Kanha-Nationalpark: Dem Tiger auf der Spur

(c) Martina Katz
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Ob Barbecue im Dschungel oder Kampf der Gaur-Giganten – im Kanha-Nationalpark genießt der Gast Indien von der luxuriösen Seite.

„Affen-Alarm aus Südwest“, ruft Guruji in den Sal-Wald und ergänzt: „Schnell dahin, bevor wir ihn verpassen!“ Der Nationalparkwärter klammert sich an seinen Sitz im offenen, nach oben gestuften, Safari-Jeep und durchforscht den im Morgennebel schwirrenden Dschungel mit suchenden Blicken. Sein Partner, Guide Ashish, tritt sofort auf das Gaspedal. Staub wirbelt auf, Reifen knirschen auf der buckligen Sandpiste. Das eben noch müde Safaritouristenpaar in der ersten Reihe schaut aufgeregt herum, zieht sich die Decken fester um die Schultern, die Wärmflaschen dichter an den Schoß. Unaufhörlich schallt das Stakkatorufen der Languren aus dem Wald herüber. Immer lauter wird es, immer näher kommt der Jeep dem Alarmschrei der Affen. Doch dann ist es plötzlich wieder still.

Guruji, Ranger im Kanha-Nationalpark, und Ashish, Guide der Banjaar Tola Lodge, lauschen seit nunmehr 20 Jahren dem Warnruf der Languren. Sie sind ständig auf der Suche, in Alarmbereitschaft, in erwartungsvoller Neugierde, nur ein Ziel vor Augen: den Safaritouristen ein Auge-in-Auge mit dem Königstiger zu ermöglichen. Für die meisten Urlauber wäre es das Highlight ihrer Reise, schließlich ist der Tiger die gefährlichste Raubkatze der Welt. Im Kanha-Nationalpark im zentralen Hochland Indiens sollen sich noch 50 bis 70 dieser Einzelgänger verstecken. Zwischen immergrünen Sal-Bäumen, die wie Besenstiele in den Himmel ragen, silberfarbenen Languren, die sich wie Dschungelakrobaten von Baum zu Baum schwingen, und Kanhas Juwelen, den letzten wildlebenden Hochland-Zackenhirschen, die ihr zwölfspitziges Geweih auf offenem Grasland und an Tümpeln zur Schau tragen, kann man sie manches Mal erspähen. Meist im Morgengrauen, wenn es mit 15 Grad Celsius noch eiskalt ist für indische Verhältnisse oder abends, wenn es wieder kalt wird. Nur dann wagen sich die Tiger aus dem Unterholz, das sie zur heißen Mittagszeit vor der brennenden Sonne schützt.

(c) Martina Katz

Pfauen und Adler. Der Kanha-Nationalpark erstreckt sich über 2000 Quadratkilometer am südöstlichen Rand des Bundesstaates Madhya Pradesh, ein Sechstel davon ist für den Tourismus geöffnet. Hier herrscht ein friedvolles Idyll, Natur pur, fern aller Menschenmassen, wie in einer anderen Welt fühlen sich Besucher. Pfauen stolzieren in Grüppchen umher, Seidenspinnen legen ihre tischdeckengroßen Netze aus, permanent tropft es von den Blättern, ein Geräusch wie ein kleiner Regenschauer. Über dem Bamhni Dadar Plateau, wo die Einheimischen früher Felder bewirtschafteten, zieht ein Adler seine Runden. Am Eingang zum Park drängen sich die wenigen hellblauen Häuser des Dörfchens Mukki, zwei Kilometer weiter schauen die safranfarbenen Zeltsuiten der Banjaar Tola Lodge, der einzigen Luxusherberge, wie mexikanische Hüte zwischen meterhohen Bambushainen hervor. In großzügiger Reihe blicken sie auf den Banjaar River, der seine Farbe mit den Lichtverhältnissen von olivgrün über silbergrau bis stahlblau wechselt, und die Herde perfekt gepunkteter Axishirsche, die hier regelmäßig grasen und trinken. Safarizelten in Luxusform ist das, unter imprägnierter Leinwand, zwischen Skulpturen lokaler Künstler, handgearbeiteten kreisrunden Bambusbetten und Stoffen aus feinster indischer Seide, Butler inklusive.

Bollywoodleben. Schon die Anfahrt ist ein Abenteuer. In fünf Stunden geht es im bequemen Privattaxi von Indiens geografischem Mittelpunkt, der Millionenstadt Nagpur, nach Nordosten – Zeit genug, um den Sitz auf bequem zu stellen und das Bollywoodleben an sich vorbeiziehen zu lassen. Zunächst ist es auf der einspurigen, staubigen Teerstraße eine Wettfahrt mit rot-grünen Lastwagen und klapprigen Mopeds – die einen mit Strohballen überladen, auf den anderen junge Burschen mit der Freundin, manchmal mit der Oma, manchmal mit allen dreien. Vorbei geht es an Holzständen mit Wellblechdächern, schlichten Steinhäusern in Rosa und Azurblau, Wiesen und Feldern. Kein Straßen-, kein Ortsschild. Ab und zu versperrt eine Affenhorde den Weg, säumt eine Bahar-Allee mit ihren knorrigen Bäumen die Fahrbahn. Von einem Sandweg kommen drei Mädchen mit silberfarbenen Wasserschüsseln auf dem Kopf. Ganze Familien spazieren am Rand der Straße, die Männer im Anzug, die Frauen in leuchtenden Saris. Dann kommen die ersten Dörfer in Sicht – Kioske mit Bananen, Orangen und Äpfeln, hellblaue Häuser. Wasserbüffel trotten über die Straße, hunderte Menschen scheinen geschäftig im Gespräch zu sein. Im Fluss Bagnedi stehen weiße Rinder zwischen ebenso weißen Steinfelsen, daneben baden Kinder, Männer waschen ihre Haare. In Balaghat, dem modernsten Ort, gibt es sogar einen Friseur und ein paar Essmöglichkeiten – ein einfaches, indisches Leben.

