Rio, die Welthauptstadt des lockeren Strandsports

Copacabana
Copacabana REUTERS
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Der olympische Geist passt gut an die Copacabana – zur Lust an Fitnessübungen unter freiem Himmel und zum Körperkult auf dem Strand.

Die olympischen Sportstätten sind fertig. Doch das Bundesland Rio de Janeiro ist pleite. Politisch versinkt Brasilien im Chaos. Und zur Angst vor dem Zikavirus tritt nach Nizza auch die konkrete Angst vor einem Terrorakt in Rio. Trotzdem passt der olympische Sportsgeist besonders gut an die Copacabana.

Lang gezogene Morgenwellen spülen hölzerne Fischerboote ans Ufer. Wenn sich an der Copacabana die Sonne rot aus dem Meer erhebt, stoppt der schwarze Strandsportler Flávio seine Sprintübungen im Sand. Der Athlet hält verzaubert den Atem an. Auf der weltberühmten schwarz-weiß gemusterten Strandpromenade begrüßen junge Jogger und rüstige Walker mit einem Lächeln die aufgehende Sonne.

Copacabana, Ipanema, Leblon und Barra da Tijuca: Die großzügigen und feinsandigen brasilianischen Strände in Rio de Janeiros Südzone sind die Sportplätze und Trainingszentren der bewegungssüchtigen Cariocas, der Einwohner von Rio. Alle Brasilianer lieben Mannschaftssport. Bis in die Nacht fliegt auf dem Strand der Ball beim Vôlei über das Netz. Die Kicker beim Futebol de Praia, dem Strandfußball, spielen ebenfalls barfuß.

Wir sind alle Brasilien

Bogenschießen im Sambódromo, Rios Sambatempel, in dem im Karneval die Oben-ohne-Königinnen tanzen. Olympische Regatten mit Ruderern auf dem glitzernden See Rodrigo de Freitas – „Jogos Rio 2016, somos todos Brasil“ (Spiele Rio 2016, wir sind alle Brasilien) –, es flimmert Olympia-Werbung über die Stadtbildschirme und die Anzeigetafeln des internationalen Flughafens Antônio Carlos Jobim. Rios Airport ist nach dem Komponisten von „Garota de Ipanema“, dem „Girl from Ipanema“, benannt. 85.000 Polizisten und Soldaten sollen die Olympischen Spiele in Rio absichern. Nach Nizza ist die Angst vor einem Terrorakt jetzt konkret. Im sonst so lässigen Rio de Janeiro ist die Vorfreude auf das internationale Großereignis aber sowieso schon länger schwer getrübt.

Olympia verschieben

2015 kam der wirtschaftliche Tsunami, Brasilien hatte ein Minuswachstum von rund 3,5 Prozent. Im Mai hat ein Amtsenthebungsverfahren Präsidentin Dilma Rousseff für sechs Monate entmachtet. Nun eröffnet der reaktionäre und genauso unbeliebte Interimspräsident Michel Temer die Olympischen Sommerspiele 2016. Mit Hochdruck kämpft Rio de Janeiro zudem gegen ein unheimliches Virus, das nicht nur schwangere Touristinnen fernhält: Zika. Gesundheitsexperten haben sogar empfohlen, das große Sportevent um ein Jahr zu verschieben. Doch wenn am 5. August die Sommerspiele beginnen, ist auf der Südhalbkugel Winter. In dieser Zeit sind Moskitos weniger aktiv.

Mit dem Slogan „Ein Moskito darf nicht stärker sein als ein ganzes Land“ sollen die Cariocas für die Austrocknung der Brutstätten der zikaübertragenden Tigermücke sorgen, und zwar das Wasser aus den Regentonnen und aus herumliegenden Plastikbechern leeren. Wo bleibt die Sportbegeisterung? Die neun neuen Sportstätten für Olympia 2016 in Rio sind fertig. Doch für olympischen Spirit, Freude am Leben und Rio-typische Partylaune ist in der Samba-Metropole weniger Raum als sonst. Die „Fora Dilma“-(Dilma weg)-Demonstrationen wurden von „Fora Temer“-Protesten abgelöst.

Vor allem Künstler und linke Gruppierungen wehren sich gegen die Interimsregierung „alter weißer Männer“, in der es keinen schwarzen Minister und keine Ministerin gibt. Außerdem schaffte De-facto-Präsident Temer das eigenständige Kulturministerium ab. Chaosrepublik Brasilien: In dem Amtsenthebungsverfahren gegen die linke Präsidentin vermuten liberale Brasilianer sogar einen Staatsstreich. Und jetzt ist der Bundesstaat Rio de Janeiro auch noch pleite. Nur mit einer Finanzspritze aus Brasilia kann er die Gehälter von Lehrern, Krankenschwestern, Feuerwehrmännern und der Polizei nur sehr verspätet zahlen. Streikende Polizisten haben auf Rios Flughafen Touristen mit dem Plakat „Welcome to hell“ erschreckt – sie forderten so ihr Gehalt.

