La Réunion: Europäische Exotik

(c) Christina Lechner
  • Drucken

La Réunion im Indischen Ozean ist eine Insel der Kontraste, auf der sich kreolisches und französisches Savoir-vivre vereinen.

(c) Christina Lechner

„Reithelme sind Pflicht, EU-Vorschrift!“, sagt Rico Nourry, während er vor dem ersten gesattelten Pferd steht und ein-leitende Worte für den bevorstehenden Ausritt zum Bergsee Le Grand Etang findet. Er blickt dabei etwas amüsiert in die Runde – immerhin stülpt man sich vor der Reitkappe aus hygienischen Gründen auch noch eine Art Duschhaube über. Nourry selbst ist nur mit Hut unterwegs, ihm gehört das Reitgut La Ferme Equestre du Grand-Etang in Saint-Benoît an der Ostküste der Insel Réunion. Seit Jahrzehnten sitzt er fest im Sattel, einen Helm hat er dabei wohl noch nie getragen.

Französisches Eiland. Man befindet sich knapp 9000 Kilometer von Österreich entfernt noch immer in der Europäischen Union, da die Insel seit 1946 ein Übersee-
departement von Frankreich ist. Mit einem Durchmesser von 50 bis 70 Kilometern stellt die Insel, die 200 Kilo-
meter von Mauritius, 800 Kilometer von Madagaskar und 3000 Kilometer von Afrika entfernt ist, nur einen Tupfen auf der Landkarte, dafür aber auch ein Tüpfelchen auf den Euroscheinen dar. Auf europäische Standards legt man hier besonderen Wert. Noch vor 40 Jahren war La Réunion ein
Entwicklungsland, das seither durch Subventionen aus dem Mutterland Frankreich, auf der Insel La Métropole genannt, gut aufgestellt ist. Bezahlt wird mit Euro, anreisen kann man mit Personalausweis, und nicht einmal ein Reisestecker ist nötig.

Es hat viele Vorteile, zur Grande Nation zu gehören, auch wenn dieser Ausdruck auf der Insel nicht bekannt ist, wie Reiseführer Jean-Paul erklärt, ehe er sich auf die stolz geschwellte Brust fasst und die andere Hand aus-
ladend ausbreitet. Er selbst kam vor mehr als 20 Jahren aus dem Jura-Gebiet auf die Insel. Zusammen mit seiner Frau, einer Österreicherin, bringt der drahtige Franzose den Touristen das Potpourri, das Réunion ausmacht, näher.

Vor drei Millionen Jahren entstand La Réunion aus Feuer und Wasser, als aus dem Indischen Ozean der Vulkan Piton des Neiges über 3000 Kilometer hoch aufstieg. Ein paar zehntausend Jahre später stieg ein zweiter Vulkan empor, der Piton de la Fournaise, einer der aktivsten Vulkane der Welt. Ebenso berühmt wie die beiden Pitons sind die drei Talkessel Cirque de Mafate, Cirque de Salazie und Cirque de Cilaos, die sich einem Kleeblatt ähnlich, um den 3070 Meter hohen Piton des Neiges angeordnet haben, als der Vulkan vor 12.000 Jahren erloschen ist und die Magmakammern eingebrochen sind.

An die 200 Mikroklimata und völlig unterschiedliche Pflanzenarten zeichnen je nach Höhenlage und Küstenabschnitt ein kontrastreiches Bild der Insel. Grüne Talkessel folgen auf spektakuläre Felsformationen; Vulkanwüsten und Hochplateaus wechseln sich mit Wiesen, Schluchten und Lagunen ab.

