Silk Road Express: Musik fürs Auge

(c) Irene Hanappi
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Sechs Geschichten aus dreizehn und einer Nacht – so lang dauert die Fahrt im Silk Road Express entlang der sagenumwobenen Seidenstraße Zentralasiens.

Jede Nacht legt der Zug Hunderte von Kilometern zurück, jeden Morgen erwartet die Passagiere des Silk Road Express ein neues Ziel – Moscheen, Mausoleen, Paläste, Karawansereien, siebenmal Unesco-Weltkulturerbe, verstreut in den Steppen Kasachstans, Usbekistans und Turkmenistans. Während der Zug unaufhörlich vorwärtsstrebt, träumen die Reisenden sich zurück, hören im Geist noch einmal, was ihnen in Buchara, Samarkand oder Chiwa erzählt worden ist. Diese Geschichten kann man nicht googlen, man würde sie auch in Büchern nicht finden, man muss schon tausende Kilometer zurücklegen, um sie zu hören, dann aber wird man reich belohnt, bringt Erinnerungsstücke mit heim – kostbar und einzigartig wie die Seidenteppiche, die hier immer noch handgeknüpft werden und deren Wert sich an der Anzahl der Knoten misst.

(c) Irene Hanappi

Erste Geschichte. Einst wollte der Emir von Buchara China besuchen. Seine Lieblingsfrau, Aziza, sollte ihn begleiten. Sie war gebildet und beherrschte wie keine andere das Schachspiel. Die Reise dauerte viele Tage und Nächte. Dann war das Ziel erreicht: die Verbotene Stadt. Aziza tritt unverschleiert vor den Herrscher. Er zeigt sich beeindruckt von ihrer Schönheit. „Ich kann auch Schach spielen . . .“, sagt sie. Die Partie beginnt, und Aziza gewinnt mit ein paar genialen Zügen. „Weil du mich besiegt hast, steht dir ein Wunsch offen“, sagt der Kaiser von China. „Was ist das für ein herrlicher Stoff?“, will Aziza wissen. „Es ist Seide“, so die Antwort. „Und woher kommt die Seide?“ „Ich verrate es dir“, sagt der Kaiser, „wenn du nochmals mit mir spielst.“

Aziza stellt die Schachfiguren auf, spielt und gewinnt wieder. „Wir haben Maulbeerbäume, deren Blätter ernähren die Raupen, und diese erzeugen die Seidenfäden“. „Darf ich sie sehen?“, bittet Aziza. „Nur, wenn du nochmals mit mir spielst.“ Aziza spielt und gewinnt ein drittes Mal. Wieder hat sie einen Wunsch offen: „Lass mich einen Blick auf die Raupen werfen“, bittet sie. Der Kaiser führt sie in den Garten zu den Maulbeerbäumen. Sie sieht die Raupen und die Kokons. Bald darauf gibt der Emir das Zeichen zum Aufbruch. Aziza macht sich reisefertig. Sie hat prachtvolle Zöpfe, die ihr bis zum Boden reichen. An diesem Tag jedoch bindet sie ihr Haar kunstvoll um den Kopf herum fest und versteckt darin: die Maulbeeren, die Larven und die Samen der Bäume.

Seither wachsen Maulbeerbäume auch in Buchara, seither gibt es dort die Seidenproduktion und, damit verbunden, den Handel mit Teppichen, Tüchern und Stoffen. Die Musik, der Wind, die Stimmen, die Aufregung angesichts der vielen schönen Dinge, die zum Kauf angeboten werden – das alles war wohl damals auch schon so.

Zweite Geschichte. „Weil die Darstellung des Menschen im Islam verboten ist, entstanden geometrische, kalligrafische Muster“, erzählt Halim, der in dem Kuppelgewölbe eines Basars aus dem 16. Jahrhundert sein kleines Geschäft hat. „Man stellte sich die Sterne und die Himmelskörper vor. Alles ist pure Fantasie. Kein Muster gleicht dem anderen, keines wiederholt sich. Teppiche sind wie Bücher. Von den Motiven und Farben“, fährt er fort, „lässt sich die Herkunft der Teppiche ablesen, genauso aber auch die Träume und Ängste ihrer Besitzer. Oft war darin ein Symbol oder ein Talisman enthalten, der Wohlstand, Glück und Fruchtbarkeit bringen und den bösen Blick abwenden sollte.“

