Kaltes, klares Wasser in der Mongolei

Der Khuvsgul See
Der Khuvsgul SeeInstagram (ouislouislouah)
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Ursprünglich sollten die Bewohner der Ufer des Khuvsgul-Sees Steuer für das Gewässer zahlen. Doch sie wissen, wie man hier extremen Anforderungen begegnet. Einen kurzen Sommer lang ist alles in Bewegung.

Batbyamba Ganhuyag und Narantuya Tsogtoo sind ein modernes Nomadenpaar. Der 33-jährige Mongole und seine gleichaltrige Frau frühstücken in Jeans und T-Shirt auf dem Teppich, der den Holzboden ihrer 25 Quadratmeter großen Jurte bedeckt. Bunte Schüsseln, gefüllt mit Rahm und Gebäck, stehen dort. In der Mitte knistert es in einem Ofen, dessen Rohr durch die große Deckenöffnung ragt. Eine Kommode und zwei Betten, eines für die Eltern, eines für die Kinder, lehnen an den Rundwänden aus dickem Filz, daneben zwei Hocker für Besucher. „Im Winter wohnen wir in einem Holzhaus im Dorf Khatgal am Südzipfel des Khuvsgul-Sees, aber im Sommer schlagen wir unser Jurtenlager direkt beim Wasser auf. So sind wir unseren Tieren näher“, erzählt die dreifache Mutter Narantuya.

Die Nomadenfamilie lebt eng mit der Natur. Morgens um sieben Uhr treibt Vater Batbyamba seine Pferde in die Steppe zum Grasen. Auf dem Nachhauseweg sammelt er Yakfladen für den Ofen. Gegen die Kälte hilft ein Deel, der traditionelle mongolische Mantel. „Ich trage ihn so gut wie immer, auch dann, wenn ich Touristen bei einer Wanderung oder einem Ausritt begleite. Meine Frau melkt derweil die Ziegen, macht Aruul, den typischen Hartkäse, oder filzt einen Wollpullover. Die Kinder helfen dabei“, erklärt Batbyamba, zieht seine Gutul, die handbestickten Lederstiefel über, schlüpft in den Deel und steigt über die Schwelle hinaus in das Freie.

Tief und voller Trinkwasser

Der Khuvsgul-Nationalpark im Norden der Mongolei, kurz vor der russischen Grenze nach Sibirien, ist seit jeher ein beliebter Lagerplatz von Nomaden. Sein fast 3000 Quadratkilometer großer See ist fünfmal so groß wie der Bodensee und das größte Trinkwasserreservoir des Landes. Den Einheimischen gilt er deshalb als heilig. Wie ein Meer liegt das tiefe Blau zwischen schlanken Lärchenwäldern und den hügeligen Ausläufern des Sajan-Gebirges. Landzungen aus weißen Steinen ragen in das Gewässer, das wegen seiner Tiefe auch kleiner Baikalsee heißt. Auf den Uferwiesen grasen Pferde neben Heilkräutern und Wildblumen, im Wasser tummeln sich Barsche und Forellen.

Die Mongolei, so groß wie Deutschland, Frankreich und Spanien gemeinsam, ist berühmt für ihre Nomaden und eine endlose Weite. Kein Wunder, bietet sie ihren nur drei Millionen Einwohnern in den 21 Aimags, Provinzen, so viel Platz wie kein anderes Land auf der Welt. Doch Boden und das extreme Klima sind oftmals alles andere als freundlich. Die mehr als 1000 Flüsse frieren in der kalten Jahreszeit zu, monatelang ist die Eisschicht auf dem Khuvsgul-See so dick, dass sie sogar Lastwagen trägt.

Legendenhafter Steuertrick

Bereits vor 500 Jahren, als die Chinesen diesen Teil der Mongolei regierten, hatte der Khuvsgul-See große Bedeutung. Die Einheimischen sollten sogar Abgaben für ihn zahlen – so behaupteten sie kurzerhand, der See sei ein Meer, auf das keine Steuern entfielen. Dann beteten sie für Regen. Bis zu dem Tag, an dem die chinesischen Fürsten die Zuflüsse zählen wollten, fiel so viel Niederschlag, dass sie allein an einer Uferseite mehr als 50 Wasserläufe ausmachten. Die Steuerzahlungen wurden daraufhin erlassen, und der Khuvsgul-See hatte seinen Namen: Mongolisches Meer. Heute speisen mehr als 90 Bäche das Binnengewässer in dieser Mongolischen Schweiz, der einzige Abfluss führt über Umwege in den sibirischen Baikalsee, vorbei an weiten Grasflächen und samtenen Hügeln – ein touristisches Highlight.

Vom Rentier leben

Das zieht auch die Tsaaten hierher, die letzten „Rentiermenschen“ der Mongolei siedeln normalerweise 200 Kilometer weiter westlich in den unwirtlichen Bergwäldern. In den Sommermonaten jedoch kommen einige der Familien mit Sack und Pack an den Khuvsgul-See. „Wir besitzen 30 Rene, aber nur die Jungen und Kräftigen nehmen wir mit hierher. Die anderen würden die Wärme nicht überstehen“, erklärt Familienoberhaupt Sulegmaa. Stolz zeigt der 50-Jährige seine Tiere und die beiden großen Spitzzelte in der Waldlichtung. Dafür gibt es ein paar Tugrik von den Touristen. Diese sind von den schönen Hirschtieren fasziniert, die seelenruhig ihre prächtigen Geweihe präsentieren und auf den nächsten Ausritt warten.

