New Mexico: Luftschlösser und Bodenschätze

Eine kleine Impression vom Roswell'schen UFO Festival
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Im Süden New Mexicos träumen viele vom großen Geschäft mit dem All. In der Realität belohnt aber die großartige Natur am Boden.

Hier sind sie also gelandet, die Aliens. Zumindest in der festen Überzeugung vieler Anhänger der Besucher-aus-dem-All-Theorien. Und von hier aus sollen sie starten, die Hobbyastronauten, die Richard Branson mit seinem Space-Programm um sechsstellige Summen in den Orbit bringen will. Die Wüsten New Mexicos und das All haben eine lange Geschichte miteinander, in der Wüste des 47. Staates der USA wurden und werden Raketentest durchgeführt, trainiert die deutsche Luftwaffe ihre Piloten und träumen viele davon, dass die Raumfahrt eines Tages doch den ganz großen Wohlstand in den Landstrich an der mexikanischen Grenze bringt.

In das berühmte Städtchen Roswell hat sie das nach Meinung vieler bereits vor 69 Jahren in bescheidenem Ausmaß getan. Zwar in umgekehrter Richtung, aber gerade deshalb unter so großer Beachtung. Und noch heute ist die „Landung“ Fluch und Segen für die Stadt zugleich. Zum einen bringt sie immer noch unzählige Touristen hierher, die in den Souvenirshops T-Shirts mit Aliensprüchen von „Grün seit 1947“ über – sinngemäß – „I sag's glei', i woar's net“ bis zu „Wir sind nur wegen des Kaffees gelandet“ erwerben und begeistert mit den überall zu findenden Alienfiguren posieren. Hier lässt sich stolz auf einen McDonald's, der nur in Roswell in „Original Crash Site“-Architektur in silbrig-glänzender Kulisse Fritten ausgibt, und auf ein offizielles Alien-Museum verweisen.

Frau Mars gibt Auskunft

Zum anderen bekommt hier aber auch nichts und niemand, der oder das sich nicht auf die sagenumwobenen Ereignisse der Area 51 bezieht, ein Bein auf die Erde. „Sie sind sicher nur wegen der Aliens hier, oder?“, fragt Rezeptionistin Molly beim Einchecken im örtlichen Best Western freundlich, während sie einen A4-Zettel mit den potenziellen Sehenswürdigkeiten von Roswell hervorholt und routiniert nur das Alienmuseum gelb markiert. Jeden Tag beantwortet sie hier – ernst gemeinte – Fragen, ob und wo und wann sie schon Aliens gesehen hat und ob diese freundlich waren. „Und wenn Sie mal lachen wollen, verrate ich Ihnen auch meinen Nachnamen“, bietet sie nach ein wenig Plauderei an. Ja, wollen wir. „Der ist Mars, und jetzt können Sie sich den Rest ja denken“, fügt sie in einer Mischung aus Frustration und Amüsement hinzu.

Mit Alltourismus gerechnet

Hoffnung auf Impulse aus dem All durften sich bis vor Kurzem auch die Bewohner des Städtchen Truth or Consequences – ja, das heißt wirklich so – machen: Nur zwanzig Meilen entfernt entstand in den vergangenen Jahren der Spaceport America, der Stützpunkt des großen privaten Raumfahrtprojekts von Richard Branson. Bis die Dinge in Truth or Consequences so wirklich abheben, kann es allerdings noch eine Weile dauern. Im Moment weist auf den ersten Blick nichts darauf hin, dass der verschlafene Ort, der in den 1950er-Jahren kurzfristig eine gewisse Popularität erlangt hatte, wieder daran anknüpfen könnte. Damals reagierte das noch unter Hot Springs titulierende Örtchen auf den Aufruf des Radiomoderators Ralph Edwards, der versprach, seine gleichnamige Show von dem ersten Ort aus, der sich offiziell in Truth or Consequences umbenennen würde, zu senden. Hot Springs gewann den Wettbewerb, der große Aufschwung blieb aber aus – lediglich am ersten Maiwochenende jeden Jahres beehrte Edwards die Wüstenstadt für einige Jahre mit seinem Besuch, und auch das ist schon eine Weile her.

Spa und Space

Seitdem ist es dem Städtchen nicht gerade rosig ergangen, die Spa-Hotels entlang der Hauptstraße haben ihre besten Zeiten – wenn überhaupt – schon vor einer Weile gesehen, und die Suche nach einem Lokal, das abends neben einem guten Essen vielleicht auch noch ein Glas Wein serviert, ist schnell beendet – es gibt nur eines. Mit den Spaceport-Plänen sah es aber dann doch noch so aus, als würde endlich ein wenig Ruhm und Glamour Einzug in die 6000-Einwohner-Kommune Einzug halten. Und so rüstet man sich hier für die Ankunft der betuchten Hobbyastronauten: Schon heißt das erste Motel Rocket Inn, während die meisten andere Motelnamen in irgendeiner Zusammensetzung die Worte Spa, Hot Springs und Inn enthalten.

Begeistert wurde beobachtet, wie Medienmogul Ted Turner 2013 das beste Haus am Platz, das Sierra Grande Hotel, kaufte, um nach dessen Umbau die anreisenden Astronauten und deren Anhang angemessen unterbringen zu können. Aber wie es scheint, hat Truth or Consequences bei der Lotterie des Lebens auch diesmal wieder nicht das große Los gezogen: Im Herbst 2014 krachte das Space Ship Two bekanntlich bei einem Testflug in die Mohave-Wüste, und seitdem ist es um Bransons Spaceshuttle-Programm extrem ruhig geworden.

