Québec: Stadt im Fluss

Historisch. Ein schöner Platz, um zeitlich abzutauchen: Notre Dame des Victoires.
Historisch. Ein schöner Platz, um zeitlich abzutauchen: Notre Dame des Victoires.(c) Stephane Audet
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Québec, erst französische, später britische Provinz, wächst über sich und seine Geschichte hinaus. Hier zu leben gilt auch in Paris als très chic.

Maudits Français! Hinter vorgehaltener Hand wird gelästert und geschimpft. Immer diese Franzosen! Fallen in Québec ein, lärmen durch die Straßen und benehmen sich so, als wären sie hier zu Hause und hätten eine Ahnung davon, wie der Alltag in diesen Breitengraden funktioniert. Die Québécois sind oft ungehalten: Wir sind keine Franzosen, erklären sie, ganz und gar nicht, und wir lassen uns nicht vereinnahmen. Wir haben französisches Blut in uns, das wohl. Doch Wesen und Charakter verdanken sich dem Gemisch an Einwanderern, den Engländern, Iren und Schotten. Gemeinsam ist man stark geworden und zu dem zusammengewachsen, was Québec heute ist: eine französischsprachige, kanadische Stadt, selbstbewusst und offen. Paris liegt sieben Flugstunden entfernt. Doch was Stil und Lebensart sind, weiß man auch hier, auf der anderen Seite des großen Teichs.

Etwa 2800 Seemeilen mussten die normannischen und bretonischen Seefahrer und Entdecker einst überwinden, bis sie die Mündung des Saint-Laurent erreicht hatten. Jacques Cartier war 1535 der Erste, der es geschafft hatte, flussaufwärts zu rudern. Als wirklicher Begründer von Québec aber gilt Samuel de Champlain. Er ließ 1608 eine erste befestigte Siedlung errichten, um Pelze zu kaufen und nach Europa zu verschiffen. Kebec, wie er den Handelsstützpunkt nannte, ist ein Wort aus der Sprache der Indigenen und bedeutet so viel wie: „Dort, wo sich der Fluss verengt“. Ein strategisch wichtiger Punkt, etwas erhöht über dem Strom, und damit der ideale Ort, um Neuankömmlinge zu observieren. Stromschnellen und Wirbel machten die Passage an dieser Stelle besonders schwierig.

Lebendig. Die Sommer sind kurz, doch das Stadtleben ist  rege.
Lebendig. Die Sommer sind kurz, doch das Stadtleben ist rege.(c) Louis Vézina

Der launische Saint-Laurent. Der Respekt vor den Tücken des Flusses ist bis heute geblieben. Tag und Nacht steuern Containerschiffe heran. Bei Tadoussac sind sie verpflichtet, einen einheimischen Kapitän an Bord zu nehmen, der sie bis Québec lotst. Der Saint-Laurent hat seine Launen, Sturmfluten oder die schnelle Schneeschmelze haben das Hafenviertel regelmäßig überschwemmt. Auf etlichen Straßen wurde der Kopfstein in Wellen verlegt, um daran zu erinnern, dass man auf unsicherem Boden wandert: Wegmarken in die Vergangenheit.

Québec gilt als die europäischste Stadt in Nordamerika. In den Gassen entlang des Flussufers stehen behäbige Wohn- und Lagerhäuser aus groben, unbehauenen Steinen wie in den Städten und Ortschaften der Normandie. In der ­Haute-Ville hingegen, wo einst die französischen und später britischen Gouverneure residierten, trägt man die Nase hoch und ist stolz auf die Villen im Stil der Tudors und Queen Victorias und auf die Repräsentationsgebäude mit Elementen aus Historismus oder Art déco. In den vergangenen Jahrzehnten hat man versucht, in Architektur und Kunst an die Moderne anzuschließen. Auf den „Passages Insolites“ sind zwölf Installationen zu entdecken, die das historische Stadtbild aufbrechen. Es sind jedes Jahr andere Bildhauer, die den Parcours gestalten.