Dritte Geschichte. „Zwölf Stunden keine Nahrung, keine Flüssigkeit, kein Gang zur Toilette“, so beschreibt Abdullah das Verfahren, nach dem er die Mitarbeiterinnen seiner Teppichmanufaktur auswählt. „Dann biete ich der Bewerberin ein Bonbon an. Greift sie gierig zu und steckt es sich in den Mund, scheidet sie aus.“ Die Geschichte von seinem „Assessment Center“, vorgetragen in fast akzentfreiem Deutsch, könnte auch ein Marketing-Gag sein, vielleicht stimmt sie, vielleicht auch nicht. In jedem Fall weist sie darauf hin, worauf es beim Knüpfen der Teppiche ankommt. Heute genauso wie vor 4000 Jahren. Zwei Frauen arbeiten jeweils an einem Webstuhl. Ein Jahr und zwei Monate brauchen sie für einen Teppich mittlerer Größe. 40 Knoten schaffen sie pro Minute, die Bezahlung richtet sich nach Quadratmetern.

Abdullah stellt keine Kinder ein und verwendet zum Färben nur natürliche Farben. Faire Arbeitsbedingungen – 40-Stundenwoche, drei Jahre Karenz – sind ihm ein Anliegen. „Weil nur glückliche Mitarbeiterinnen schöne Teppiche knüpfen.“ Die Anzahl der geknüpften Knoten bestimmt den Preis. Er liegt bei 1900 bis 4000 Dollar.

Vierte Geschichte. Es ist ein Baudenkmal der Superlative, trotz bescheidener Maße oder gerade deshalb. Das Samaniden-Mausoleum in Buchara besteht seit dem 9. Jahrhundert – ohne jemals restauriert worden zu sein. Es setzt sich aus verschiedenen Arten von Ziegeln zusammen, die gleichzeitig Baumaterial und Dekor bilden. Ausschließlich gebrannte, unglasierte Ziegel sind es. Manchmal wirkt die Oberfläche matt wie die Haut eines Tieres, dann wieder, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel drauffällt, erstrahlt sie und lässt an den Feuerkult denken, den die Anhänger Zarathustras hier praktizierten.
Ihr „Tempel der Sonne“ wurde von den Arabern zerstört und auf seinen Trümmern das Mausoleum als Familiengruft der Dynastie der Samaniden (9./10. Jh.) errichtet. Es war verschüttet, begraben unter Ton, Lehm und Sand, damit Dschingis Khans Horden es nicht finden konnten. Bis 1950 wusste niemand von seiner Existenz. Erst als Bagger auffuhren, weil in der Sowjetzeit hier ein Vergnügungspark gebaut werden sollte, stieß man darauf.

(c) Irene Hanappi

Fünfte Geschichte. Mit eigener Hand soll er Tausende geköpft haben, berichtet die Legende. Er hatte auch rund tausend Nebenfrauen, heißt es. (In Wahrheit waren es wohl 60, höchstens 100.) Er sei überdurchschnittlich groß gewesen, 1,90 Meter, erzählt man. In Wirklichkeit war er 1,60 Meter. Die Rede ist von Timur dem Hinkenden oder Timur dem Lahmen, woraus im europäischen Sprachgebrauch Tamerlan wurde. Dem mongolischen Heerführer, der das Heer des osmanischen Sultans Bayezid I., genannt der Blitz, 1402 vernichtete und so verhinderte, dass dieser weiter nach Europa vorstoßen konnte, widmete Georg Friedrich Händel seine Oper „Tamerlano“. Am Zenit seiner Macht breitete sich Timurs Reich zwischen Mittelmeer und Ganges aus. Nach heutigen Maßstäben umfasste es zwei Dutzend Länder.

Was den Eroberungswillen betrifft, stand Timur dem Dschingis Khan in nichts nach. Schar-e Sabs heißt die Stadt, wo er 1336 das Licht der Welt erblickte. Hier, und nicht in Samarkand, sollte das Zentrum seines riesigen Reiches entstehen. Bauwerke von monumentaler Größe wuchsen aus dem Boden. Sein Wahlspruch aus dem Jahr 1380: „Zweifelst du an unserer Macht, schau auf die Bauten.“

Sechste Geschichte. Stalin hat Timur bewundert und sich gern mit ihm verglichen. Wer war mächtiger? Wer war grausamer? 1941, mitten im Krieg, schickte er den Archäologen Michail Gerassimow an der Spitze einer Delegation nach Usbekistan. „Wir dürfen den bösen Geist nicht wecken“, entzifferte dieser die Inschrift auf der Steinplatte des Sarkophags im Mausoleum Gur-e Amir. Dann öffnete er das Grab. Minutenlang konnten die Schaulustigen die Mumie betrachten. Manche weinten, erzählt man.

