Französisch-Polynesien: Brotfrucht und Spiele

Sündhaft schön. Traumbucht auf Moorea, der kleinen Schwester von Tahiti.
Sündhaft schön. Traumbucht auf Moorea, der kleinen Schwester von Tahiti.(c) Win Schumacher
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Einst verdammten Missionare das größte Fest Französisch-Polynesiens, heute versetzt das Heiva die Inseln wieder einen Monat lang in Ausnahmezustand.

Trommelwirbel für Rua-Ta’ata. Der Jüngling mit der Brotfrucht dreht sich lasziv im Mondschein, lässt zum anschwellenden Rhythmus der Trommler den nackten Oberkörper beben. Sein spärliches Blättergewand zittert im Wind, die üppig verzierte Palmkrone vibriert. Bald ist Rua-Ta’ata von einer Formation farbig schillernder Tänzerinnen umgeben, glänzende Körper unter wogenden Federn, schimmernde Muscheln und Perlen auf feuchter Haut. Zum wilden Takt der Trommeln erzittert die Insel immer ekstatischer, bis Rua-Ta’ata wie ohnmächtig zu Boden sinkt.

Schweißtreibend. Wettläufe mit zentnerschweren Bananenstauden zählen zu den Wettbewerben beim Heiva.
Schweißtreibend. Wettläufe mit zentnerschweren Bananenstauden zählen zu den Wettbewerben beim Heiva.Win Schumacher

Für die ersten Missionare auf Tahiti war es der Einbruch von Sodom ins Paradies. Für die heutigen Touristen ist das Heiva-Fest ein farbenprächtiges Folklorespektakel. Was früher wie heute vielen Zuschauern entgeht: Für die Tahitianer lebt in diesen Tänzen eine jahrtausendealte Kultur fort. Hinter so mancher Vorführung verbirgt sich eine Legende. Rua-Ta’ata und seine Tänzerinnen erzählen die Geschichte, wie einst Uru, die Brotfrucht, auf die Insel Raiatea kam und zur Lebensgrundlage ihrer Bewohner wurde. Um seine hungernden Kinder zu ernähren, opferte sich Rua-Ta’ata und verwandelte sich in einen Brotfruchtbaum. Der Tänzer im Blättergewand ist in Wahrheit ein Geschichtenerzähler. „Das Heiva ist so alt wie unsere Kultur selbst“, sagt Irma Prince. Die 70-jährige Polynesierin trägt eine zerzauste Blätterkrone, wie viele der Festbesucher. Zum Auftakt des Heiva Raromatai auf Bora Bora hat sie gerade mit kraftvoller Stimme eine traditionelle Hymne vorgetragen. Auf der eigens aufgebauten Tribüne klatschen die Zuschauer frenetisch. Während zunächst jede Insel ihr eigenes Heiva feiert, treten beim Heiva Raromatai am Ende des Festmonats die Gewinner von Tanzaufführungen, Gesangs- und Sportwettbewerben der verschiedenen Eilande gegeneinander an – eine Art polynesische Insel-Olympiade, die uralten Traditionen folgt.

Stressig. Wer am Ende die meisten Kokosnüsse zerschlägt und das meiste Fruchtfleisch sammelt, wird Kokoskönig.
Stressig. Wer am Ende die meisten Kokosnüsse zerschlägt und das meiste Fruchtfleisch sammelt, wird Kokoskönig.Win Schumacher

