La Palma: Staubiges Vergnügen

(c) Clemens FABRY
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Beim Karneval feiert La Palma mit viel kubanischer Musik und Talkumpuder seine Auswanderer. Und sich selbst.

Der „Empfang der Botschafter“ findet heute auf der Straße statt. Und der ganze „diplomatische Dienst“, bestehend aus La Palmas Inselbewohnern, hat sich anlässlich des festlichen Ereignisses prächtig in Schale geworfen: Japanische Geishas stöckeln vorbei, Emire aus Saudiarabien protzen mit einem Ölfass, ungarische Husarenmädchen paradieren mit eng geschnürten Miedern. Das stolze Ägypten hat gleich ein Dutzend golden funkelnder Kleopatras mit behaarten Waden geschickt, und aus dem fernen Tirol ist eine Gruppe fescher Burschen in Kniebundhosen und grünen Hütchen angereist.

Der bunte Zug am Samstagnachmittag bildet den Auftakt zu einem der fröhlichsten und verrücktesten Feste der Kanareninsel La Palma, dem Karneval. Die Welt ist zu Gast auf La Palma – ganz so wie im 16. und 17. Jahrhundert, als Santa Cruz einer der drei wichtigsten Häfen zwischen Europa und Amerika war. Und ein Abglanz jener Internationalität hat sich erhalten: Auch heute noch sind 13 bis 14 Prozent der 90.000 Einwohner Ausländer.

Abschied und Wiederkehr gehörten immer zum Leben der Palmeros. Vom 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wanderten viele nach Kuba oder Venezuela aus. Einige wurden reich, kehrten zurück und hinterließen überall auf der Insel ihre Spuren. Im Tabakmuseum in San Pedro etwa rollt der 70-jährige Timoteo Alvarez gekonnt drei Sorten Tabakblätter zu einem „puro“, schneidet, nicht anders als seine Kollegen in Havanna, mit einem Wiegemesser das Deckblatt zu und verklebt die Zigarre perfekt mit einem Mundstück. Die Pflanzen und das gärtnerische Know-how haben die Emigranten aus Kuba mitgebracht. Durch Sortenwahl und Sorgfalt verbesserten sie die Qualität des Tabak so sehr, dass der Zigarrenkenner Winston Churchill behauptete, eine edle La Palma wäre jeder Havanna überlegen.

Weniger sichtbare, aber vielleicht noch tiefere Spuren haben die Auswanderer im Gedächtnis der Menschen hinterlassen. Die 77-jährige Doña Arminda führt in Villa de Mazo hoch über dem Meer ein kleines Hotel. Ihr Vater hatte das Haus in den 1920er-Jahren als Ruine geerbt. Er ging nach Kuba und verdiente auf den Tabakfeldern genug Geld, um es hinterher zu restaurieren. In Vitrinen bewahrt die elegante Señora Silberspiegel, Porzellanfigürchen und ein Dominospiel auf. Und gern liest sie ein Gedicht vor, das Papa seiner Verlobten ins heimische Santa Cruz geschickt hatte. „Er war ein Poet“, seufzt Doña Arminda. „Es gab noch romantische Kavaliere damals.“

Wie gemalt. Natürlich hatten nicht alle, die auswanderten, Erfolg. Beim Día de Los Indianos am Rosenmontag aber geht es nur um die Glücklichen, die protzigen Neureichen, die bei der Ankunft in der alten Heimat den großen Max markierten. Gegen Mittag füllen sich die Gassen der Innenstadt. Männer in beigen Leinenanzügen mit dicken Goldketten und Strohhüten ziehen durch die Fußgängerzone. Ihre Damen stecken in weißen oder cremefarbenen Futteralkleidern, tragen Boas um die Schultern und Seidenrosen im Haar. Auf der dreieckigen Plaza de España mit Rathaus und Erlöserkirche strömen sie zusammen. Wie hingemalt passt die weiß-beige wogende Menge zwischen Palmen, Flaggen und die Fassaden mit Holzbalkonen. Ein eigenartiger Grauschleier liegt über dem Geschehen, denn fast jeder hier hat eineDose Talkumpuder dabei. Beinahe liebevoll pudern ältere Damen die Gelsträhnen vorbeieilender Jugendlicher, früh ergraute Kinder und zu Kindern gewordene Erwachsene überschütten ei­­nander mit immer neuen Wolken. Es scheint, als wären alle eben erst aus einem Kalkbruch oder einer Kreidefabrik geflüchtet – immerhin regnen an diesem Tag 15 Tonnen Puder nieder.

