Wortkombination Phnom Penh, aber auch die Silbenfolge Kambodscha, Cambodia, Kâmpŭchéa, etwas an sich, das einem ein bisschen die Knochen klappern lässt. Viel Spaß in Kambodscha? Klingt immer noch bizarr. Auch vor dem Hintergrund, dass sich mit Hun Sen ein Roter Khmer der ersten Stunde seit 1985 an der Macht hält, der mehrmals beim Versuch, sich zu legitimieren, die dazugehörigen Wahlen verloren hat. Hun Sen steht für die Versöhnung nach dem Großverbrechen, die in seiner Interpretation sehr viel mit Amnestie zu tun hat, er steht für Korruption und Ausplünderung, aber auch für Stabilität.

Viel Spaß in Phnom Penh? Selbstverständlich. Wer die Killing Fields abgehakt und den Königspalast mit der Silberpagode besucht hat, kann sich heutzutage den maßgeblichen Werten des Lebens widmen. Im Falle der Hauptstadt, die bis vor wenigen Jahren als verschlafen galt, aber heute aus allen Nähten platzt, sind das die Märkte. Kurze Warnung: Sie bieten kaum Waren, die Touristen zu benötigen glauben. Schon das allein ist ein gutes Zeichen. Der Zentralmarkt oder „neue Markt“, Phsar Thmei, ein weitläufiger Art-déco-Kuppelbau (1935–37) aus französischer Kolonialzeit, steht zwischen den vibrierenden Verkehrsadern wie ein unbekanntes Flugobjekt mit Spinnenarmen. Hier wird mit allem gehandelt, hier befinden sich die angesagtesten Friseurläden, hier spielt sich das tägliche Leben ab. Hinter Bergen von Litschis, Bassins von Krebsen und einem Ozean an frischem, grünem Salat schläft eine Dreijährige in der Hängematte. „Children are not tourist attractions“, befindet eine kambodschanische Kampagne, in der ein Typ mit einem Penisobjektiv hübsche Vorschulasiatinnen fotografiert. Also Kamera weg!

Auf dem Russischen Markt im Süden der Stadt, dem Phsar Toul Tom Poung, kann man eventuell Originalware aus einer der kambodschanischen Kleidungsfabriken erhaschen, die, oft mit chinesischem Kapital, für die großen Modelabels produzieren. Zwischen den Originalen liegen allerdings die Kopien, wohl nur für Kleidungsforscher des 21. Jahrhunderts unterscheidbar. In den Achtzigerjahren begannen Russen, die einzigen geduldeten Ausländer in Kambodscha, an dieser Stelle Exportprodukte aus dem Sozialismus anzubieten. Inzwischen verirren sich Russen nur als Käufer hierher. Sie geben heute selbst ihr Geld als Touristen aus – zum Beispiel am Fluss Tonle Sap, der weiter vorne in den Mekong mündet, im Vergnügungsviertel um den Sisowath Quay, der belebten Waterfront, im dreistöckigen Foreign Correspondent Club, einst Journalistentreff, heute als FCC jedem bekannt.

Fisch Amok. Daneben kann man Freitag bis Sonntag den abendlichen Night Market in Erwägung ziehen. Hinter seinen über 150 Ständen und einigen Klein- und Mittelbühnen stößt man auf einen Garküchen-Essensbereich, in der Regenzeit mit einer Plane überdacht, wo die Speisen auf Matten sitzend verzehrt werden, noch eine Ebene unter den kleinen Plastikhockern, die Straßen­lokale meist bereitstellen. Auch passionierte Scharfesser sollten hier niemals leichtfertig einen scharfen Spieß bestellen oder gar ein verschärftes Fisch Amok, das Nationalgericht. Es kann auch passieren, dass man hier gefragt wird, ob man denn nicht mit dem Löffel umgehen könne – der Kambodschaner, gastronomisch zwischen Stäbchen für Nudelsuppen und Besteck für den Rest angesiedelt – schiebt festes Material mit der Gabel auf den Löffel, das wichtigste Instrument bei der Nahrungsaufnahme. Kein Wunder, der Reis regiert das Land. Der rote Chili und der grüne Pfeffer wirken in dieser Weltengegend recht durchschlagend, wenn auch nicht so radikal wie in Thailand.

Wo ist das Meer? Phnom Penh wirkt an den Kais wie eine Hafenstadt − als wäre nicht der Mekong dahinter, sondern das Meer. Doch dorthin muss man sich durch den explodierenden Stadtverkehr mehr als dreieinhalb Stunden mühsam bis zum Flughafen und weiter 240 Kilometer auf einer schnellstraßenähnlichen Strecke vorkämpfen. Die Hafenstadt Sihanoukville, einst Kompong Saom, heißt heute nach König Norodom Sihanouk (1922–2012), dessen Name laut Sanskrit- und Pali-Interpretationen „Löwe“ und „Krallen“ in sich trägt. So steht mitten im zentralen Kreisverkehr das erstaunlichste Monument des Landes. Nicht so zwingend großartig wie Angkor Wat, aber doch mit dem Geist des 20. Jahrhunderts infiziert, zeigt es zwei golden angestrichene Betonlöwen, Männchen und Weibchen.