Grazie einer Inselkönigin. Als Fest der Sünde war das Heiva-Fest auf Tahiti und seinen Nachbarinseln lang verpönt. Der zum Christentum bekehrte Pomaré II., König von Tahiti, hat es 1819 verboten. Heute wird das Fest wieder überall in Französisch-Polynesien ausgelassen gefeiert. Beim Heiva wetteifern die Polynesier um die besten Tänzer, Sänger und Sportler ihrer Inseln. Mit den ausgefallenen Kostümen, packenden Rhythmen und kuriosen traditionellen Sportdisziplinen zieht das Fest nicht nur die Einheimischen in seinen Bann. „Ganz Bora Bora ist heute dabei“, sagt Irma Prince, „vom Säugling bis zur Großmutter.“ Die Sängerin genießt den Auftritt vor randvollen Rängen. Sie ist als Diva des Heiva überall auf den Inseln bekannt. „Alles begann mit General Charles de Gaulle“, erzählt die alte Dame mit einem verschmitzten Lächeln. Sie hat sich über all die Jahre die Grazie einer Inselkönigin bewahrt. „Als er einst nach Tahiti kam, suchte man ein Schulmädchen, das vor ihm tanzte.“ Die kleine Irma wurde ausgewählt, den berühmten Besucher mit einem traditionellen Tanz zu empfangen. Der General und die Anwesenden schienen beeindruckt – und Irmas Karriere als Inseltänzerin war programmiert. Später wurde sie zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten des Heiva in Tahiti und auf den Inseln ringsum. „Irgendwann wurde ich eingeladen, in aller Welt zu singen und zu tanzen“, erzählt sie. Sie reiste nach Europa, Asien und Südamerika. Überall waren die Menschen begeistert. „In Brasilien tanzten die Menschen mit, in Bahrain wurde ich vor dem Auftritt erst vom Sittenamt überprüft.“ Am Ende war sie eine der bedeutendsten Botschafterinnen der Kultur Französisch-Polynesiens. Ihre wichtigste Bühne aber blieb das Heiva. „Ich werde nie mein Paradies verlassen“, sagt sie.

Abwechslung. Bora Bora bietet anderes Südseeflair als etwa die Marquesas.
Abwechslung. Bora Bora bietet anderes Südseeflair als etwa die Marquesas.Win Schumacher

Besiedelung Neuseelands. Viele Touristen kommen nach Tahiti nur für einen Strand- oder Tauchurlaub. Ihnen entgeht die abenteuerliche Geschichte und Kultur eines Volkes, das schon vor Christi Geburt mit einfachen Pirogen die entlegensten Inseln der Erde eroberte und dort eindrucksvolle Zeugnisse hinterließ. Von hier aus wurden Neuseeland, Hawaii und die Osterinsel besiedelt. Das Heiva-Fest bietet eine einzigartige Möglichkeit, die Kultur des Pazifik kennenzulernen. Tahiti liegt mehr als 17.000 Kilometer vom französischen Mutterland entfernt. Auch wenn die Inseln ihren eigenen Präsidenten haben – ihr wahres Staatsoberhaupt heißt François Hollande, ihre wahre Hauptstadt ist nicht Papeete, sondern Paris, und ihre Amtssprache Französisch und nicht Tahitianisch. Die ehemalige Kolonie gehört heute politisch immer noch zur Grande Nation, genießt aber mehr Unabhängigkeit als etwa die französischen Übersee-Départements Guadeloupe und Martinique in der Karibik, La Réunion und Mayotte im Indischen Ozean und Französisch-Guyana im Norden Südamerikas. Anders als diese ist Französisch-Polynesien nicht Teil der Europäischen Union und hat eine eigene Währung, den Franc der französischen Pazifikkolonien. Die 118 Inseln und Atolle Französisch-Polynesiens liegen wie eine aufgesprungene Perlenkette inmitten des Pazifiks. Auf einer Wasserfläche von vier Millionen Quadratkilometern – in etwa die Fläche der EU – verteilen sich fruchtbare Vulkaninseln und winzige Koralleneilande. Alle zusammengenommen sind die Inseln gerade einmal halb so groß wie Korsika.

Die fünf Hauptarchipele sind teils Flugstunden voneinander entfernt. Viele Touristen besuchen einzig die Gesellschaftsinseln, zu denen Tahiti selbst und die benachbarten Inseln gehören. Am beliebtesten sind das 17 Kilometer von dem wirtschaftlichen Zentrum Papeete entfernte Moorea mit seiner Bilderbuchlagune und der abenteuerlich steil aufragenden Bergsilhouette und das von Flitterwöchlern belagerte Bora Bora. Weit ursprünglicher sind die Nachbarinseln Raiatea, Huahine und Tahaa. Noch weniger besucht sind die Atolle von Tuamotu im Nordosten von Tahiti. Sie sind für ihre schwarzen Perlen berühmt. Mit vier Flugstunden Entfernung von Tahiti bilden die Marquesas einen der abgeschiedensten Archipele der Welt. Paul Gauguin flüchtete einst nach Hiva Oa, als ihm Tahiti nicht mehr einsam genug war. Auf den Marquesas finden sich die wichtigsten Ausgrabungsstätten Französisch-Polynesiens. Die geheimnisvollen, vom Urwald umwucherten Ruinen liegen versteckt zwischen wild gezackten Bergspitzen, die über 1000 Meter aus dem Ozean aufragen. Auf Hiva Oa stehen auch die größten polynesischen Steinstatuen außerhalb der Osterinsel, die monumentalen Tikis.

