Kambodscha: Prinzessin und Krokodil

(c) Stefanie Bisping
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Wer mit dem Flussschiff The Jahan durch Kambodscha reist, erlebt ein Land mit schwerem Schicksal, aber von eindrücklicher Schönheit.

Regen prasselt vom Himmel. Von Palmen, Bananenpflanzen und Bambusdächern rinnen Sturzbäche. Kinder toben barfuß im Schlamm. Unter einem Dach
drängen sich die Besucher aus dem Westen und versuchen den Aufgüssen auszuweichen. Eine junge Australierin berichtet über „Organization for Basic Training“, ein Projekt, bei dem 180 Kinder und Jugendliche im Dorf Chiro in Englisch, gastgewerblichem Wissen und traditioneller Musik unterrichtet werden. So sollen sie jenseits der Landwirtschaft ein Auskommen finden, vorzugsweise in der Tourismusindustrie. Keine Mauern versperren den Blick der Fremden in die Klassenzimmer unter den Stelzenhäusern, in denen Holzpulte auf Lehmboden stehen und Kinder im Chor englische Vokabeln sprechen. Dann singen ein paar Mädchen und Buben ein Lied, andere reichen den Gästen Spieße mit gerösteten Süßkartoffeln. Mit großen Augen schauen auch die Kinder zu, die zuvor noch Fußball gespielt haben. Die Besucher essen aus Höflichkeit – die Kinder haben Hunger. Und so illustriert der erste Landgang gleich alle Schwierigkeiten, die mit Entwicklungsarbeit einhergehen – und mit dem durch den Tourismus beförderten Aufeinandertreffen von Arm und Reich.

(c) Stefanie Bisping



Luxus im Kolonialstil. Chiro ist sechs Kilometer von Kampong Cham entfernt, der am anderen Ufer des Mekong gelegenen drittgrößten Stadt Kambodschas. Hier hat die Jahan festgemacht: 70 Meter lang, knapp 13 Meter breit, ausgestattet mit Spa, Fitnessraum und einem Pool auf dem Aussichtsdeck. Das Leben auf dem Schiff, auf das die am Morgen aus Siem Reap angereisten Passagiere nun zurückkehren, könnte sich von dem in Chiro kaum krasser unterscheiden.

Die Jahan ist eines von fünf Schiffen der Heritage Line Collection, die die Ströme Südostasiens befahren. 2011 lief sie vom Stapel. Mit glänzenden dunklen Holzböden, 26 großen Kabinen mit Balkons und elegantem Mobiliar im Kolonialstil sieht sie aus, als entstamme sie einer längst vergangenen Ära. Das Leben an Bord ist mindestens so komfortabel wie das, was einst höhere Kolonialbeamte geführt haben mögen. Am Abend trifft man sich an der Bar auf dem Oberdeck zum Cocktail, bevor ein Gong zum Dinner in der Viceroy Dining Hall ruft. Das Leben ist gut auf der Jahan, dafür sorgen neben dem Ambiente das kambodschanische Hotelpersonal und die vietnamesische Crew, insgesamt 38 Menschen von strahlender Freundlichkeit. Dennoch ist es mit dem Wohlleben allein nicht getan. Die Reise über den Mekong und den Tonle Sap River – die einander bei Phnom Penh kreuzen, wonach der Tonle Sap River als Bassac weiterfließt – ins Mekong-Delta hat den Anspruch, den Reisenden mit zwei Landgängen pro Tag, mit Filmvorführungen und gut informierten
Guides den Alltag hinter den exotischen Landschaften zu zeigen.

Wer die volle Tour bucht, reist in acht Tagen von Kampong Cham mit einem Abstecher nach Kampong Chhnang am südlichen Ende des Tonle-Sap-Sees bis nach Saigon – eine Route von 675 Kilometern Länge, die ihren größten Reiz aus der Langsamkeit schöpft. Geradezu himmlisch ist es, in einer leichten Brise auf dem Balkon zu sitzen, dem Murmeln des Stroms zu lauschen und das ländliche Kambodscha zu betrachten: Reisfelder und Zuckerpalmen am Ufer, auf dem Wasser gelegentlich ein Fischerboot.

Archaisches Landleben. Ochsen ziehen Pflüge. Wasser kommt nicht aus dem Hahn, sondern aus Brunnen. Die Häuser stehen auf Stelzen. Unter ihnen suchen die Tiere bei Regen Zuflucht; Menschen schützt die erhöhte Lage vor Hochwasser und Reptilien. Zwar hat die Zahl der Kobras stark abgenommen, seit viele Bauern Jagd auf sie machen. Denn chinesische Touristen schätzen Schlangensuppe. Dennoch ist mit beinlosem Viehzeug noch immer zu rechnen.