(c) Martina Katz

Zurück im Kanha-Park erschallt plötzlich wieder der Stakkatoruf der Languren, der Affenalarm. Dieses Mal gibt es tatkräftige Unterstützung: Ein Axishirsch scheint den Tiger gewittert zu haben, laut tönt sein Schrei. Der Jeep-Trupp, frisch gestärkt durch ein spätes Rastplatz-Frühstück von der Motorhaube, wagt den nächsten Annäherungsversuch. Minutenlang bleibt es spannend. Wird sich der Tiger diesmal zeigen? Ist mit der Sichtung dieses Urwaldkönigs tatsächlich schon der Höhepunkt der Reise erreicht? Doch nein! Zwei massive schwarze Gaurbullen schnauben auf einer Lichtung. Atemschwaden steigen aus ihren Nüstern, Gras raschelt unter den weißbestrumpften Hufen. Mit über einer Tonne Gewicht schieben sich die Zwei-Meter-Kolosse, die größten Rinder der Welt, hin und her, ihre Hörner ineinander verkeilt, ein seltenes Kampfritual. Weltweit gibt es nur noch geschätzte 10.000 dieser scheuen Tiere, in Zentralindien hat der Kanha-Park die meisten.

Raubkatzensichtung. Bis zur Eröffnung als Tigerschutzgebiet 1973 unter Staatschefin Indira Gandhi mussten zahlreiche Menschen aus dem Park umgesiedelt werden. Zwar gab es großzügige Abfindungen, angefreundet haben sich die Betroffenen mit der Situation aber erst, seitdem auch sie vom Tourismus profitieren – als Chauffeur für die Lodge oder als Tänzer bei deren Bayga. Der traditionelle Tanz der Bettler um ein offenes Feuer im Dschungel ist, neben dem Dinner am Pool, das Touristen-Highlight am Abend. Die Zahl der Tiger im Park nimmt dennoch seit Jahren ab. Wilderer sind noch immer ein Problem, auch wenn es offiziell niemand zugeben will – bei einem Durchschnittslohn von 4000 Rupien im Monat, rund 50 Euro, ein verlockender Zusatzlohn für manchen Inder. Da nützen auch die religiöse Verehrung des Tigers und das Jagd­verbot nichts.

Als Ashish am Nachmittag erneut mit seinen Safaritouristen aufbricht, haben die beiden bereits indische Haute Cuisine auf der Terrasse der Banjaar Tola Lodge genossen: drei Salate aus Papaya, Roten Rüben, Kichererbsen und Weißkohl, dann Hühnchentikka in Honig, Mewa Kebab und Orangen-Phirni, serviert auf einer armlangen Etagere. Entspannung pur ist danach die Fahrt durch die Nationalparknatur, in der über 200 Vogelarten mit ihrem Pfeifkonzert prahlen. Plötzlich raschelt es im Gebüsch. Ein aufdringliches Rascheln, immer wieder. Ein ganzer Busch scheint in Bewegung, als würde ihn jemand versetzen wollen. Der Tiger? Doch kein Affenalarm hat Gefahr vermeldet. Ashish, Guruji und das Safaripaar stehen vor ihren Sitzen, lang gestreckt. Dann zeigt er sich, für drei Sekunden nur, bevor er wieder im Unterholz verschwindet: ein Leopard! Das gefleckte Fell glänzt in der Sonne, darunter spielen Muskelpakte.

(c) Martina Katz

Ein imposanter Anblick, ein schönes Tier. Später in der Lodge werden die Touristen davon schwärmen. Die Banjaar Tola Crew wird sie winkend begrüßen, ihnen ein Erfrischungstuch, dann einen Cocktail reichen, so wie immer. Doch die anderen Urlauber werden sie beneiden, denn für die Raubkatzensichtung gibt es keine Garantie. Allein schon deshalb wird diese Begegnung ein Highlight dieser Tage sein, auch wenn der ebenfalls seltene Leopard kein Königstiger ist.

Tipp

Nervenstark. Beruhigend bei Raubkatzen-Konfrontation: Baldrian-Pastillen aus der Apotheke, hier von Sanova.

Leichtgewicht. Wetterfester Hut aus Canvas, über originalequipmentshop.com

Angepasst. Safarijacke von Bomboogie. bomboogie.it

Anreise. Mit Austrian Airlines und Air India über Delhi nach Nagpur. Eine Privatlimousine der Banjaar Tola Lodge holt die Gäste von dort ab. austrian.com

Übernachtung. Die luxuriösen Zeltsuiten der Banjaar Tola Lodge stehen direkt am Fluss mit Blick auf das Wildleben (tajsafaris.com, Suite mit Vollpension und zwei Safarifahrten täglich ab 365 Euro/Person und Nacht). Der Kanha Nationalpark ist von Oktober bis Juni geöffnet.

Anbieter. Eine 11-tägige „Tiger und Tempel“-Privatrundreise inkl. Kanha Nationalpark bietet Tischler Reisen (ab Delhi bis Mumbai, ab 2.095 Euro/Pers. bei 2 Personen, tischler-reisen.de).

Info. Indisches Fremdenverkehrsamt für Europa, +49/69/242 94 90.

Die Autorin wurde von dieser Institution und Tischler Reisen unterstützt. incredibleindia.org

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