Toronto: Ein Oscar für das beste Städte-Double

Die Skyline von Toronto
Die Skyline von TorontoReuters
  • Drucken

Toronto ist mal Chicago, mal New York, zeigt den Look der Zwanziger oder den des Jahres 2364 – im Kino. Hollywood North wird Kanadas größte Stadt genannt, weil Filmregisseure sie gern als preiswerte Allzweck-Kulisse nutzen.

Toronto recycelt sich gerade mit glitzernden Neubauten, pfiffigen Geschäftsideen und atemberaubenden Attraktionen, halb Baustelle, halb Schaufenster. Kein Wunder, dass Kanadas größte Stadt seit Jahren auch als ideale Kulisse für Dreharbeiten mit Richard Gere, Matt Damon oder Helen Mirren dient.

Irgendwann wird auch der beste Doppelgänger enttarnt. Toronto passierte das zuletzt im Jahr 2008: Im Science-Fiction-Streifen „Der unglaubliche Hulk“ kämpft der Titelheld, ein grüner Koloss mit übermenschlichen Kräften, im actionreichen Filmfinale gegen eine ganze Armada – angeblich in New Yorks Stadtteil Harlem, vor dem legendären Apollo Theatre.

Doch hinter dessen Leuchtreklame erstrahlt im Film jene des Zanzibar, eines berühmt-berüchtigten Stripklubs in Toronto, und zwei Häuser weiter lugt die Fassade von Sam, the Record Man hervor, einst Kanadas führender Plattenladen mit zwei riesigen, blinkenden Neon-LPs über dem Eingang.

Drei Tage Straßensperre

Wird schon keiner merken, mögen sich die Filmausstatter beim Anbringen des falschen Apollo-Schriftzuges in der Yonge Street gedacht haben – froh darüber, dass Toronto eine seiner Hauptverkehrsachsen so unkompliziert und preiswert als New-York-Double zur Verfügung stellt, sie gleich drei Tage lang für die Filmcrew gesperrt hat. Derart aufwendige Drehs kann man als Toronto-Besucher beinahe täglich erleben. Mit Flatterband abgesperrte Hauseingänge, Filmscheinwerfer und Kameras auf Bürgersteigen, Action-Rufe von Regisseuren – Filmleute nennen die 2,6-Millionen-Einwohner-Metropole am Ontariosee schon lang Hollywood North. Und zwar nicht nur, weil die Straßenschluchten in Torontos zentralem, schachbrettartig angelegten Finanzdistrikt mit ihren stählern glitzernden Wolkenkratzern als Kopie einer aktuellen US-City-Kulisse so täuschend echt wirken.

Chicago-Ambiente der Zwanzigerjahre gesucht? Auf dem Höhepunkt von Jazz und Prohibition? Kein Problem in Toronto! Für den 2003 mit sechs Oscars ausgezeichneten Musical-Film „Chicago“ wurde das klotzige Grand-Hotel Fairmont Royal in der City kurzerhand zum Chicago-Hotel umdekoriert, damit Richard Gere, Renée Zellweger und Catherine Zeta-Jones hier ihr verruchtes Spiel rund um Mord und Showkarriere filmen konnten. Wer sich also ins Chicago der Roaring Twenties hineinträumen möchte – einfach mal für eine halbe Stunde in die kathedralig-plüschige Marmor-Lobbyhalle des Fairmont einchecken, zum Leuteschauen oder mit Glück zum Promi-Kiebitzen bei einem neuen Dreh: Bruce Willis, Morgan Freeman und Helen Mirren waren 2010 da für die Agentenkomödie „R.E.D“, Katie Holmes 2011 als Präsidentengattin Jackie in der TV-Serie „Die Kennedys“. Etwa 20-mal pro Jahr wird ein Kino-Set im Luxushotel von 1929 aufgebaut.