Woher dieser Brauch kommt, weiß niemand so genau. Vielleicht geht er auf den Kalk zurück, mit dem einst Schiffe desinfiziert wurden, vielleicht war es aber auch eine Ladung verdorbenen Mehls, die im Hafen herumlag – wirklich belegt ist nichts davon.

Und dann kommt sie. Begleitet von einer Band schreitet sie die Treppe zur Erlöserkirche hinunter. Tiefschwarz das Gesicht, mit Lippen wie Blutorangenscheiben und klimpernden Wimpern aus Gold winkt sie huldvoll in die Menge: La Tomasa Negra ist die Symbolfigur des Karnevals von La Palma. Ein roter Turban ziert ihr Haupt, im Dekolleté der weißen Bluse baumelt schweres Gold. Sie ist eigentlich ein Er: Víctor Lorenzo Díaz Molina, von allen respektvoll nur Sosó genannt. Dies ist die Rolle seines Lebens. Und wenn der 70-jährige ehemalige Hafenpolizist erzählt, wie alles begann, gehen Wirklichkeit und Legende ineinander über, aber wen kümmert das in diesen Tagen schon? In den 1960er-Jahren war es, als Sosó und ein paar Dutzend andere Jugendliche begannen, während der Karnevalstage ahnungslose Passanten mit Puder zu bewerfen – eine Art früher Flashmob. Fröhlichkeit aber war nicht gern gesehen in der Franco-Ära, und schon nach wenigen Minuten war die Polizei hinter den Unruhestiftern her. Die wichen in andere Straßen aus, ein Katz-und Maus-Spiel begann, und wenn die Guardias schließlich die Lust daran verloren, stäubten die Jugendlichen weiter.

Faschingssymbol. Erst viel später, zu Beginn der 1990er-Jahre, suchte die Stadtverwaltung nach einem Symbol für ihren Fasching. Sosó entwickelte, nach dem lebenden Vorbild einer Kneipenbesitzerin aus Santiago de Cuba, die Figur eines üppigen, eleganten, so anziehenden wie einschüchternden kanarischen Männertraums. Seitdem gönnt er sich jedes Jahr ein neues Kostüm, schminkt sich täglich eine Stunde, redet, tanzt und hält Hof auf den Straßen, die grau und stumpf vom Puder sind. La Tomasa Negra ist die Königin, der schwarze Star des weißen Karnevals, jenes eigenartigen Theaters, in dem es, wie jemand sagte, keine Zuschauer gibt – einfach, weil jeder, der dabei ist, selbst eine Rolle auf der Bühne spielt.

Tipp

Aromatisch. Besser als Havannas: Puros Palmeros Artesano Julio. purosartesanosjulio.com
Superfein. Puder für Babys.
Gesund. Talkpuder von Roberts: Borotalco Body Powder
Schneeweiß. Rucksack von Kennel & Schmenger. www.kennel-schmenger.at


Karneval: 31. 1. bis 21. 2. Der Día de Los Indianos wird in traditioneller Form am Rosenmontag (16. 2.) gefeiert.

Anreise: Air Berlin und Condor fliegen von mehreren deutschen Städten direkt nach La Palma. Ab ca. 450 Euro. airberlin.com, condor.com

Schlafen: Vor dem Parador de la Palma erstreckt sich hügelab ein wunderschöner Park mit Blick übers Meer. Geräumige Zimmer, ein schöner Innenhof mit Brunnen und gute Küche machen den Aufenthalt mehr als angenehm. (DZ + F ab 130 Euro) Ctra. de El Zumacal, 38720 Brena Baja, Tel.: +34/902/547 979, parador.es

Finca Arminda: kleines, feines Refugium von Doña Arminda in ihrem 300 Jahre alten Haus. Neun Zimmer, jedes ist individuell mit alten Möbeln eingerichtet, das großartige Frühstück wird im verwunschenen Garten serviert. (DZ+F ab ca. 90 Euro, Suite 120 Euro). Calle Loderon 181, 38739 Villa de Mazo, fincaarminda.es

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