Neugotik, Neurenaissance. Auch das Musée de la civilisation, in denen man die Geschichte der indigenen Bevölkerung nachzeichnet, steht im Dialog mit den anregend-fremden Interventionen. Der Komplex ist ein spannender Fremdkörper im Hafenviertel. Der berühmte kanadisch-israelische Architekt Mosche Safdie hat das spektakuläre Gebäude aus Beton, Glas und Stahl entworfen, in das er ein im 18. Jahrhundert errichtetes Wohnhaus und den früheren Stammsitz der Banque de Québec integrierte. Ähnliches unternimmt gerade Rem Koolhaas mit der Dépendance des Musée national des beaux-arts, wenn er das Kloster der Dominikaner samt Kirche in seinen Bau einpasst. Ob alt oder neu: Über allem thront das berühmte Château Frontenac mit seinen spitzen Giebeln und Türmen im Stil der Neugotik und Neurenaissance, das Wahrzeichen der Stadt. Ein Luxushotel und Ungetüm, jedenfalls aber ein Wachposten: Von hier aus hat man den Saint-Laurent bestens im Blick. Québec hängt am Fluss, er ist die Lebensader der Menschen geblieben, die Wurzel ihrer Identität. Selbst 1200 Kilometer landeinwärts sind die Gezeiten zu spüren. Kräuseln sich die Wellen auf dem Fluss ganz fein? Dann ist nichts zu befürchten. Doch wenn die Wasseroberfläche allzu glatt wirkt, braut sich ein Unwetter zusammen. Der Sommer ist kurz und dauert nur zwei bis drei heiße, häufig schwüle Monate. Der Herbst geht schnell in den tiefsten Winter über. Mehrere Meter Schnee sind keine Seltenheit, Temperaturen von minus zwanzig Grad nichts Besonderes. Die Liste der verheerenden Eisstürme ist lang. Die Katastrophe von 1998, als gleich mehrere grimmig kalte Blizzards über die Dächer jagten und das Stromsystem zerstörten, ist unvergessen. Seither sind die Leitungen Québecs unter der Erde verlegt.

Spektakulär. Über die Montmorency- Fälle stürzen Wassermassen in den St.-Lorenz-Strom.
Spektakulär. Über die Montmorency- Fälle stürzen Wassermassen in den St.-Lorenz-Strom.(c) Yves Marcoux

Wenn Schnee und Sturm abgezogen sind, ist das Licht klar wie kaum anderswo: „Une luminosité extrême“, wie die Québécois schwärmen. Und überhaupt: Dem Wetter muss man die Stirn bieten, man darf sich nicht kleinkriegen lassen von seinen Eskapaden. Besser, man startet die Flucht nach vorn, eingemummelt in warme Pelze, wie sie in zahlreichen Läden verkauft werden: ein Erbe der Ureinwohner. Und dann hinaus an die frische Luft. Im Parc des Champs-de-Bataille werden die Loipen schon im Morgengrauen gespurt, am Saint-Laurent treffen sich Schlittschuhläufer und Eishockeyspieler. Und im Sommer strömen sowieso alle ins Freie. Das Dinner ist früh angesetzt, damit man noch Zeit hat für einen Radausflug entlang des Flusses, fürs Segeln oder eine Kajaktour. So man sich nicht auf dem Marché du Vieux-Port mit Käse, Pastete, Baguette und frischem Obst eingedeckt hat, um irgendwo im Park zu picknicken.

Und überhaupt die Küche. Vielen gilt sie als die beste Kanadas. Jakobsmuscheln, Lobster und Schneekrabben kommen aus dem Atlantik, der Lachs aus den unzähligen Nebenläufen des Saint-Laurent. Gemüse liefern die Bauern von der Ile d’Orléans, wo die berühmten Erdbeeren und dazu noch Erdäpfel, Bohnen und Salat bestens gedeihen. Die nordische Küche, wie sie sich in Skandinavien entwickelt hat, wird auch in Québec gepflegt. Die Gerichte wurzeln im Lokalen und spiegeln zudem die Einflüsse der vielen Einwanderer wider, die sich hier angesiedelt haben: das Carpaccio vom Bison, mit Waldpilzen verfeinert und mit exotischen Pfeffersorten gewürzt, der fangfrische Lachs, in einer leichten Wasabisauce serviert, die feinen Tartes mit Heidelbeeren belegt.