Die Tsaaten haben sich im Lauf der Jahre die Rene zu ihrer Lebensgrundlage gemacht: Aus dem Fell stellen sie Jacken und Decken her, aus dem Geweih Medizin, die fette Milch hilft ihnen durch das raue Klima. Auch als Transportmittel bei den regelmäßigen Umzügen durch die Wälder, oftmals durch Eis und Schnee, sind die Rentiere ideal. Wenn dann einmal eines geschlachtet werden muss, weil die Jagd nach Wild erfolglos geblieben ist und es auch sonst nichts zu essen gibt, wird ihre Haut zur Zeltbespannung und zu Stiefeln, die Knochen werden zu Schmuck. Naheliegend, dass das Rentier bei so viel Bedeutung auch als Schamanentier gilt, es führt die Tsaaten in die Welt ihrer Ahnen.

Schamanen bei der Arbeit

Bei den Mongolen am Khuvsgul-See sieht das anders aus. „Unsere Schamanen halten regelmäßig Rituale in den Waldlichtungen ab, und die Einheimischen kommen in Scharen“, erzählt Narantuya. In den Baumkronen hängen dann Bänder und Gebetsfahnen, darunter stehen kleine Zelte. Die Schamanen entzünden ein offenes Feuer, wärmen die Trommeln aus Ziegenhaut am heißen Qualm und schleudern mit Wacholderzweigen Milch aus einer Schale in alle Richtungen, um die Geister gnädig zu stimmen. Schon oft hat Narantuya interessierte Urlauber zu einer Sitzung gebracht. Zuschauen ist möglich, wenn die Handvoll Schamanen gleichzeitig, das Gesicht hinter einer Zeremonialmaske aus bunten Stofffetzen verborgen, auf ihre Trommeln einschlägt, vor sich hin murmelt und schließlich Oberkörper und Kopf derart im Kreis schleudert, dass sie in Trance fällt. „Für die meisten meiner Landsleute ist der Schamanismus die Religion. Batbyamba und ich halten uns lieber an weltliche Dinge, zum Beispiel an das Naadam-Fest“, sagt Narantuya und nickt.

Naadam feiern die Mongolen jedes Jahr im Juli. Mit Pferderennen, Bogenschießen und Ringen wird Dschingis Khans und der Entstehung des mongolischen Staats gedacht. Auf den platten Wiesen am Khuvsgul-See, zwischen Ufer und der schmalen Seepiste, versammeln sich dann sämtliche Bewohner der Region, tragen ihre schönsten Trachten, die Frauen legen kostbare Ohrringe an, die Männer schwere Metallschärpen. Es wird geredet, gelacht, angefeuert und applaudiert. Die eigentlichen Stars aber sind die Jungen und Mädchen, die schreiend und peitschend von den Lärchenwäldern bis zum Ufer um die Wette galoppieren, auf Pferden, deren kurz geschnittene Mähnen zu Berge stehen wie jene traditioneller Wildpferde. Im letzten Jahr haben Narantuya und ihr Mann erstmalig den ältesten Sohn teilnehmen lassen. „Doch gewonnen hat er nicht“, Batbyamba lacht, zieht seine Stiefel aus und setzt sich zu den Kindern.

Es gibt Mehlsuppe

Es ist Abend geworden. Auf dem Teppich in der Jurte dampft Mehlsuppe mit selbst gemachten Nudeln. Batbyamba wird gleich noch die Yaks an einen anderen Grasplatz treiben und mit dem Motorrad Wasser aus dem Wüstenbrunnen holen. Die Kinder werden die Pferde anbinden, Narantuya die Kiste mit den Aruul-Stücken zum Trocknen auf das Jurtendach stellen. Nur die Pferdekopfgeige wartet noch auf ihren Einsatz – ein letztes Highlight an einem ganz normalen Tag einer modernen Nomadenfamilie.

Khuvsgul-Info

Geografie: Der Khuvsgul-See liegt im Norden der Mongolei unweit der Grenze zu Sibirien, man nimmt an, dass er einst mit dem Baikalsee verbunden war. Umgeben wird dieses riesige Trinkwasserreservoir von Gebirgen und Taiga. Durch die Straßenverbindung nach UIaanbaatar wurde der Süden des Sees zur touristischen Destination.

Einreise: Österreicher benötigen ein Visum (60 €), zu beantragen bei der Botschaft der Mongolei in Wien. T: +43/ (0)1/535 28 07-13, www.embassymon.at

Anreise: Z. B. mit Turkish Airlines (ab 647 €, www.turkishairlines.com) ab Wien nach Ulaanbaatar. Von dort mit Hunnu Air nach Murun (www.hunnuair.com) und weiter per Bus zum Khuvsgul-See.

Übernachten: Am Khuvsgul-See hat sich eine Handvoll Ger-Camps (Jurten) um die Siedlung Khatgal niedergelassen, die im Juli und August stark belegt sind. Schön sind das Nature's Door Tourist Camp mit 17 Jurten und drei Zimmern (www.naturesdoor.mn, Ger ab 120 USD Vollpension) und das Toilogt Camp auf der Landzunge mit traditionellen Tsaaten-Zelten (Zelt ab 69 € VP).

Anbieter: Tischler Reisen hat den Khuvsgul-See im Rahmen einer 18-tägigen deutschsprachigen Minigruppenreise im Programm, T: +49/ 8821-93170, www.tischler-reisen.de. Mongolei-Rundreisen auch bei Gebeco www.gebeco.de, Studiosus, www.studiosus.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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