Namibia: Wind, Sand und edle Steine

(c) EPA (Michael Reynolds)
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Die Eisenbahn, der Sand und ein Wüstenort namens Grasplatz: In Namibias Diamantensperrgebiet erwartet man Spektakuläreres.

Die erste schmalspurige Bahnstrecke Südwestafrikas war 1902 zwischen der Atlantikküste und der neu errichteten Festung Groß Windhuk eröffnet worden. Hier befand sich nun das Zentrum der deutschen Kolonialverwaltung. Es war die Zeit, als immer mehr Truppen ins Land kamen, um die Völker Südwestafrikas – die Nama, die Hereros und Owambos – zu unterwerfen. Reichskanzler Bismarck genehmigte den Nachschub an Waffen und Ausrüstung mit dem Ziel, neue Absatzmärkte, billige Bodenschätze und Land für arbeitslose Deutsche zu sichern. Die Wildpferde, deren anmutige Silhouette sich überall entlang der Strecke abzeichnet, sind ein lebendiges Relikt aus dieser Zeit, Nachfahren der Tiere, die zurückgelassen wurden, als die Truppen 1918 wieder abzogen. Forts und Festungen sowie Gräber einzelner Soldaten sind ebenfalls stumme Zeugen.

Dort, wo es noch keine Gleise gab, verkehrten ochsenbespannte Karren. Einen solchen, schwer mit Waren beladen, lenkte an einem Morgen des Jahres 1905 Johnny Coleman, ein Mann aus dem Stamm der Nama. Er kam von Lüderitz und war unterwegs nach Keetmanshop, als ein Sandsturm ihn überraschte. Er überlebte, seine beiden Begleiter erlagen dem feinen, alles erstickenden Staub. Ihre im Sand konservierten Mumien wurden später von den Diamantensuchern gefunden. Die Stadt, die an dieser Stelle gebaut wurde, trägt bis heute Colemans Namen: Kolmanskop (deutsch: Kolmannskuppe oder Colmanskop). Inzwischen ging der Ausbau der Bahnstrecke weiter. 1905 entstand das Teilstück zwischen der Hafenstadt Lüderitz und der Ortschaft namens Aus. Hierhin wurde 1907 August Stauch versetzt, ein deutscher Eisenbahnbeamter, der an Asthma litt und deshalb nach Afrika gekommen war, eigentlich nur zwei Jahre bleiben wollte und zwei Jahrzehnte später als Millionär heimkehrte.

Grasplatz ohne Gras. An einem Apriltag des Jahres 1908 – die einen sagen, es war der 10., die anderen nennen den 14. – legt Stauch wie immer seine Uniform an und begibt sich an seinen Einsatzort, den Grasplatz. Nicht, dass dort etwa Gras gewachsen wäre – nein, wir sind ja in der Wüste! – hier wurde das Futter an die Ochsen verteilt. Der Ort ist trostlos und die Arbeit eintönig. Die Sonne sticht erbarmungslos vom Himmel. Immer wieder wirbelt der Wind den Sand auf und bedeckt die Gleise. Stauchs Funktion bestand darin, dafür zu sorgen, dass ein neun Kilometer langer Abschnitt frei, das heißt befahrbar, blieb. Keine aufregende Aufgabe für jemanden, der mit einem wachen Geist ausgestatten war.

Der Mann, der nach seiner Rückkehr nach Deutschland ein Mathematikstudium begann, hatte nicht vor, seine Zeit in der Wüste zu vergeuden. Er beschäftigte sich mit allerlei Forschungen und hielt auch seinen Gehilfen Zacharias Lewalla an, auf interessante Funde zu achten. An Diamanten dachte damals niemand, man suchte eher nach Kupfer und anderen Mineralien. An diesem denkwürdigen Tag im April also kommt Lewalla zum Rapport, öffnet seine Hand und lässt einen Stein in der Sonne funkeln. Stauch nimmt den Stein, ritzt damit an seinem Uhrglas, stellt die Härte fest und kommt zu dem Schluss, dass es sich um einen Diamanten handeln müsse. Er kündigt sofort seine Stelle bei der Bahn, kratzt seine Ersparnisse zusammen, besorgt sich eine Prospektiergenehmigung und rüstet mithilfe weniger Freunde eine Exkursion ins Innere der Namibwüste aus.

Stauchs Theorie. Der Fluss Oranje, der heute die Grenze Namibias zu Südafrika bildet, hat die in Pipes abgelagerten Steine über Millionen Jahre in den Atlantik gespült, der sie wiederum mit dem Benguelastrom nach Norden transportiert hat. Als das Meer sich zurückzog, ließ es Muscheln und Edelsteine zurück. Wind und Wellen brachten sie an die Oberfläche und verstreuten sie im Sand der Namibwüste. Stauch, der von seiner Theorie überzeugt war, ließ – von allen belächelt und verspottet – in der Wüste Claims abstecken. Als dann aus Berlin die Bestätigung kam, dass es wirklich Diamanten waren, sollten viele seinem Beispiel folgen.