Inzwischen staunen auch die Franzosen. Québec ist längst nicht mehr die arme kleine Cousine von Bordeaux oder Le Havre. Künstler wie der Regisseur Robert Lepage oder Guy Laliberté, der Begründer des berühmten Cirque du Soleil, waren Botschafter für ihre Heimat. Neuerdings gilt es selbst in Paris als très chic, Frankokanadierin oder -kanadier zu sein oder in Québec zu wohnen. Natürlich, manches ist dort altmodisch geblieben: Der etwas langsamere Rhythmus des Lebens oder die Sprache, die im 17. Jahrhundert wurzelt, mit den leicht antiquierten Ausdrücken und dem tiefen, behäbigen Tonfall. Aber will man sich deshalb von den Franzosen bevormunden lassen, vielleicht sogar belächeln? Bloß nicht. Provinz ist anderswo und Québec ein Tor zu einer ganz eigenen Welt. Die Stadt muss sich mit niemandem messen.

Info

Niedlich. Kissen von Majorie Labrèque, zum Beispiel über metiersdart.ca

Köstlich. Karamell mit Ahornsirup, etwa bei kanata.fr

Sportlich. Lieblingssport der Locals ist Hockey, hier ein Fanartikel der Nordiques de Québec. icejerseys.com

Zum Schlafen
Hotel 71: Die Kitchenette in einem der ehemaligen Safes untergebracht, die Rezeption in der Kassenhalle. Das Hotel will nicht verstecken, dass es in die frühere Banque Nationale eingezogen ist. Modernes Design in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert: eine tolle Mischung. 71, rue Saint-Pierre, hotel71.ca

Château Laurier: Ein elegantes Hotel in der Nähe der riesigen Parkanlagen rund um die Zitadelle. Etliche Zimmer punkten mit dem Blick auf den Saint-Laurent. 1220, place George-V Ouest, hotelchateaulaurier.com

Le Château de Pierre: Kein Schloss, aber eine gemütliche, persönlich geführte Unterkunft. Das sündhaft teure Château Frontenac liegt nur ein paar Häuser entfernt. 17, avenue Sainte-Geneviève. chateaudepierre.com

Auberge La Goéliche: Wer ins Grüne und die Stadt doch im Blick behalten will, ist auf der Ile d´Orléans, einer Insel im Saint-Laurent, richtig. Charmant-verstaubte Zimmer mit Aussicht auf Québec. 22, rue du Quai, Sainte-Pétronille, goeliche.ca


Zum Essen
Le 47ième Parallèle: Etwas außerhalb des Zentrums kommt das Beste auf den Tisch, was die Region zu bieten hat. Die französisch-inspirierten Gerichte sind originell
verfeinert. 333, rue St-Amable, le47.com

Chez Boulay – bistro boréal: Einer der Hotspots der Stadt. Hier feiert man die nordische Küche mit kanadischen Akzenten. 1110, rue Saint-Jean, chezboulay.com

Le Patriarche: Für Feinschmecker eine der ersten Adressen. Das Menü präsentiert sich als Folge eleganter Gerichte voller Esprit.
17, rue Saint-Stanislas, lepatriarche.com

Crêperie-bistro Le Billig:
Der ideale Ort für eine schnelle Crêpe zwischendurch. 481, rue Saint-Jean, tonresto.ca

La Maison Smith: Croissants, Macarons und ein Café au lait auf der Place Royale im
Hafenviertel: Paris scheint plötzlich ganz nah. 23, rue Notre-Dame, maisonsmith.ca

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