Wenn der Mekong während der Regenzeit weit über seine Ufer tritt, verschwinden die Stelzen der Häuser im Wasser. Zu dieser Zeit erkranken jedes Jahr vor allem Kinder an Dengue-Fieber. Die medizinische Versorgung auf dem Land ist katastrophal. Wird ein Kind krank, verkaufen Bauern ihr Mofa oder Land, um es behandeln zu lassen; nicht selten stirbt es auf dem weiten Weg zum Krankenhaus oder weil es gefälschte Medikamente ohne Wirkstoffe erhält. Der Schweizer Arzt Beat Richner, der in seinen fünf Kinderkrankenhäusern jedes Kind sofort, gratis und nach westlichen Standards behandelt, wird daher in Kambodscha wie ein Heiliger verehrt. Jedes Jahr rettet Richner 15.000 an Dengue-Fieber, Malaria oder Tuberkulose erkrankte Kinder. Durch die Zahlung solider Gehälter ist es ihm gelungen, Korruption in seinen Krankenhäusern so gut wie auszuschalten. Samstags gibt er in Siem Reap Cellokonzerte. Er spielt Bach und fordert von den Zuhörern Geld oder Blut: Geld für die Kliniken, Blut für Transfusionen.

Viele Stufen sind bis zum Kloster Wat Hanchey hinauf-zukeuchen, dem nördlichsten Punkt der Reise. Im Zentrum der Anlage liegt der Tempel Wat Hanchey, ein Bauwerk aus der Zeit vor dem Aufstieg Angkors zur größten Stadt der Welt. Dass er die Zerstörungswut des Pol-Pot-Regimes überlebt hat, erklärt sich aus seiner strategisch günstigen Lage: Weit öffnet sich der Blick von hier über den Mekong. Zurück an Bord stellen wir die morastigen Schuhe ab – später werden wir sie geputzt vor den Kabinen wiederfinden –, man reicht uns eiskalten Tee. 

(c) Stefanie Bisping



Hier wendet die Jahan in Richtung Süden. Auch der nächste Landgang im Sprengel Angkor Ban beweist, dass die Geschichte des Bürgerkriegs in Kambodscha nie weit weg ist. Den hiesigen Tempel nutzten die Khmer Rouge als Gefängnis. Erst Ende der Neunzigerjahre gaben die letzten Guerilla auf. Um diese Zeit, im April 1998, starb Pol Pot in seiner Hütte auf dem Land. Vor Kampong Chhnang erstreckt sich eine Stadt auf dem Wasser des Tonle Sap River. 1200 vietnamesische Fischerfamilien leben hier in auf Pontons erbauten Hütten. Wir erreichen mit Motorbooten das Ufer, fahren mit Bussen durch Reisfelder und Zuckerpalmenhaine und kommen schließlich in Andaung Russey an. Hühner scharren, Kinder sausen umher, mittendrin steht die 61-jährige Madame Khon an ihrer Töpferscheibe und fertigt Schüsseln und Schalen: rotbraun, ebenmäßig, perfekt.

Die Menschen kauften in dieser Gegend schon ihre Reisschalen, als der Tonle Sap River noch voller Krokodile war. Vor langer Zeit verschlang eines eine Prinzessin. Zu plötzlich kam der Angriff, als dass sie sich hätte retten können. „Man tötet Krokodile, indem man ihnen eine Melone in den Rachen wirft“, weiß Mister Rithy, unser Guide. Doch hat er selbst hier zuletzt als Kind ein Krokodil gesehen.

Paris des Ostens. Abends erreichen wir die Hauptstadt: Phnom Penh, in vorrevolutionären Tagen seiner schattigen Boulevards wegen als „Paris des Ostens“ gerühmt und als aussichtsreicher Kandidat für den Titel einer Welthauptstadt der Korruption berüchtigt. Hier wurde König Sihanouk von den Roten Khmer in seinem Palast festgehalten, ein entmachteter Monarch in einer Geisterstadt. Dabei waren die Sieger bei ihrem Einzug in Phnom Penh am 17. April 1975 freudig begrüßt worden: Endlich, glaubten die Menschen, war der Bürgerkrieg zu Ende, Sihanouk würde die Geschicke des Landes wieder übernehmen. Stunden später begannen die Khmer Rouge die Evakuierung der Stadt. Die Bewohner sollten auf dem Land eine Agrargesellschaft ohne Technologie, Schulen, medizinische Versorgung, Familienstrukturen, Religion, Bücher und irgendeine Errungenschaft der Zivilisation aufbauen. Mit diesem Tag begann die Ära, die Kambodschaner bis heute mit der Chiffre 3-8-20 umschreiben: Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage war die Bevölkerung buchstäblich versklavt. Am Ende waren zwei Millionen Menschen tot: ermordet, verhungert, von Krankheit und Erschöpfung dahingerafft.

