Wohnen wie die Vögel

Nachhaltiger Tourismus verbindet Luxus mit Entwicklungshilfe und ermöglicht einer kleinen tansanischen Dorfgemeinschaft Bildung und Weiterkommen.

Das glitzernde Meer vor mir, im seichten Wasser eines der für die ostafrikanische Küste charakteristischen Dhau-Segelboote. Den europäischen Winter habe ich mit einem Kontinentalflug nach Daressalam und einem kurzen Sprung über das Wasser in einer Cessna der Buschfliegerlinie Coastal hinter mir gelassen. Nun heißt es Schuhe ausziehen, Hose raufkrempeln, auf das Boot klettern und hinüber auf die kleine Insel Chole tuckern. Dort warten sechs Baumhäuser, in die Kronen riesiger Baobabs oder auf Stelzen in den Himmel gebaut, und eine ausladende Villa im subtropischen Grün. Ein Besuch weit abseits der üblichen touristischen Zielen Ostafrikas, so nah an der Natur wie die grünen Tauben, die hier in den Bäumen leben, und so nachhaltig, dass er auch die Herzen umwelt- und entwicklungspolitisch bewusster Gäste höher schlagen lässt.

Grüne Tauben im Gebälk. Jedes Zimmer ist anders. In einem hat man die beste Sicht auf das Meer, unter dem nächsten lebt ein sanftmütiger Leguan, und in wieder einem anderen Baumhaus fällt der Blick auf die wild überwachsene Ruine eines arabischen Hauses. Steinerne Zeugen der Vergangenheit, als die ostafrikanische Küste noch von den Sultanen von Oman beherrscht wurde, und auf Chole ein lukrativer Sklavenhandel blühte.
Dann, 1890, wurde Chole Teil der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Nur 28 Jahre später fiel die Inselgruppe nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg an das britische Protektorat Tanganjika, das schließlich mit Sansibar zu Tansania wurde. Im Baumhaus vier hat eine der grünen Tauben ein Nest ins Gebälk gebaut, und in einem anderen dieser eigenwilligen Behausungen hört man die Schulkinder, wie sie jeden Morgen die tansanische Hymne singen. Seit es die Lodge gibt, hört man die Verse voll Hoffnung auf ein besseres Leben, davor war Bildung auf der kleinen Koralleninsel im Indischen Ozean bloß eine ferne Sehnsucht.

"Eigentlich kamen wir, um uns in der Bootswerft von Chole eine traditionelle Dhau bauen zu lassen", erzählt Jean de Villiers, dessen Frau Anne damals als Entwicklungshilfeexpertin in Sansibar gearbeitet hat. Das war 1993. Doch bald stand nicht mehr das Segelboot im Vordergrund. Stattdessen wurde das Ehepaar zu einem der Pioniere für nachhaltigen Tourismus in Tansania. Ihre Lodge gewann fortan Preise so etwa 2014 den World Responsible Tourism Award in Gold in der Sparte Beach- Tourismus. Dabei ging es den de Villiers von Anfang an vor allem um ein Experiment: "Wir wollten herausfinden, inwieweit ein auf Profit ausgerichtetes Tourismusunternehmen ein probates Mittel ist, um einem ganzen Dorf eine langfristige und breit angelegte Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen."

Chole liegt eine Flugstunde südlich von Sansibar, aber etliche Entwicklungsjahre entfernt von der für den Tourismus weitgehend erschlossenen Gewürzinsel. Hier fehlen Speedboote, Kongo-Pop-Strandbars und Souvenirverkäufer in Massaitracht. Stattdessen ernten Frauen in vom Wind verwehten Kangas, bunten bedruckten Tüchern, Seegras bei Ebbe. Und bei Flut füllt sich die Chole Bay, Teil des 800 Quadratkilometer großen Marineparks von Mafia, bis zu den dicht belaubten Mangroven mit flaschengrünen Wasser. "Natürlich geht es auch darum, die Mangroven und die Unterwasserwelt von Chole zu schützen, Energie zu sparen und ein sinnvolles Abfallmanagement zu betreiben", erklärt Jean de Villiers sein Verständnis von nachhaltigem Tourismus.

Kindergarten und Grundschule. "Aber die Menschen sind der wichtigste Faktor eines funktionierenden Ökosystems, deshalb hat die soziale Nachhaltigkeit bei uns Priorität." Daher gibt es den Bildungspakt. Die de Villiers haben einen Kindergarten gegründet, die Volksschule erbaut und ein Stipendienprogramm für Oberstufenschulkinder und Universitätsstudenten aufgelegt. Nach zwei Generationen auch das gehört zum nachhaltigen Entwicklungskonzept soll sich das Dorf selbst helfen können. Der im Jahr 2000 gegründete Kindergarten führte zu einem regelrechten Weitsprung in der Entwicklung. Nicht so sehr wegen der frühkindlichen Erziehung, sondern weil vielmehr Kindergartenkinder, durch das intensive Gesundheitsprogramm und die Mittagsmahlzeit gestärkt, als Volksschüler den Übertritt in die Unterstufe schaffen.

Damit freilich stieg der Finanzierungsbedarf der Stipendienprogramme erheblich an. Daher gründeten die de Villiers den Chole Mjini Trust Fund, der neben Spenden von Gästen auch um große, institutionelle Sponsoren wirbt. Jene Chole-Kinder, die es bis auf die Universität geschafft haben, müssen die Hälfte des Stipendiums zurückzahlen. Doch während ab der 5. Schulstufe in Tansania auf Englisch unterrichtet wird, lernen die Kinder in der Volksschule in Swahili und schaffen deshalb oft den Übertritt nicht. Genau hier setzt das neueste Projekt der de Villiers an: In der mit Computern ausgestatteten Bibliothek der Volksschule soll mit dem Softwareprogramm "Genki English" die Bildungslücke der Volksschüler ausgeglichen werden.