Künstlerviertel Santa Teresa

Wie sie die aktuelle Lage vor den „Krisenspielen“ empfinden, erklären hier sechs ganz unterschiedliche Cariocas: Der Dokumentarfilmer und Schauspieler Lucas Margutti (38), mütterlicherseits dänischer Abstammung, hat kürzlich in brasilianischen Gefängnissen gedreht. Er lebt mit seiner Familie im Künstlerviertel Santa Teresa. „Leider kommt Olympia für uns zum falschen Zeitpunkt“, findet er. „Die politischen Probleme sind übermächtig. Wir kriegen sie nicht aus dem Kopf und reden ständig darüber.“

In Brasilien tobe ein erbitterter Klassenkampf. „Ich persönlich würde das Sportfest am liebsten vertagen – obwohl so ein internationales Sportevent super in unsere körperverliebte und sonnenverwöhnte Stadt passt.“ Sérgio Alexandria (38) hat holländische Wurzeln. Seit 20 Jahren baut er Häuser in der Favela Vidigal. Er lebt ganz oben – mit Traumblick über den Strand von Ipanema und Rios Küste: „Ich fürchte, die Olympischen Spiele werden uns wie die Fußball-WM viele weiße Elefanten hinterlassen.“ Damit meint er ungenutzte Sportstätten wie die leer stehenden Stadien in Brasilia, Manaus und Natal. „Brasilien steckt so tief im Korruptionssumpf, dass ich überhaupt keine Lust habe, für unsere Athleten die Daumen zu drücken. Im Armenviertel Vidigal warten die Familien seit Jahren auf eine bessere ärztliche Versorgung: Uns wurde ein Krankenhaus versprochen. Aber wegen Olympia hat die Stadt das Geld woanders ausgegeben.“

Weit mehr Olympia-Begeisterung zeigt Kellnerin Lisiane da Silva (34): „Ich bin stolz darauf, dass Rio sich aufgehübscht präsentieren kann. Der Sport bringt Menschen zusammen – das gefällt mir. Ich bin Feuer und Flamme für Olympia, weil ich glaube, dass sich die Investitionen lohnen. Im Fernsehen hat sich die brasilianische Sportgymnastikerin Daiane dos Santos beklagt, dass Hallen und Trainingszentren für Turner fehlen. Ich habe auf dem Strand ein Testevent für Hammerwurf beobachtet – das war sehr beeindruckend. Im August werde ich weitere Sportarten kennenlernen, die mir noch völlig neu sind.“

Der neue Schnellbus vom Olympiazentrum in Barra zum Flughafen, die Verlängerung der Metro bis zum Strandviertel Barra da Tijuca, die mondäne weiße Straßenbahn in Rios Zentrum – Rios aktuelle Verkehrsprojekte sind für Claudio de Souza (41) elementar. Der Journalist arbeitet bei der Tageszeitung „O Dia“. Mit seiner Frau hat er bereits Olympia-Karten für den Frauenfußball gekauft: „Die Verbesserungen in Rios Verkehrinfrastruktur sind sehr wichtig – obwohl die Baustellenstaus vor Olympia alle genervt haben.“

Verschmutzter Atlantik

Der sportliche Journalist ist in seiner Freizeit Segler. Sein Boot ankert in der Postkartenbucht Bahia da Guanabara. Doch der Atlantik am Fuß des Zuckerhuts, auf dem in die olympischen Segelwettbewerbe ausgetragen werden, ist ein ziemlich verschmutztes Gewässer. „Ich bin enttäuscht, dass Rio die große Gelegenheit versäumt hat, die Bucht für Olympia zu säubern“, sagt Claudio de Souza. Besonders Olympia-kritisch ist Taxifahrer Walney (52 Jahre): „Solang es in Rios Krankenhäusern an Verbandsmaterial fehlt, solang das Abwassersystem nicht die ganze Stadt bedient, solang unsere Schulen grottenschlecht sind, ist Olympia nichts wert.“ Die Spiele dienten nur der Eitelkeit von Brasiliens Politikern. „Wir Bürger zahlen Steuern, also haben wir auch Anspruch auf eine Basisversorgung. Aber es fehlt uns am Nötigsten – es ist absurd. Hätten wir keine so korrupten Politiker, würden wir Brasilianer bereits in fünf Jahren merklich besser leben.“