Gerassimow stellte fest: Der Mann, der hier begraben lag, hatte Verwachsungen an der Schulter und am Knie gehabt, er muss tatsächlich gehinkt haben, und er war nicht sehr groß. Auf der Grundlage verschiedener Wissenschaften entwickelte der sowjetische Forscher eine Technik, die es ihm ermöglichte, Gesichter akribisch genau zu rekonstruieren. Er tat dies bei mehr als 200 Menschen – Iwan der Schreckliche und Friedrich Schiller waren genauso darunter wie Tamerlan. Die überall in Usbekistan anzutreffenden Statuen, Porträts und Denkmäler des großen Heerführers richten sich alle nach seiner Vorlage. Was die Gesichtszüge des Timur betrifft, so habe Gerassimow nachgeholfen, heißt es, ihn „mongolischer“ gemacht, als er war.

Wer täuscht wen und warum? Wir werden es nicht erfahren. Auch gäbe es noch viele Geschichten zu erzählen – die vom Statthalter und genialen Gelehrten Ulugh Beg und seiner Sternwarte, Gurkhani Zij, etwa; die vom Erbauer des Minaretts Kalan, der acht Jahre verschwunden war; die von der Haremsdame mit dem Apfel im Sommerpalast des letzten Emirs. Doch wir können sie hier nicht alle erzählen, der Zug rattert monoton weiter und wiegt uns in den Schlaf. 

Tipp

Süß. Usbekische Schleckerei, nach der Wüste Kara Kum benannt.
Handbemalt. Macht sich ganz niedlich in Vitrinen und Bücherregalen: usbekisches Handwerk.
Prachtvoll. Teppiche sind eine Geldanlage.

Infos: Die 14-tägige Sonderzugreise „Registan” von Almaty nach Aschgabat oder umgekehrt wird von Lernidee (lernidee.de) organisiert und kann über Ruefa (ruefa.at) gebucht werden. ­

Nächste Termine: Almaty–Aschgabat 2. 4.–15. 4. 2015, 8. 10.–21. 10. 2015.
Aschgabat–Almaty: 14. 4.–27. 4. 2015, 20. 10.–2. 11. 2015. 14 Tage ab 4120. € p. P., Kat. Zwei-Bett-­Standard (Ali Baba), inkl. Linien­flügen ab/bis Frankfurt, Zuflüge ab/bis Österreich auf Anfrage. Die Autorin ist von Lernidee eingeladen worden.

Reisevortrag Sonderzugreisen & Flusskreuzfahrten: Zarengold – von Moskau nach Peking . Flusskreuzfahrt Orchidee: vom Goldenen Dreieck auf dem Mekong nach Vientiane. Urania, Dachsaal, 4. 12. 2014, 19 Uhr. Eintritt: 5 € p. P.

Restaurants: Das zentralasiatische Reisgericht Plow (Pilaw) ist allgegenwärtig, schmeckt aber wegen der verschiedenen Zutaten – einmal Lamm, einmal Fisch, verschiedene Gemüse, unterschiedliche Gewürze – immer wieder anders. Lokale Agenturen bieten Abendessen bei Privatleuten an, wo das Zubereiten des Plow mitverfolgt und gelernt werden kann.
Afsona Restaurant, Taschkent, Shevchenko-Str. 30, Tel.: +998 71 252 56 81. Moderne, leichte usbekische Küche, urbanes Ambiente.
Old House, Buchara, Sarrafon Str. 5, Tel.: +998 90 712 33 20. Teehaus aus dem 19. Jh., effektvoll restauriert.
Novy Arbat, Samarkand, Ulughbek-Str. Russisches Restaurant mit einem Hauch von Eleganz.

Souvenirs/Shopping: Handgefertigter Silberschmuck (meist Imitationen alter Stücke), Keramik, Schals, Tücher, Seidenstickereien (Susani), traditionelle Stoffe, bestickte Mützen (Tjubeteikas) Pelze, Seidenteppiche, Kelims, Satteltaschen, Holzschnitzereien werden überall von fliegenden Händlern angeboten. Meist kann man in Euro bezahlen. Das Handeln und Feilschen sollte man sich nicht entgehen lassen. Es gehört einfach dazu. Für Einkäufe im Basar (Safran, Kaviar, Tee etc.) sollte man kleinere Summen in Landeswährung mit sich führen. Bei größeren Einkäufen bzw. in Hotels und Restaurants werden gängige Kreditkarten akzeptiert.

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