Ab ins 24. Jahrhundert

Von hier aus ins 24. Jahrhundert muss man sich nicht beamen lassen, ein kurzer Fußmarsch sechs Querstraßen Richtung Norden reicht, und schon steht man vor zwei ineinander gestellten Hochhaus-Betonhalbkreisen, außen fensterlos mit einem scheinbar platt gedrückten, weißen Riesenei in der Mitte – im Science-Fiction-Klassiker „Star Trek – Next Generation“ ein bedrohliches Alien-Portal, tatsächlich aber Torontos futuristisch gestaltetes Rathaus von 1965. Manch einer in der Stadt möchte es als grauen Schandfleck lieber heute als morgen abreißen lassen. Nein, wirklich schön ist Torontos laute, geschäftige City drumherum nicht, Ruhezonen und architektonische Hingucker fehlen zumeist. Umso mehr überrascht die Stadt an ihren Rändern, wo die Häuser Normalhöhe haben und meist deutlich älter als 50 Jahre. sind Hier macht's noch mehr Spaß, im Schnitzeljagdmodus Filmschauplätze aufzustöbern. Etwa beim Queens Park, wo das respekteinflößende, rotbraune Legislative Building beim „Chicago“-Dreh kurzerhand vom Parlaments- zum Gerichtssitz mutierte.

„Good Will Hunting“

Gleich nebenan in der grünen Parkoase: Torontos Uni, gegründet 1827. Viele ihrer efeuberankten, grau-anthrazitfarbenen Gebäude stammen noch aus dem 19. Jahrhundert, sehen mit Zinnen, Türmen und Schornstein-Viererreihen aus wie kleine Schlösser oder Landhäuser. Ideal, um Harvard zu doubeln, Bostons Elite-Uni. So geschehen 1997 im Drama „Good Will Hunting“ mit Matt Damon, Ben Affleck, die für ihr Drehbuch ebenso einen Oscar bekamen wie Robin Williams als bester Nebendarsteller.

Beim Schlendern über den luftigen, grünen Campus kann man in Dachrinnen herumwieselnden Eichhörnchen zuschauen und kickenden Studenten auf dem Rasen. Wissen die eigentlich, dass sie ihre Freistöße quasi in Hollywood schießen? „Klar“, sagt Gary aus dem US-Bundesstaat Wisconsin und lacht, „diese Hochschule hab ich mir doch ausgesucht, als ich vor Jahren ,Hulk‘ gesehn habe – so wie der im Film wollte ich auch an der altehrwürdigen Culver-Uni in Virginia studieren und war überrascht, dass es in Wirklichkeit die von Toronto ist.“

25.000 Arbeitsplätze

Etwa 70 große Kinofilme werden hier pro Jahr gedreht, gut 3000 Drehgenehmigungen erteilt die Stadt insgesamt pro Jahr und kann umgerechnet etwa 131 Millionen Euro Ausgaben der Produktionsfirmen verzeichnen. Die kommen auch nach Jahrzehnten immer noch gern – vor allem, weil in Toronto steuerliche Vorteile winken und die Drehkosten etwa 30 Prozent unter denen in New York City liegen. Hinter dem Big Apple und Los Angeles ist Toronto die Nummer drei der Filmstädte Nordamerikas, beschäftigt inzwischen 25.000 Menschen im Kino- bzw. TV-Business. Und hätte längst einen neu zu schaffenden Oscar verdient: den fürs beste Allzweck-Location-Double.

Besonders gern buchen Filmcrews die Casa Loma, ein mittelalterlich anmutendes Schloss, inmitten eines gepflegten, britisch wirkenden Villenviertels auf dem 17.000 Quadratmeter großen Hügelgrundstück Davenport Hill. Mit Springbrunnen im Terrassengarten, nebbichen 98 Zimmern, drei Bowlingbahnen und einem Ofen, groß genug, um darin einen ganzen Ochsen zu braten. Der kanadische Unternehmer Sir Henry Pellatt – reich geworden mit Minen, Versicherungen und Elektrizitätswerken – hatte dieses noch heute größte Wohnhaus Kanadas bis 1914 bauen lassen, verlor aber während des Ersten Weltkriegs fast sein ganzes Vermögen und musste 1924 ausziehen. Heute ist das Haus auf dem Hügel – so die deutsche Übersetzung des spanischen Namens – ein Museum.