In den Jahren darauf erblühte Kolmannskuppe zur luxuriösen Wüstenstadt. Die besten Architekten des Reiches bauten Häuser im wilhelminischen Stil, Trinkwasser wurde per Schiff aus Kapstadt angeliefert. Innerhalb des Ortes verkehrte eine Schmalspurbahn, die frische Milch und Eis anlieferte. Die Steine, so erzählt man sich bis heute, lagen überall im Sand obenauf und brauchten nur eingesammelt zu werden. In der Früh wurden die Arbeiter mit Schaufeln und kleinen Handbesen losgeschickt und abends kehrten sie mit diamantengefüllten Marmeladegläsern zurück. Einmal habe Stauch – auf dem Boden sitzend – in Reichweite seiner Hände
37 Diamanten gefunden, wird berichtet.

Die reichste Stadt Afrikas. Um 1912 deckten die Diamantfelder von Kolmannskuppe 20 Prozent der Weltmarktproduktion ab. Die Stadt war die reichste in Afrika, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen ihrer Einwohner. Ungefähr 300 deutsche Familien lebten hier. Für die 800 schwarzen Hilfsarbeiter gab es einfache Baracken außerhalb der Siedlung. Sie arbeiteten am Bauch liegend und trugen einen Mundschutz – nicht etwa wegen des Staubs und des Sandes, sondern damit sie die wertvollen Steine nicht verschlucken konnten. Bevor ihr Arbeitsverhältnis zu Ende ging, mussten sie zwei Tage lang Rizinusöl trinken, um sicherzugehen, dass sie die Diamanten, die sie hinausschmuggeln wollten, wieder ausschieden. Auch der hochmoderne Röntgenapparat im Krankenhaus von Kolmannskuppe diente vor allem als Diamantendetektor.

Schon im September 1908 erklärte die deutsche Regierung eine Zone 360 Kilometer nördlich des Oranjeflusses und 100 Kilometer tief ins Landesinnere hinein zum Sperrgebiet. Das ist es bis heute – und ein veritabler Staat im Staat. Wer sich dorthin begeben will, muss Sperren passieren, Genehmigungen vorweisen, telefonische Okays abwarten . . . Kolmanskuppe steht seit 1956 leer. Der Wind heult, die Sonne sticht erbarmungslos vom Himmel, der Sand kriecht in jede Pore. In der Villa des Minenverwalters wiegt sich eine zerbrochene Deckenlampe quietschend in der Luft, ein loses Blech auf dem Dach schlägt gegen die Balken. Ein Schild mit handgezeichneter Cobra warnt vor „snakes“ – Ureinwohner, darunter viele giftige, die sich hier wieder eingenistet haben.

Die Natur erobert ihr Terrain Stück für Stück zurück. Der Sand nimmt alles wieder in Besitz. Er führt hier Regie, türmt sich im Wohnzimmer des Minenverwalters auf, dort, wo einst die jungen Damen eisgekühlte Limonade getrunken haben, bevor sie zur Abendunterhaltung in den Ballsaal eilten.

Die Geisterstadt. Ein Besuch der Stadt ist nur mit offizieller Genehmigung möglich. Einige der Gebäude erstrahlen bereits im Glanz eines frisch renovierten Heimatmuseums. Der Rest soll demnächst folgen. Aber noch herrscht in Kolmannskuppe der konservierte Verfall. Über allem – der Turnhalle, den altgotischen Schriftzügen an den Fassaden, den Blümchentapeten und Zichorienkaffeedosen – schwebt der Geist der Dreißigerjahre. Nirgendwo sonst ist ungebrochenes Deutschtum so gegenwärtig wie hier in der Wüste Afrikas. Ein schauriges Erlebnis. Weit schauriger als der Anblick der Gebäudeskelette.

Deutsch-Südwestafrika, Kaiser Wilhelms ehemalige Kolonie, kam nach dem Ersten Weltkrieg 1919 zu Südafrika und ist seit 1994 als Staat Namibia unabhängig. Der Name leitet sich von der Wüste Namib ab. Er wurde gewählt, weil er als neutral galt und keines der vielen namibischen Völker benachteiligte. Die deutschen Städtenamen behielt man meist bei, obwohl es sich wie bei Lüderitz, dem Bremer Tabakhändler, der das Land um die nach ihm benannte Bucht durch einen geschickten Trick erwarb, um ehemalige Vertreter der Kolonialherrschaft handelt.