Das alles ist nicht lang her, jeder über vierzig erinnert sich daran. Wer jünger ist, kennt die Lücken, die die Schreckensherrschaft in der eigenen Familie hinterlassen hat. Auf der Jahan wird das Thema nicht ausgespart. Als wir am Abend in Phnom Penh vor Anker liegen, zeigt die Crew den Film „The Killing Fields“. Die Guides Punloen und Rithy erzählen von ihren eigenen Erlebnissen – der eine musste als Kind im Grenzgebiet vietnamesische Soldaten ausspionieren, der andere floh in den Dschungel und überlebte als „Waldjunge“. „Wenn Sie zart besaitet sind, werden Sie morgen den ganzen Tag weinen“, warnt Rithy, als er unser Tagesprogramm erläutert. Denn neben dem Königspalast, dem auf einem Hügel gelegenen Tempel Wat Penh und dem schönen, luftdurchwehten Nationalmuseum zählen ein als Tuol Sleng oder Sicherheitsgefängnis 21 bekannter Folterknast und das 15 Kilometer südwestlich der Stadt gelegene Killing Field Chhoeung zu den Sehenswürdigkeiten Phnom Penhs.

(c) Stefanie Bisping

Bildung als Bedrohung. Dass das Foltergefängnis in einer Schule eingerichtet wurde, illustriert den ideellen Kern eines Regimes, das Bildung als Bedrohung identifiziert und komplett abschafft hat. Und obwohl es keine Überraschung ist zu erfahren, wozu Menschen fähig sind, ist vieles hier unfassbar. Die Fotografien neu eingetroffener Häftlinge, von denen einige voller Angst, andere schwer verprügelt in die Kamera blicken. Nicht wenige der Häftlinge waren selbst Khmer Rouge. „Säuberungen“ in den eigenen Reihen waren Teil des paranoiden Systems. Dann die Bilder, die sie nach dem „Verhör“ zeigen, halbtot in 80 mal 180 Zentimeter messenden Zellen liegend. Schränke voller Knochen und Vitrinen mit Kinderkleidern. Fotos der Folterer, die auf Gräber zeigen, ihnen sind die Augen weggekratzt.

Über den Wiesen des Killing Field Chhoeung tanzen Libellen. Vögel singen, eine Henne gackert. Mister Rithy bückt sich und hebt einen Zahn auf. Bis heute spült jeder Regenguss Knochen, Kleiderfetzen und eben Zähne aus dem Boden. 86 Massengräber sind eingezäunt und überdacht, an jedem Pfosten bunte Bändchen zum Gedenken an die Opfer befestigt.

Zurück in der Stadt gehen wir in das Restaurant Romdeng. Hier absolvieren ehemalige Straßenkinder Ausbildungen in Küche und Service. Es ist nicht der Tag für geröstete Tarantel, wohl aber für ein mildes Curry aus Meeresfrüchten, aufgetragen von jungen Menschen mit freundlichen Augen. Gedämpft dringen die Geräusche der Großstadt in den tropischen Garten: Motorenlärm, Hupen, Stimmen. All das erscheint uns wie ein Triumph des Guten über das Böse.

Tipp

Würzig. „Geschenk der Erde“, Pfeffer von Kadode.
kadode-kampot.com
Federleicht. Die Schals sind handgemacht, das Design ist ein Klassiker in Kambodscha. kramawheel.com
Lokal Bier aus einer Brauerei in Angkor, www.angkorbeer.com.kh/.

Anreise: z. B. mit Singapore
Airlines ab Frankfurt über Singapur nach Phnom Penh oder Siem Reap: Ticket ab 1140 Euro. singaporeair.com

Reisezeit: Ideal sind Oktober bis Jänner, wenn es nicht allzu heiß ist. Der April gilt als der heißeste Monat, bevor die Regenzeit einsetzt.

Einreise: An den Flughäfen von Siem Reap und Phnom Penh
können Reisende aus der EU bei der Einreise ein Visum für einen Aufenthalt von maximal 30 Tagen erhalten; es kostet 20 US-Dollar. Besser: Im Voraus auf der Botschaft besorgen, da es auf den Airports wegen Sicherheitsmaßnahmen zu langen Schlangen vor den Visa-Schaltern kommt.

Flussfahrt: Lotus Travel, acht Tage ab 1527 Euro p. P. in der Doppelkabine (inklusive Vollpension, Eintrittspreisen und Transfers). Die Autorin wurde vom Veranstalter unterstützt.
lotus-travel.com

Gesundheit: Mückenstiche sollte man vermeiden, da während der Regenzeit Dengue-Fieber über-
tragen wird und mit Ausnahmen von Siem Reap (Angkor) und Phnom Penh in den übrigen Gebieten des Landes ein unterschiedlich hohes Malaria-Risiko besteht.

Lektüre: Erich Follaths „Die Kinder der Killing Fields“ erzählt die Entwicklung des Landes seit der Ära der Roten Khmer und spürt den Protagonisten des Regimes nach (Goldmann). Es gibt zahlreiche erschütternde Berichte von Überlebenden; der vielleicht beste ist Hang Ngors „Survival in the Killing Fields“, der auch die Vorgeschichte erläutert, aber nur in englischer Sprache zu haben ist.

Kulinarik. Madame Butterfly in Siem Rap: kambodschanische
Spezialitäten. Die Restaurants der Organisation Tree (Training Restaurants for Employment and Entrepeneurships) verbinden kreative kambodschanische Küche mit sozialem Engagement, z. B. Restaurant Romdeng, 74 Street 174.

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