Im Keller, zwischen Souvenirshop und Toiletten, hängen Plakate der hier gedrehten Filme: „Cocktail“, ein Frühwerk von Tom Cruise ist ebenso darunter wie „The Kennedys“ oder die Komödie „Der Babynator“. Beliebtester Drehort im Hügelschloss ist der Oak Room, gleich neben der Eingangshalle. Ein düsterer, mit plüschigen Möbeln, Brokatvorhängen, ausladendem Flügel, korinthischen Säulen und 1,50 Meter hohen Kerzenleuchtern überladener Saal, der dem gerissenen Anwalt Billy Flynn, gespielt von Richard Gere, in „Chicago“ als Büro diente.

Dieser und weitere Casa-Loma-Räume sind wiederum in „X-Men“ Schauplätze einer Spezialschule für Menschen mit übersinnlichen Kräften, auf die zwei gute Mutanten kommen und lernen, sich gegen böse Mutanten zur Wehr zu setzen. Der Science-Fiction-Erfolg mit Hugh Jackman und Halle Berry aus dem Jahr 2000 wurde von Bryan Singer inszeniert, wenn auch mit kurzzeitiger Unterbrechung: Übereifrige Polizisten hielten den Regisseur für einen Schaulustigen und baten ihn, sich vom Set zu entfernen.

Tipps

Anreise: Wien–Toronto–Wien u. a. mit einem Stopp im Amsterdam (Hinflug) und CDG (Rückflug) mit KLM/Air France ab 839 €.

Wohnen: Das Park Hyatt Hotel liegt nah am Queens Park und der Uni sowie bei mehreren Museen und exklusiven Einkaufsstraßen. Geräumige Zimmer, sehr nettes Service. DZ/F ab 178 €. 4 Avenue Road, parktoronto.hyatt.com,

Das Delta Chelsea bietet kurze Wege zu vielen Toronto-Attraktionen und gutes Frühstück. DZ/F ab ca. 144 €; 33 Gerrard Street West, deltahotels.com

Das Clarion Hotel & Suites Selby wurde erbaut als Villa für Distillery-Gründer Gooderham, hat daher knarzende Dielen und bunte Bleikristallfenster, aber sehr moderne Zimmer mit Großformatfotos aus Torontos Pioniertagen um 1900. Sparfrühstück auf Papptellern. DZ/F ab ca. 97 €; 592 Sherbourne Street clarionhotelselby.com.

Essen & trinken: Das Pub The Queen and Beaver hat einen gekrönten Biber als Wappen und eine luftige Dachterrasse inmitten gläserner Apartment- und Bankentürme. Leckere Snacks, Fish & Chips, imbisstütenfrei fürs Feinschmeckerauge kredenzt, und Ontario-Lamm für größeren Hunger. 35 Elm Street, queenandbeaverpub.ca

BLÜ (mit insgesamt drei Punkten auf dem U) ist ein exzellenter Italiener, zehn Minuten vom Park Hyatt entfernt. Raffinierte Salate, saftige Steaks und natürlich Pasta in gedimmter Atmosphäre. 17 Yorkville Avenue, 1471, bluristorante.com.

Attraktionen: Das oft als Drehort genutzte Fairmont Hotel liegt genau gegenüber dem ebenfalls für Filmaufnahmen beliebten Hauptbahnhof Union Station (100 Front St W).

Das vom Industriellen Henry Pellat erbaute Schloss Casa Loma ist am besten mit der U-Bahn-Linie Nr. 1 erreichbar, von der Haltestelle Spadina sind es etwa zehn Minuten Fußweg. 1 Austin Terrace, casaloma.org.

Der Distillery District im Osten Torontos, das lang von der Stadt verschämt versteckte, weitläufige Gelände einer Schnapsbrennerei von 1837, war bis zur umfangreichen Sanierung und Restaurierung schmuddelig und verfallen, aber gerade deshalb ideal als Drehort. Hin kommt man am besten mit der Red Rocket, der roten Straßenbahn Torontos, Linie 504 bis Ecke King/Parliament Street. Von dort sind es zwei Blocks zu Fuß. 9 Trinity Street, thedistillerydistrict.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.