Kleiner, aber feiner. Den Abbau der Diamanten betreibt heute die Namdeb, ein Unternehmen, das zu 50 Prozent dem südafrikanischen Monopolisten De Beers und zu 50 Prozent dem namibischen Staat gehört. Was die Qualität der Produktion betrifft, so hat Namibia Glück: Die Ausbeute an hochwertigen Steinen, solchen, die zur Schmuckherstellung genutzt werden können, liegt bei bis zu 95 Prozent. Anderswo beträgt dieser Wert etwa 25 Prozent. Zwar sind die Südwestdiamanten nicht besonders groß, aber rein und damit auf dem Markt sehr beliebt. Die Größe allein ist nicht ausschlaggebend für den Wert eines Diamanten, erfahren Besucher von The Diamond Works in Windhuk. Ein kleiner Stein feiner Qualität kann wertvoller sein als ein größerer Diamant. Was zählt, sind die vier C nach den englischen Begriffen Colour (Farbe), Clarity (Reinheit), Cut (Schliff) und Carat (Größe).

Über den Wert eines Diamanten entscheiden letztlich feine Nuancen, die nur der Fachmann beurteilen kann. Die Qualität des Schliffs ist einer dieser Faktoren. Den höchsten Preis erzielen Diamanten mit 57 Facetten, Brillanten. Als hundertprozentige Tochter von Namdeb eröffnet 1998 – vier Jahre nach der Unabhängigkeit – in Okahandja im Zentrum des Landes die erste Diamantschleiferei Namibias mit über hundert Mitarbeitern. Kolmannskoppe ist Geschichte. Von 1908 bis 1930 währte das Wunder der Wüste. Nachdem die Vorkommen zurückgingen, wurden die Minen im Jahr 1930 geschlossen.

Hauptsäule der Wirtschaft. Stauch starb als armer Mann 1947 in seinem Heimatort Ettenhausen. Der Krieg, die Inflation und die Weltwirtschaftskrise hatten ihm den Ruin gebracht – wie vielen anderen auch. Ob Zacharias Lewalla es verstanden hat, seinen Lohn zu mehren und aus seiner Entdeckung Profit zu schlagen, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, wann er starb und wo er begraben liegt.

Die Diamantwirtschaft jedenfalls ist die Hauptsäule der Wirtschaft Namibias. Heute gilt die Mine in Oranjemund als eine der größten im Land. Sie befand sich bis vor Kurzem ganz im Besitz der Namdeb. Nahezu alle Einwohner arbeiteten für den Diamantenkonzern. Seit drei Jahren gibt es einen Stadtrat und eine Stadtverwaltung, die Tourismusprojekte plant. Bisher ist der Zutritt Fremden ja nicht gestattet. Ein Teil des Diamantenabbaus findet auf See im Atlantischen Ozean statt. Experten schätzen, dass in den Hoheitsgewässern Namibias noch Vorkommen zwischen ein und drei Milliarden Karat lagern. Wassertiefen bis zu 200 Meter werden abgesucht. In Elizabeth Bay sollen täglich etwa 1000 Karat, also 200 Gramm, Diamanten gefunden werden. Dazu müssen 10.000 Tonnen Sand gesiebt und gewaschen werden. Der Sand ist in diesem hoch spezialisierten Business immer noch Hauptakteur.

Tipp

Erfrischend. Seit 1920 nach dem deutschen Reinheitsgebot gebrautes Bier.
windhoekbeer.com.na

Robust. Schnürstiefel für die Erkundungstour.
timberland.com

Wertvoll. Rohdiamanten, die in Namibia allerdings nicht zu kaufen sind. namdeb.com

Unterwegs mit der Bahn: Lernidee-Erlebnisreisen haben seit heuer den südafrikanischen Shongolulu- Express im Programm (dt. Tausendfüßler), einen britischen Vintage-Zug. Mit an Bord sind Kleinbusse, mit denen die Sehenswürdigkeiten, etwa Kolmannskuppe, angesteuert werden. Die Autorin wurde auch von Lernidee unterstützt. lernidee.de

Diamantenverarbeitung: The Diamond Works (Garden Str.) in Windhoek ist eine Zweigstelle des gleichnamigen südafrikanischen Unternehmens und bietet Führungen zur Geschichte der Diamantengewinnung, zur Beschaffenheit und Verarbeitung der Steine an. thediamondworks.co.za/

Souvenirs: Penduka heißt in der Sprache der Oshiwambo und Herero „Wach auf!“ und steht für eine Nonprofitorganisation in Windhoek, die Stoffdesigns, Schmuck und Deko-Objekte herstellt und vermarktet und Frauen Arbeit gibt.
penduka.com

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