Sydney: Das große Kikeriki im Orchestergraben

14 Jahre zog sich der Bau des Sydney Opera House hin, nach Baubeginn 1959 schmiss Architekt Jørn Utzon (links) nach sieben Jahren entnervt alles hin. Eröffnet wurde das geniale Gebäude 1973.
14 Jahre zog sich der Bau des Sydney Opera House hin, nach Baubeginn 1959 schmiss Architekt Jørn Utzon (links) nach sieben Jahren entnervt alles hin. Eröffnet wurde das geniale Gebäude 1973.Reuters
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Am 11. Jänner eröffnet Hamburgs Elbphilharmonie – nach zehn Jahren Bauzeit, enormen Kostensteigerungen und reichlich Zoff. Wie einst in Sydney, vor gut 50 Jahren. Auf den Spuren des damaligen Baukrimis.

Zirkuszelte im Sturm? Oder sich liebende Schildkröten? Dänische Törtchen vielleicht – in Anspielung auf den Architekten? Die Australier, dank ihrer Herkunft mit britischem Humor gesegnet, hatten rasch viele Spitznamen parat, als sie dieses merkwürdige Bauwerk namens Opera House ab 1959 emporwachsen sahen – auf Sydneys Filetgrundstück gegenüber der Harbour Bridge: Zehn schräg stehende, senkrecht aufragende Riesen-Nussschalen, weiß gekachelt – damals in den Augen vieler Betrachter ein ziemlich verrücktes Design, heute längst Ikone und Touristenmagnet, eines der weltweit meistfotografierten Gebäude, das Emblem Sydneys und Weltkulturerbe. Trotzdem: Nick Costa steht nicht ehrfurchtsvoll erstarrt davor, sondern augenzwinkernd und unternehmungslustig wippend. Schon in den ersten Minuten seines Rundgangs wird klar, der untersetzte Tourguide mit dem gemütlichen Kugelbauch kennt Geschichte und Geschichten der Oper, als wäre er von Beginn an dabei gewesen.

Zum Beispiel dieses nicht ganz unwichtige Detail: Jørn Utzon, der spätere Architekt, ist mit seinem kühnen Entwurf schon ausgeschieden, dann aber zieht ein Jurymitglied Utzons Pläne bei der entscheidenden Sitzung noch einmal aus dem Stapel bereits abgelehnter Zeichnungen. „Der Grund: Die meisten der insgesamt 233 Bewerber bieten nur 08/15-Lösungen: Zwei Konzerthallen für insgesamt etwa 4500 Besucher – wie in der Ausschreibung gefordert – unter einem Dach, hintereinander angeordnet, in einem langweiligen Schuhschachtelgebäude“, erklärt Nick Costa, während er mit seinen Besuchern die endlos breiten Stufen zur Oper hochsteigt: „Die hat Utzon übrigens inspiriert von mexikanischen Maya-Tempeln bauen lassen – wie dort soll man auch hier den Alltag hinter sich lassen und in die Welt der Musik eintauchen.“ Doch – ähnlich wie in Hamburg – eingetaucht wird zunächst der Architekt: ins politische Haifischbecken. Der Ministerpräsident von New South Wales, Initiator des Baus, befürchtet, die in der breiten Bevölkerung unpopuläre Oper könnte ihn seine Wiederwahl kosten und eine neue Regierung würde das Projekt dann stoppen. Daher zwingt er Utzon, spätestens 1959 mit dem Bau zu beginnen – zwei Jahre vor den Wahlen.

Lichtdurchflutet

Nick Costa führt seine Gäste ins Innere. Warme, beigefarbene Täfelungen an den Wänden, ein knallroter Teppichboden in den lichtdurchfluteten Wandelgängen, Piazzen dominieren das Interieur – meist überspannt mit riesigen Stahlbeton-Rippen, dem Skelett der Dachkonstruktion. „Die ist bei Baubeginn nichts weiter als eine Kohlestiftzeichnung“, fährt Costa fort. Jørn Utzon, der dänische Architekt beginnt wie gefordert 1959 mit dem Bau, ohne auch nur ansatzweise eine tragfähige Lösung für seine von Segeln inspirierte Dachkonstruktion zu haben. 16 Varianten werden bis 1962 gezeichnet und verworfen. Um die Statik für das Dach zu berechnen, brauchen Ingenieure mit Rechenschiebern und damaligen Steinzeit-Computern 18 Monate. Utzon „erfindet“ die endgültige Anordnung der Dachelemente beim Schälen einer Orange, erzählt Nick Costa und öffnet die Tür zum großen Konzertsaal. „Sydney Opera House ist ein ziemlich irreführender Name“, sagt er, denn von Anfang an werden dieser und die anderen vier Säle des Gebäudes nicht nur für Opern geplant und genutzt. So gastiert hier ein Zirkus, der Weltjugendtag ebenso wie Arnold Schwarzenegger, der hier 1980 zum Mr. Olympia gewählt wird. Doch trotz zahlloser skandalträchtiger, regelmäßig die Bühnen rockender Bands – die schönsten Geschichten schreiben doch Opernaufführungen. „Warum ist über dem Orchestergraben ein Netz gespannt?“, fragt Nick Costa und blickt erwartungsvoll in die Runde.