Die nicht durchgehend asphaltierte 200.000-Einwohnerstadt, die ein bisschen wie ein Dorf wirkt, verströmt Strandflair, bietet einige urbane Strände. Sie kämpft noch mit sich selbst, als müsste sie entscheiden, ob sie vergammelt oder aufblüht. Sihanoukville wird im Rest des Landes nicht nur für seine Küste geschätzt, sondern auch für seine mächtige Fa­brik, die Produktionsanlage für Angkor-Bier. Auf der anderen Seite ragt das renovierte Independence Hotel in den Himmel. Der Charme einer Epoche zwischen den Weltblöcken umgibt diesen stilvollen Kasten mit zugebautem schneckenförmigen Stiegenhaus: Im Volksmund heißt das Hotel „Sieben Stock hoch“, es war bei seinem Bau Anfang der 1960er-Jahre das höchste Gebäude Kambodschas. Hier feierte Jackie Kennedy ihre Parties, an sie erinnert auch eine Suite. Während der Schreckensherrschaft kaperten die Roten Khmer den strategisch ideal gelegenen Ort am Stadtrand und sperrten Dissidenten in den trocken gelegten Pool.

Unerschlossen. Wer unberührte Strände schätzt, ist in Kambodscha richtig. An den türkisen Küstengewässern und hellen Sandstränden lagert das unausgeschöpfte touristische Potenzial des Landes. Die meisten der 61 Inseln im Golf sind „undeveloped“, wie in Thailand vor dreißig Jahren. Auch wenn die Edelhölzer gerodet sind, wächst doch eine wilde Sekundärvegetation im Insel­inneren. Einen Versuch haben die Australier Roy und Melitta Hunter gewagt, als sie Song Saa („die Verliebten“) kauften, zwei winzige, idyllische Inseln im Golf nahe Sihanoukville, die sie in das erste Luxusresort des Landes verwandelten. Hier geht es zu wie auf den Malediven, eine Anlage, deren Grenzen Ebbe und Flut zeichnen. Das Gebilde Song Saa besteht aus Koh Quen, der Gästeinsel, verbunden durch einen Holzsteg mit der wilden, kleinen Koh Bong, auf der nichts ist außer Natur. Neben den Luxusvillen verspricht das Resort ewigen Sommer, Schnorcheln, Kajak, Bird Watching und Dschungel-Touren, liegt doch fast in Schwimmweite die zweitgrößte Insel Kambodschas, Koh Rong. Um die 2000 Bewohner, meist Fischerfamilien, haben sich in vier Orten an den Flussmündungen angesiedelt. Das Besondere an dem Resort der Hunters ist, dass sich das Hotel auf Song Saa in die lokalen Gegebenheiten einfügt. Nicht nur versucht man aus naheliegenden Gründen, das Riff und seine Unterwasserwelt mit seinen Seepferdchen und grünen Wasserschildkröten zu schützen, auch die lokalen Gemeinden profitieren. Das Dörfchen Prek Svay, 700 Einwohner, hat sandige Wege, keine asphaltierten Straßen, drei Autos und einige Motorräder. Jüngst wurde ein Abfall-System etabliert, bessere Wasserqualität durch ein Kanalsystem erreicht, die Hygiene- und Gesundheitssituation verbessert. Unter anderem fährt jährlich das „Boat of Hope“ mit ärztlicher Betreuung, dentistischer Hilfe und einem Sack Vitamintabletten die vier Dörfer Koh Rongs ab.

Tipps:

„Wir haben sehr positive Rückmeldungen für unsere Arbeit in Prek Svay“, erzählt Barnaby Olsen, der junge Conservation Director aus Manchester. „Ich denke, es liegt daran, dass wir als Partner auf einheimische Khmer vertrauen konnten, die uns die Bedürfnisse der Dorfbewohner übermittelten. Wenn wir denen etwas vorgeschrieben hätten, wären wir sicher gescheitert.“ Die Fischer haben inzwischen mit nachhaltigen Fischereitechniken Bekanntschaft gemacht, und seit Neuestem beschäftigt sich ein Fünftel der Bevölkerung mit neuen Anbaumethoden. Wer in der Schule in Englisch aufpasst, hat zudem Chancen auf eine Karriere in der Hospitality Branche – 52 Dorfbewohner arbeiten heute für das Hotel. Viel Spaß in Kambodscha? Wenn das Leben gesichert ist, sicherlich.Erfrischend. Vor den Toren von Sihanoukville befindet sich die größte Brauerei Kambodschas. Sie stellt das beliebteste Bier des Landes her, das Angkor, ­ein blondes Lager, benannt nach dem Tempelanlagen von Angkor Wat. „My country, my beer“ lautet der Werbespruch.

Besichtigung Phnom Penh: Das Minimalprogramm sind der Königspalast mit Silber­pagode; die quirlige Riverfront Sisowath Quay (u. a. mit dem Foreign Correspondent Club, fcccambodia.com); die Märkte (Zentralmarkt, Russischer Markt, Night Market) und die Killing Fields (Gedenkstätte der Verbrechen der Roten Khmer ­in Cheoung Ek, 17 Kilometer ­süd­lich der Hauptstadt).


Unterkunft Phnom Penh: z. B.: Boutique Hotel La Rose, 164b Norodom Boulevard, Phnom Penh; larose.com.kh

Kambodschanische Küche: deutlich weniger scharf als die thailändische, ist die kambodschanische von Fisch in allen Trockenheitsstufen geprägt. Das Hauptgericht ist Fisch Amok. Die Garküchen und Essensstände am Straßenrand bieten wunderbare Imbisse zu niedrigsten Preisen. 

Song Saa Private Island: 27 Villen, Aktivitäten von Sternbeobachtung bis Beach Volleyball, Einführung in das Umweltprogramm. Song Saa ist erreichbar mit dem Speedboat (30 Minuten) von der ­Küstenstadt Sihanoukville. songsaa.com

Gegenüber von Song Saa hat die Insel Koh Rong (so groß ­wie Hongkong, Dschungelgebiet) auf ihrer Südseite eine Ansiedlung mit Niedrigpreis-Guesthouses, u. a. Monkey Republic, Koh Rong; monkeyisland-kohrong.com

Der Autor wurde eingeladen vom Reiseveranstalter Haberl Tours; haberltours.com

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