(c) Christina Lechner
(c) Christina Lechner

Gratin mit Papaya. Trotz aller Exotik geht es ziemlich französisch zu auf La Réunion, etwa in der Küche. Bechamelsauce und viel Käse muss es etwa für das Gratin de papaya verte sein, ein grünes Papayagratin, das Nathy D’Eurvilliers mit ihren Schülern im kreolischen Kochkurs zubereitet. Auf den Tisch kommt natürlich auch das Nationalgericht der Insel: Cari. Jede Familie hat ihr
eigenes Rezept, es kann mit Fleisch oder Fisch, mit Reis, Hülsenfrüchten oder scharfer Rougailsauce serviert
werden. „Ein Muss in jedem Cari ist Kurkuma. Das Gewürz gibt dem Gericht die gelbe Farbe, es ist unser Réunion-Safran“, erklärt die Köchin. Dieses Gewürz ist ebenso unverzichtbar wie Vanille, die auf der Insel angebaut wird und als eine der besten der Welt gilt. Bei Nathy D’Eurvilliers kommen pikante Saucisses, geräucherte Würste, und Babafigue, eine Bananenpflanze, die nach dem Kochen mehr an Sauerkraut erinnert, zum Einsatz.
Dabei sind in den Caris afrikanische und indische Einflüsse nicht zu übersehen beziehungsweise -schmecken. Auch das kommt nicht von ungefähr, ähnlich vielfältig wie die Landschaft sind auf der Insel die Kulturen. Réunion bedeutet so viel wie Zusammenschluss und ist daher ein mehr als passender Name, auch wenn die Insel zuvor Bourbon und Bonaparte geheißt hat.

Von allem mehr. In St. Pierre im Süden der Insel liegen Kirche, Moschee, Hindu-Tempel und chinesische Pagoden nur wenige Meter auseinander. Auf den Straßen sieht man bunte afrikanische Gewänder, Saris, Männer mit Gebetsmütze, aber vor allem auch Skinny Jeans, Tanktops und kurze Kleider. Der Großteil der Menschen, die sich durch die engen Gassen schlängeln, sind
waschechte Kreolen. So werden nicht die Nachfahren afrikanischer Sklaven bezeichnet, vielmehr darf sich auf der Insel jeder Kreole nennen, der in zweiter Generation hier lebt. Seit die Insel vor 300 Jahren besiedelt und kolonialisiert wurde, gibt es eine starke Mischung der unterschiedlichsten Ethnien. Kreolisch ist die Sprache der Insel, denn die Siedler und Sklaven brauchten ein gemeinsames Kommunikationsmittel. Momentan macht man sich daran, die Sprache zu verschriftlichen, was, ähnlich wie bei Mundarten, nicht immer leicht fällt. Auf dem Ortstafelschild der Hauptstadt St. Denis findet man die ersten Früchte der Bemühungen: den kreolischen Namen Sin-Dni.

Wie eng auch die Religionen hier verschmolzen sind, sieht man am Friedhof von St. Paul. Zahlreiche Gräber sind nicht nur mit den Zeichen von Brahma und Vishnu versehen, sondern auch mit einem christlichen Kreuz. Viele der Hindus kamen als Arbeiter der Ostindien-Kompanie auf die damals ausschließlich christliche Insel, vergaßen dabei aber nicht auf ihre religiösen Wurzeln. Auch der Aberglaube ist hier noch stark verbreitet, auf vielen Gräbern finden sich Beigaben wie Rum oder Zigaretten. Einige der Gräber sind auch mit einer Art Gitter umzäunt, was die Geister der Toten abhalten soll, aus ihren Gräbern zu steigen.

Geschätzte 85 Prozent der etwas über 800.000 Be-wohner der Insel sind Christen. Das drückt sich auch in der Namensgebung aus. Die meisten der größeren Städte an der Küste, in denen sich die ersten Bewohner an-
gesiedelt haben, sind mit dem Zusatz Saint versehen. Das Landesinnere hingegen kann mit madegassischen Namen aufwarten.

Im 18. Jahrhundert flüchteten viele Sklaven, Maronen genannt, in die Berge und organisierten sich in Stämmen. Einer der berühmtesten Maronen war Mafati, ein kluger Bursche, der die Kämpfe zwischen den Herren und Maronen beilegen wollte. Nach ihm ist einer der drei Talkessel benannt. Viele Wanderer zieht es in den Cirque de Mafate, denn die Natur und die Menschen haben sich hier ihre Ursprünglichkeit bewahrt. Es gibt keine Straßen, die kleinen Dörfer der Hochebene kann man nur zu Fuß oder mit dem Helikopter erreichen. Sieben Stunden dauert der Fußweg bis an die Küste. Insgesamt gibt es auf der ganzen Insel und den drei Talkesseln 10.000 Kilometer Wanderwege – allesamt bestens gepflegt und allen EU-Standards entsprechend. Übernachten lässt es sich
in Gästehäusern, die meist mit Mehrbettzimmern aus-
gestattet sind und die den Tourismus für die 700 Einwohner der dreizehn kleinen Ortschaften von Mafate immer wichtiger machen.