Auf Dauer beschäftigt. Die Chole Mjini Lodge ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor auf der Insel. 80 Prozent der Angestellten müssen so haben es sich die de Villiers auferlegt aus dem Dorf kommen, sie werden aus- und weitergebildet und, wenn irgend möglich, auf Dauer beschäftigt. Außerdem zahlt das Hotel pro Gast und Nacht zehn US-Dollar direkt an zwei Dorfkomitees, eine Investitionshilfe für die Bewohner, die sonst immer noch fast ausschließlich vom Verkauf von Fischen, Kokosnüssen und Orangen leben. Und so gibt es statt wie vor 20 Jahren, als nur ein Dorfbewohner eine bezahlte Arbeit hatte, heute allein in der Lodge 50 Angestellte, darüber hinaus noch einmal so viele, die dank ihrer besseren Ausbildung auf die Hauptinsel Mafia zur Arbeit pendeln. Statt nur eines einzigen Fahrrads gibt es heute 200, fast jeder hat ein Radio und nicht wenige sogar ein Solarpaneel auf dem Dach. Doch anders als so oft, wenn das schnelle Geld in ein unterentwickeltes Dorf einzieht, funktioniert in Chole die ursprüngliche Lebens- und Solidargemeinschaft weiter. Auch diese Besonderheit kann jeder Gast, der durchs Dorf spaziert, miterleben.

Akrobatische Handwerker. In der Haupthalle der Lodge liegen einige dicke Holzstämme. Hoch oben in den Balken des mit Palmblättern gedeckten Daches balanciert Farahani Shomari in einer atemberaubend akrobatischen Stellung, um zwei Verbindungspfosten aneinanderzuschrauben. Farahani ist einer der ältesten Angestellten der Lodge, einer, der sie miterbaut hat. "Jedes der sechs Baumhäuser hatte eine Bauzeit von bis zu einem Jahr", erzählt Jean de Villiers, denn die selbst auferlegten Prinzipien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit einzuhalten, war mehr als aufwendig. Man baute ausschließlich mit den heimischen Bootsbauern, lokalen Handwerkstechniken und Holz aus dem am Festland gelegenen Rufiji-Delta. "Wir wollten etwas ebenso Einfaches wie Elegantes schaffen", erklärt Jean, und tatsächlich liegt der Luxus von Chole Mjini im Weglassen und in der Konzentration auf das Wesentliche ein wunderbar gepolstertes Himmelbett, Moskitonetze wie wehende weiße Wolken, durch die die Morgensonne schimmert, eine Hängematte zum Seele-baumeln-Lassen. Luxus als perfekte Balance zwischen Ausgesetztsein und westlichem Lebensgefühl, dazu die kulinarischen Köstlichkeiten der Swahili-Küche, Dhau-Segeln, Tauchen und Schnorcheln an einem der besterhaltenen Korallenriffe des Indischen Ozeans.
Doch die de Villiers müssen das Hotelgeschäft vergrößern, damit ihr Entwicklungshilfeprojekt überleben kann. Noch wartet Jean auf eine Baugenehmigung für eine zweite Lodge auf der Hauptinsel Mafia dort, wo man von September bis März in der Bucht mit Walhaien schwimmen kann.

Der Abend senkt sich über die Chole Bay. Rot geht die Sonne hinter Mafia unter, während der Muezzin zum Gebet ruft. Ein Fußballmatch auf dem Spielplatz der Schule geht zu Ende und die Brigade rund um den ehrwürdigen Sicherheitschef Salum Mohammed verteilt sich über die Hotelanlage zur nächtlichen Wache. Beim Abendessen unter dem alten Tamarindenbaum werden große Fragen gewälzt: Was ist vom chinesischen Engagement in Afrika zu halten? Schafft es Tansania, sich von einem der ärmsten Länder des Kontinents in ein Schwellenland zu verwandeln? Auf der kleinen Insel Chole jedenfalls machen alle Lodgebesitzer, Dorfbewohner und Gäste die Erfahrung, dass nachhaltige Entwicklung eine komplizierte, aber für alle befriedigende Politik der kleinen Schritte ist.

Tipps

Reisezeit. Außer in der Regenzeit von März bis Mai herrscht ganzjährig tropisches Klima, im Juni, Juli, August ist es mit 29 Grad (maximale Tagestemperatur) etwas kühler.

Anreise. Flug nach Daressalam oder Sansibar (diverse Anbieter), Inlands-flug nach Mafia (Coastal Aviation www.coastal.co.tz, von dort Transfer zur Chole Mjini Lodge, Chole Island,
Tansania, www.cholemjini.com

Anzahl der Zimmer: sieben Baumhäuser mit Doppelbett. Die meisten bieten ein Extrastockwerk mit Kinderbett(en), weiters gibt es eine Villa (für fünf Personen) mit Viersternehotelklassifizierung.

Reservierungsoptionen:www.cholemjini.com and 2chole@gmail.com

Das Wahlhai-Projekt Kitu Kiblu bietet Praktika an: www.kitukiblu.com; gut kombinierbar mit jeglicher Art von Safari in Tansania, viele Anbieter.

Spezialsafaris:www.thorntonsafaris.com

Compliance-Hinweis: Die Autorin hat das Entwicklungshilfeprojekt und Hotel einen Sommer lang geleitet.

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