Auf dem Platz vor dem erst vor Kurzem eröffneten Zukunftsmuseum, dem Museu do Amanhã, posieren Flaneure in den großen weißen Lettern CIDADE OLIMPICA . Eine Frau lässt sich fotografieren und wird dabei von Altair Oliveira Cruz (51) beobachtet. Der Kellner arbeitet gegenüber auf der Terrasse des Restaurants im Stadtmuseum Mar. In blumiger und höflicher Carioca-Manier freut sich Altair auf Olympia: „Sport ist Leben, Sport ist Gesundheit, Sport verändert den Menschen zum Guten. Deswegen sage ich Ja zu Olympia.“

In Brasilien ist überall spürbar, dass Sport die natürliche Sinnlichkeit fördert. „Wir haben Körper, die pulsieren, die nach Bewegung, nach Tanz und nach Training verlangen. Unser gebräunter Leib will geknetet und bewundert werden“, sagt Strandläufer Flávio. „Nur Mut, zeigen Sie Haut und spüren Sie sich! Auf dem Strand von Rio heißt der Trend: Bewegung!“, sagt Flávio. Auf dem Pflaster der Copacabana werden Spaziergänger, die ein normales Tempo vorlegen, permanent überholt, von fitten Großvätern in knappen Shorts. Trotz Schuldenkrise und der neuen Terrorgefahr – Kellner Altair, der mit Rio-typischer Freundlichkeit durchs Leben geht, sieht der Sportparty entspannt entgegen: „Das sind die ersten Olympischen Spiele in Südamerika! Das spült viel Geld nach Rio. Und Sport macht die Menschen entspannt und vergnügt. Das ist doch gut.“

Tipps

Drachenfliegen: Ein Tandem-Flug vom Felsen Pedra Bonita ist unvergesslich. Zehn Minuten schwebt der Gast mit dem Piloten über den Wipfeln der Urwaldbäume und landet am Strand von São Conrado. Sicher und professionell z. B. mit Flugschule Tamdem Fly, riotandemfly.com.br

Rio by Bike: Mit dem Fahrrad die vier Kilometer Copacabana entlang, dann weitere drei Kilometer über Ipanema zum Strand von Leblon. Der Atlantik-Fahrradweg am Strand des Olympia-Viertels Barra da Tijuca hat 18 Kilometer. Bike-Verleiher gibt es viele in Rio. Am Bikestore Leme startet man praktischerweise am nördlichsten Punkt der Strandtour (Rua Gustavo Sampaio, 802). Geführte Fahrradtouren gibt es hier: rionatural.com.br oder bei specialadventure.com (drei Stunden, 40 Euro).

Die Ökotourismus-Agentur Rio Ecoesporte bietet eine Wandertour auf den Fels Pedra Bonita (rund 40 Euro), einen Ausflug zu den „wilden“ Stränden außerhalb Rios oder einen Stand-up-Paddling-Trip in den Mangroven außerhalb von Rio. Infos: Rioecoesporte.com.br, Sérgio Tavares, +55-21-964 164 930

Den Zuckerhut zu Fuß erklimmen: Über einen felsigen Pfad und eine 25-Meter-Kletterpartie am Fels führt eine Dreistundentour auf den Zuckerhut. Das Abenteuer ist auch für schwindelfreie und trittsichere Anfänger geeignet (70 Euro). Infos unter Riohiking.com.br

Anschauen: Das schönste Spektakel in Rio de Janeiro ist der Sonnenuntergang. Äußerst lässig lässt dieser sich auf einem alten Mäuerchen im Stadtteil Urca genießen. Die Ufermauer Mureta da Urca an der geschwungenen Guanabara-Bucht ist nach 18 Uhr ein begehrter Treffpunkt. Dann sammeln sich hier Studenten der nahen Universitäten auf ein eiskaltes Bier und kross gebratene Fischbällchen. Mauer vor der Bar Urca, Rua Cândido Gaffrée 205, Urca. Mo. bis Sa. 9 bis 23 Uhr, Sonntag bis 20 Uhr.

Nationalpark Floresta da Tijuca: Kapuzineräffchen und Faultiere leben im tropischen Stadtwald von Rio. Wandern Sie durch diese wilde Oase. Fixer Programmpunkt: in einem Wasserfall baden. Vorreiter unter den Anbietern der Nationalpark-Tour ist Jeeptour: jeeptour.com.br

Frisch eröffnet: Das Zukunftsmuseum Museu do Amanhã ist das neue Wahrzeichen von Rios behübschtem Hafenviertel. Seine futuristische weiße Metallhülle hat der katalanische Stararchitekt Santiago Calatrava entworfen. „Wir sind kosmisch? Wir sind Materie, Leben und Geist?“ beschwört die Multimediaschau junge und alte Besucher. Die Ausstellung macht eindrücklich klar, wie der Ressourcenverbrauch der Menschheit seit den 1950er-Jahren explodiert ist – als Mahnung, unseren Planeten zu erhalten. Ort: Praça Mauá 1, Di. bis So., 9 bis 17 Uhr, museumdoamanha.org.br.