Insel Marquesas.
Insel Marquesas.Win Schumacher

Wem die Marquesas immer noch nicht abgeschieden genug sind, der findet mit Sicherheit auf den Austral- und Gambierinseln sein Exil. Hier leben die Menschen noch wie vor Jahrhunderten vom Fischfang und der Landwirtschaft. Nur einmal in der Woche wird das träge Inselleben ein wenig hektisch, wenn das Flugzeug aus Papeete landet. Auf dem zentralen Platz von Vaitape, der größten Siedlung auf Bora Bora, hat sich am Morgen eine Menge von mehreren hundert Menschen um eine Reihe mit aufgetürmten Kokosnüssen versammelt. Die halbe Insel ist gekommen, um dabei zu sein, wenn der König der Kokosnussknacker gekürt wird. Die Sportlerduos von verschiedenen Inseln sind nur mit einem um die Hüfte gewickelten Pareo und einem Blätterkranz bekleidet. Die meisten tragen traditionelle Tattoos auf den muskelbepackten Oberarmen und Schultern. Mit ihren Beilen muten sie wahrhaft archaisch an. Als der Schiedsrichter das Startsignal gibt, schlagen die Athleten auf ihre Kokosnusshaufen ein, sodass die Schalen ins Publikum splittern. Die Menge johlt und feuert ihre Idole an. Sieger ist, wer am Ende die meisten Nüsse zerschlägt und das meiste Fruchtfleisch sammelt. Kinder und Jugendliche drängen sich um die Kokosnusshaufen. Den Sportlern rinnt der Schweiß über die Tattoos.

Die Besten im Pazifik. „Vor Jahren interessierten sich die Jugendlichen kaum für das Heiva“, sagt Stanley Watanabe, „internationale Wettkämpfe waren interessanter. Aber heute ist das Fest wieder sehr beliebt.“ Der 30-jährige Sportlehrer trainiert auf Bora Bora Jugendliche für das Heiva und möchte mit einer seiner Gruppen Inselmeister werden. „Wichtiger als der Sieg ist aber, dass die Jugendlichen sich für die Traditionen ihrer Vorfahren begeistern.“ Auf Palmen klettern, Wettläufe mit zentnerschweren Bananenstauden und Korbflechten im Akkord gehören zu den traditionellen Disziplinen beim Heiva. Am Ende hat in Vaitape das Duo von Bora Bora die meisten Nüsse geknackt. Einer der beiden Wettkämpfer hat sich dabei in den Daumen gehackt, aber nicht aufgegeben. Die Insel jubelt. Der blutige Verband hindert den Sieger nicht daran, den schweren Pokal in die Luft zu stemmen. „Wir sind die Besten des Pazifiks!“, jubelt der Kokoskönig. Bora Bora hat einen neuen Helden.

Tipp

Seidig. Monoi-Öl wird aus den stark duftenden weißen Blüten der Tiare (Gardenia tahitensis) mazeriert und mit Kokosöl vermengt. monoi.com

Saftig. Jackfruits sind frisch oder als Chips äußerst bekömmlich.

Anreise. Zum Beispiel mit Air France und Tahiti Nui über Paris und Los Angeles nach Papeete (Reisedauer 41,5 Stunden, ca. 2500 Euro, airtahitinui.com) Von dort fliegen kleinere Maschinen der Fluggesellschaft zu den Hauptinseln der verschiedenen Archipele.

Heiva Tahiti 2016:
7.–23. Juli tahiti-tourisme.pf

Schlafen auf Tahiti: Manava Suite Resort, spmhotels.pf

auf Bora Bora: Hotel Maitai, hotelmaitai.com

auf den Marquesas: Rose Coser‘s He‘e Tai Inn, marquesas-inn.com

Pauschalreisen: u. a. mit Dertour, Meier‘s Weltreisen

Compliance-Hinweis:
Der Autor wurde von Tahiti Tourisme, Air Tahiti Nui und Henua Enana Tours unterstützt. tahiti-tourisme.de

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