Bisons weiden in der Ferne

Das Sierra Grande Hotel hat die Turner Expedition Group aber trotzdem weiter ausgebaut, denn neben hochfliegenden Plänen hat sich die glücklose Gemeinde fast unbemerkt einen ganz anderen Platz gesichert, der noch Gold wert sein könnte: Sie liegt nämlich genau in der Mitte zwischen zwei Megaranches des Medienmoguls, der knapp 2400 Quadratkilometer großen Vermejo Park Ranch und der mit 630 Quadratkilometern fast schon „kleinen“ Ladder Ranch. Denn in diesen Naturreservaten ist das viel realere, touristische Potenzial des staubigen Staates im Südwesten zu sehen: Seine Landschaften mit Bisonherden, Bären und vor allem endloser Weite rauer Schönheit. Im dünn besiedelte Süden New Mexicos sind – anders als in Albuquerque mit seinem neu entdeckten „Breaking Bad“-Tourismus und der teuren Künstlerenklave Santa Fé – wenig Menschen und Hotspots zu finden. Dafür sind aber ständig Road Runner (ja, diese Miepmiep-Laufvögel aus dem Cartoon) am Wegesrand zu sehen. Und in schöner Regelmäßigkeit gröbere Bündel Tumble Weed – die aus den Westernfilmen bekannten rollenden Büsche, die sich so gut zur Inszenierung von verlassener Gegend und Wildwest-Einsamkeit eignen.

Die Dünen von White Sands

Wer diese charmante Trostlosigkeit mag und genießen kann, wird in dieser Gegend auch ganz ohne Segnungen aus dem All glücklich und kann sich an den spektakulären Naturschauspielen freuen, die es hier schon lang vor der „Landung“ gegeben hat. Dazu gehören die zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Tropfsteinhöhlen des Carlsbad-Caverns-Nationalpark an der mexikanischen Grenze und die legendären weißen Sanddünen des White-Sands-Naturschutzgebietes in Alamogordo am Rande der Chihuahua-Wüste. Und dazu gehört auch ein den meisten USA-Reisenden völlig unbekanntes Spektakel, das am frühen Morgen Menschen aus aller Herren Länder in die Mitte der Wüste lockt: An einem einsamen Gewässer ziemlich in der Mitte des Nirgendwo überwintern hier zwischen Albuquerque und Truth or Consequences, wo der Rio Grande ein so schmales Bächlein ist, dass dagegen der Wienfluss wie ein reißendes Gewässer anmutet, Zehntausende Kanadakraniche, Schneegänse und an die 375 weitere Vogelarten.

Ganz großer Abflug

Das morgendliche Spektakel, wenn die Tiere bei Sonnenaufgang in riesigen Schwärmen gemeinsam aufsteigen, lockt Vogelkundler und Fotografen aus der ganzen Welt zu nachtschlafender Zeit in die – ziemlich frostigen – Auen. Wie zum Beispiel Thor, einen Biologen aus Texas, der die ganze Nacht im Auto gesessen ist, um gegen drei in der Früh das Stativ neben seinem SUV aufzubauen und dick eingepackt auf den großen Morgenmoment im Bosque del Apache National Wildlife Refuge zu warten. Und damit nicht allein ist: Alle paar Meter parken Autos entlang der Wasserfläche, vor ihnen stehen müde Menschen mit Ohrenschützern, Schals und flanellenen Überhosen und sind gespannt auf das Ereignis. Und das Frieren und die Müdigkeit sind es dann wirklich wert: Gegen die spektakulären orangen Sonnenstrahlen, die über die Berge im Osten klettern, erheben sich plötzlich mit lautem Geschnatter Tausende Kraniche und kreisen über der spiegelnden Wasseroberfläche, ehe sie zu ihrem Tagewerk aufbrechen.

Ein Anblick, der die vor Kurzem noch fröstelnden Menschengruppen fast schon andächtig in der Kälte zurücklässt. Und das Manzanares Street Coffeehouse im nächstgelegenen Ort, Socorro, zu einer kleinen Pilgerstätte macht, in der es nicht nur heißen, sondern auch wirklich vorzüglichen Kaffee gibt, bei dem man sich wieder aufwärmen und darüber philosophieren kann, ob man im Süden New Mexicos nicht all die Jahre auf die falschen Flugobjekte gesetzt hat?

Bekannte und unbekannte Flugobjekte

Anreise: New Mexico liegt zwischen Texas und Arizona und wird deshalb häufig in Verbindung mit einer Rundreise durch die Wüstenstaaten im Westen der USA besucht. Wer direkt dort hinwill, fliegt in die Metropole Albuquerque. Direktflüge gibt es ab Wien nicht, Umsteigeverbindungen sind mit allen großen Airlines wie Lufthansa, KLM, British Airways etc. ab rund 700 Euro zu haben. Die AUA bietet in Kombination mit United Airlines die kürzeste Umsteigeverbindung über Chicago an.

Unterkünfte: Wie überall in den USA sind die großen Ketten fast überall zu finden. Wer es etwas individueller mag und keinen großen Luxus braucht, kann in der Nativo Lodge in Albuquerque in Räumen schlafen, die von zeitgenössischen einheimischen Künstlern gestaltet worden sind. Zimmer ab 80 Dollar (rund 70 Euro).
www.nativo-lodge.com

Wer es ausgefallen und edel mag, kann auf einer der Ted-Turner-Ranches übernachten, Aktivitäten von Jeeptouren bis zu Angel- und Jagdausflügen inklusive. Preise dafür gibt es nur auf Anfrage: www.tedturnerexpeditions.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2016)

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