Rio individuell: Tour-Guide Carla Hecke Gaiser (62) spricht fließend Deutsch. Sie holt Rio-Besucher mit ihrem kleinen Auto am Hotel ab und zeigt ihnen ein anderes Rio: einsame Aussichtspunkte, die Proben einer Sambaschule, das für Touristen eher unsichere historische Zentrum oder das Armenviertel direkt neben ihrem Wohnhaus. Bei Carlas Erkundungstour geht es einzig darum, was den Rio-Besucher speziell interessiert –sehr persönlich, sehr heiter. Honorar: 25 Euro pro Stunde für eine Gruppe bis vier Personen. Zur Olympiade kostet sie zehn Prozent mehr. carlagaiser@ig.com.br, +55-21-9-87552820

Essen

Rindfleisch satt: Das älteste und kleinste Steakrestaurant in Rio de Janeiro ist Churrascaria Palace in Copacabana. Am Knochen gereifte Rinderrücken, mit groben Salz gewürzt, über Feuer gegrillt und am Spieß serviert – für Europäer eine Grillsensation. Die brasilianische All-you-can-eat-Orgie in dem schlichten Traditionsrestaurant neben dem Hotel Copacabana Palace ist ein Muss. Rua Rodolfo Dantas 16, Copacabana, churrascariapalace.com.br

Highlight im alten Stadtzentrum: Das prächtige Jugendstil-Kaffeehaus Confeitaria Colombo. Probieren Sie zum Lunch eine Pastete mit Krebsfleisch, oder Quindim – das zuckersüße Törtchen war schon vor 400 Jahren begehrt.
confeitariacolombo.com.br

Raffiniert tropisch: Das Zaza's Bistro Tropical ist ein verspieltes Lokal mit Orchideengarten. Nah am Strand von Ipanema serviert das Bistro raffinierte internationale und brasilianische Küche wie Fisch in Maracujasauce. zazabistro.com.br

Schlafen

Private Atmosphäre und geschmackvolles Ambiente – die Casa Kamayurá schmücken traditionelle Zeichnungen der Kamayurá-Indianer vom Amazonas. Inhaber ist der deutsch-brasilianische Dokumentarfilmer Florian Pfeiffer. Die Gastgeber sprechen Deutsch. Ihre charmante Pension liegt im Künstlerviertel Santa Teresa. Ein Doppelzimmer mit eigenem Bad und Frühstück kostet 100 Euro. casakamayura.com

Casa da Carmen e do Fernando: Das Künstlerhaus mit acht Pensionszimmern auf dem grünen Hügel von Santa Teresa steckt voller Farben und moderner Kunst. Es gibt eine Terrasse mit atemberaubender Aussicht und einen kleinen Pool. Ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet 250 Real. Kontakt: bedandbreakfastrio.com.br

Alternativ wohnen: Etwa 20.000 erschwingliche Zimmer, Apartments und ganze Häuser bietet die Online-Plattform Airbnb in Rio de Janeiro an. Der Mitwohnanbieter ist 2016 auch Sponsor der Olympischen Spiele und nennt sich „offizieller alternativer Anbieter von Unterkünften“. airbnb.com

Shoppen

Bioschmuck: Designerin Maria Oiticica macht elegante Ketten und Ohrringe aus exotischen Samen, Fasern und Früchten von Amazonasbäumen. Sie arbeitet auch mit Baumrinde und gefärbten Fischknochen – extravagant und typisch brasilianisch. Oiticicas Kreationen gibt es in Museumsshops, im ersten Stock des Shoppingcenters Leblon (Avenida Afrânio de Melo Franco 290, Leblon), und am Flughafen Tom Jobim.

Quietschbunt, aber immens stylisch: Portemonnaies, Taschen, Schlüsselanhänger, iPad-Hüllen und andere Accessoires mit Rio-Motiven – aus recyceltem Kunststoff, in Favelas genäht. Der Flagship-Store des Designers Gilson Martins ist in Ipanema, Rua Visconde de Pirajá 462. gilsonmartins.com.br

Compliance-Hinweis

Eva von Steinburg ist in Brasilien aufgewachsen und arbeitet als freie Journalistin in München und Brasilien. www.eva-steinburg.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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