Fassungslose Streicher

„Damit US-Touristen keine Cola-Dosen hineinwerfen“, raunt ein vorurteilsbeladener Deutscher. „Nein“, sagt Costa, „damit nie wieder Hähne und Hühner hineinfallen – wie bei „Boris Godunow“ in den Achtzigerjahren, als der Regisseur mit lebendem Federvieh inszeniert.“ Das büxt aus, flattert und krakeelt zwischen den Streichern herum, die verlieren prompt Takt und Fassung. Ähnlich wie Politiker in New South Wales schon zu Beginn der Sechzigerjahre: Nach der vom Ministerpräsidenten wie befürchtetet eingetretenen Wahlniederlage zieht die neue Regierung des Bundesstaates die Zügel beim Opernbau an. „Wie bei der Elbphilharmonie in Hamburg macht auch das Projekt in Sydney Schlagzeilen durch planerische Komplikationen, Firmen-Hickhack, enorme Zeitverzögerung und explodierende Kosten“, erzählt Nick Costa. Jørn Utzon, in den ersten Baujahren schon reichlich genervt von diversen Saalvergrößerungs- und Akustiksonderwünschen sowie von der unausweichlichen Verschiebung der Eröffnung um zwei Jahre, bekommt 1965 ein Ultimatum gestellt: entweder unter Aufsicht australischer Experten weiterarbeiten oder gehen. Der Däne wirft im Frühjahr 1966 hin, verlässt Australien, um nie wieder zurückzukommen, bis zu seinem Tod im Jahr 2008 sieht Utzon „seine“ Oper nicht im Original.

Hamburgs Elbphilharmonie als Modell
Hamburgs Elbphilharmonie als ModellReuters

Finanzierung durch Lotterie

Populistische Politiker versprechen nach Utzons Flucht die schnelle Eröffnung, eine Kostenbremse sowie Schluss mit dem angeblichen Chaos auf der Baustelle und halten – nichts davon ein. Erst nach weiteren sieben Jahren, am 20. Oktober 1973 eröffnet Queen Elisabeth II. das Sydney Opera House – zehn Jahre später, als von Utzon angekündigt. Sieben Millionen Dollar sind bei Baubeginn veranschlagt, 102 Millionen stehen auf der Endabrechnung – auch dies eine Parallele zu Hamburgs Elbphilharmonie. Aber auch wieder nicht, denn finanziert wird Sydneys Opernhaus nicht etwa durch Steuern, sondern fast vollständig aus einer eigens ins Leben gerufenen Lotterie. Ein pfiffiges Modell, von manchen Bürgern kritisch beäugt, zweifeln sie doch daran, dass wirklich alle Kosten abgedeckt werden, so wie etwa ein Leserbriefschreiber im „Sydney Morning Herald“ vom 31. Januar 1957, zwei Tage nach der Entscheidung für Utzons Entwurf: „Man sollte auch bedenken, dass unsere Nachfahren dafür zahlen müssen, dieses Ding abzureißen und durch etwas weniger Abstoßendes zu ersetzen.“

Tipps

Anreise. Hin- und Rückflug von München oder Frankfurt nach Sydney günstig mit einer Kombi aus Emirates- und Qantas-Flügen. Erwachsene zahlen ca. 900 Euro. Kinder unter zwei Jahren ca. sechs und Kinder bis zwölf Jahre ca. 80 Prozent des Erwachsenenpreises.

Wien–Sydney–Wien mit nur einem Stop in Dubai mit Qantas ab 1600 Euro. Beste Reisezeit: Oktober/November, im australischen Frühsommer.

Visum, Versicherung, Geld und Co. Visum für Australien ist nötig, am besten Monate vorher beantragen, gute Reiseveranstalter bieten das meist im Rahmen der Buchung mit an. Achtung: Normale Auslandskrankenversicherungen decken oft nur Reisen bis zu 30 Tagen ab, wer länger unterwegs ist, sollte Extra-Versicherungen abschließen, auch für Reiserücktritt und -abbruch. Bezahlen mit der EC-Karte geht in Australien nur selten, am besten mehrere Kreditkarten mitnehmen.

Schlafen. Mitten in Sydney, in der Nähe von Harbour Bridge und Oper gibt es neue und schön renovierte Hotels: Das Harbour Rocks Hotel ist ein stylishes Haus im Stadtteil The Rocks, dem ältesten Viertel Sydneys. Mit Rücksicht auf den Denkmalschutz gibt's nur einen Lastenaufzug fürs Gepäck, Gäste müssen Stiegen steigen. DZ/F ab ca. 200 Euro. 34 Harrington Street, harbourrocks.com.au.

Das QT-Hotel kommt quietschbunt mit Designermöbeln daher und residiert in einem ehemaligen Theater. DZ/F ab ca. 235 Euro, 49 Market Street, qtsydney.com.au.

Sydney Opera House. Mehr als 40 Veranstaltungen gibt's pro Woche, nicht nur Opern, sondern auch Pop- und Rockkonzerte, Ausstellungen, Ballett, Kabarett und Familientage sowie fünf verschiedene Führungen, davon eine auf Deutsch, immer Mo, Mi und Fr von 15.30–16.30 Uhr. Preis: ab ca. 20 €. sydneyoperahouse.com.

Essen und Trinken. Im Opera-House-Komplex sind sechs Bars, Cafés und Restaurants, die keine Sterneküche, sondern eher eine solide Speisekarte bieten, dafür aber unschlagbare Sitzplätze draußen mit Blick auf Harbour Bridge und Sydneys Skyline. Achtung: Viele hungrige Möwen rauben Unaufmerksamen gern das Essen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 1.10.2016)

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