Über Stock und Lava. Wer den Piton de la Fournaise besteigen möchte, fährt an einer Art Mondlandschaft, der Plaine des Sables, vorbei. Die rote Vulkanwüste bildete schon die Kulisse für so manchen Werbespot, etwa für französische Automarken, die auf der Insel ähnlich wie in La Métrople allgegenwärtig sind. Vom Aussichtspunkt Relais de Bellecombe sind es etwa zweieinhalb Stunden Fußmarsch bis zum Kesselrand. Wer die Tour über Stock und Lavastein nicht auf sich nehmen möchte, dem kommen die angebotenen Helikopterrundflüge gelegen. Die vielen Eindrücke der Insel lassen sich aus der Vogel-perspektive am besten einordnen. Es geht über savannenartige Vegetation, weiter über die Zuckerrohrfelder, die bis auf 800 Meter zu finden sind, ehe der Helikopter in üppig be-wachsene Schluchten hinabtaucht, vorbei an Wasserfällen, wieder hinauf bis hoch über die Wolkendecke des Piton Maido, zwei Runden um den Vulkan dreht und hinunter bis zum türkisen Küsten-streifen der l’Ermitage fliegt.

Haialarm.
Anders als auf der Nachbarinsel Mauritius steht Badetourismus auf Réunion nicht im Vordergrund. Ein circa 30 Kilometer langes Korallenriff schützt den Strand um Saint-Gilles-les-Bains, sonst sollte man nur in gekennzeichneten Bereichen baden, da es immer wieder zu Unfällen mit Haien kommt. Davon will man in der Tauchschule Bleu Marine freilich nichts wissen. Nach-fragen werden mit einem Wasserstoß aus der „Anti-Risiko“-Sprühflasche humorvoll umschifft, ehe es losgeht. Haie beobachtet man dann tatsächlich nicht, dafür aber Clownfische und Schildkröten. „Schaut auf den Horizont, wenn euch schlecht wird. Mit etwas Glück sieht man den ein oder anderen Wal“, meint Tauchlehrer Dimitri. Und tatsächlich: Die breiten Rücken von Buckelwalen sind zu erkennen. Oft handelt es sich um Walkuh und Junges, denn nach ihrer halbjährigen Reise aus der Antarktis gebären die Buckelwale vor Réunion ihre Jungen und bereiten sie auf die lange Reise zurück vor. Faszinierend und majestätisch, diese lebenden Attraktionen der Insel, die Haie schnell vergessen lassen.

Seit 2007 ist Réunion Unesco-Welterbe, kein Wunder angesichts der Vielfalt der Vulkaninsel. Und noch etwas Gutes hat der aktive Piton de la Fournaise: Die Lava, die sich den Küstenabschnitt Le Grand Brûlé hinunterwälzt, vergrößert die Insel immer wieder. Und so wird Frankreich auch im Indischen Ozean seinem Ruf als „Grande Nation“ gerecht. 

Tipp

Überblick. Wanderwege, Aussichtspunkte und Sportmöglichkeiten sind auf der Karte verzeichnet.
Dodo. Der ausgestorbene, weil ausgerottete Vogel lebt auf der Flasche des réunionesischen Biers weiter. www.ladodo.comFeurig. Den Piton de la Fournaise gibt es auch als Schneekugel.
Tropisch. Porzellanrosen und viele andere tropische Blumen wachsen im Pflanzengarten Comptoir Melissa.
www.melissa.fr

Anreise. Vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle fliegt Air Austral zwölfmal wöchentlich die Hauptstadt Saint Denis an.

Unterkunft. 53 Hotels gibt es auf der Insel. Zu empfehlen ist etwa das Hotel Boucan Canot ganz in der Nähe des Badestrandes von St.-Gilles-les-Bains. Gästezimmer in den 16 kreolischen Dörfern vermitteln den Lebensstil à la réunionnaise. Berg- und Wanderhütten können auf der Website des Fremdenverkehrsamts reserviert werden.
www.reunion.fr

Aktivurlaub. Die Insel gilt nicht nur bei Trekkingfans als Geheimtipp. Canyoning, Tauchen, Reiten, Paragleiten und Mountainbiken sind nur einige der Möglichkeiten.

Vulkanlehre. Das neu gestaltete Vulkanmuseum Cité du Volcan befindet sich am Fuß des Piton de la Fournaise. Das interaktive Museum ist auch für Kinder geeignet und kann mit einem 4-D-Kino aufwarten.

Die Autorin wurde vom Fremdenverkehrsamt der Insel La Réunion und Air Austral eingeladen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.