Island II: Die starken Frauen am Fjord

Für die Stadtführung schlüpft die Berlinerin Helga in die Rolle von Fisch-Frau Sigrun.
Für die Stadtführung schlüpft die Berlinerin Helga in die Rolle von Fisch-Frau Sigrun.(c) Pia Volk
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Seit 2009 führt das kleine Land den „Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums an, Frauen sind hier aber auch den Herausforderungen in der Natur gewachsen.

Stella sieht so aus, wie man sich eine Hexe vorstellt. Sie ist alt und hat einen kleinen Buckel. Nur böse ist sie ganz und gar nicht. Ständig klingelt ihr Telefon, immer wieder ruft jemand aus der Küche. „Ich hab gerade vier Stunden lang mit ein paar Gästen den Gletscher erwandert“, erzählt die knapp 80-Jährige, „jetzt muss ich schnell das Abendessen organisieren.“ Stella gehört ein Gästehaus mit Pferden in den Wesfjorden Islands. Ihr Nachname ist unerheblich, in Island reden sich alle mit Vornamen an. Sie hat es eröffnet, als sie bereits 60 Jahre alt war. In ihrem ersten Leben war Stella Lehrerin in Reykjavík. „Ich hab immer die schwierigen Fälle gemocht, deren Leben sind es doch, denen man eine Perspektive geben muss“, befindet sie. Stella ist eine ungewöhnliche Frau, die Herausforderungen mag. Damit ist sie in Island nicht allein.

Die Hexen waren Männer

Seit 2009 führt das kleine Land den „Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums an, sprich in diesem Land ist die Gleichberechtigung am ausgeprägtesten. Schon vor über 35 Jahren wählten die Isländer die erste weibliche Staatschefin. Fünf Jahre zuvor hatten sich 90 Prozent aller Isländerinnen einen Tag freigenommen und die Wirtschaft des Landes lahmgelegt. Plötzlich hörte man bei den Radionachrichten Kinder im Hintergrund brabbeln, Würstel waren ausverkauft, weil anscheinend alle Väter sie ihrem Nachwuchs serviert haben. Vergangenes Jahr haben die Isländer 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert, nur Neuseeland und Finnland waren früher. Was hat das Land, was andere nicht haben?

„Bei euch wurden starke Frauen als Hexen verbrannt“, sagt Sigurdur. Er hat das Museum für Hexerei und Magie in Hólmavík mitgegründet. Darin sammeln sich energetische Steine, magische Zaubersprüche, mystische Sagen. „Bei uns aber waren Hexen bis auf eine Ausnahme immer Männer.“ Die Hexenverfolgung in Europa war ein Kampf der christlichen Kirche um Macht. Medizinisches Wissen wurde zum Beispiel an kirchlichen Hochschulen gelehrt und zwar nur Männern. Wenn Hebammen die Techniken von Ärzten anzweifelten, so zweifelten sie auch an der Kirche und wurden der Hexerei bezichtigt. „Bei uns war die Kirche nicht so mächtig“, erklärt Sigurdur, der selbst aussieht wie ein zu groß geratener Kobold mit seinen lockigen Haaren und dem Filzhut, „wir waren Heiden. Wir hatten eigene Geschichten von Elfen, Kobolden und weisen Frauen. Oben im Norden lebte Thurudir.“

Oben im Norden liegen die Westfjorde, es ist die am spärlichsten besiedelte Region Islands. Island hat knapp 100.000 Quadratkilometer Fläche (Österreich ist nur um ein Fünftel kleiner), auf der 300.000 Menschen leben, ein Drittel davon allein in der Hauptstadt. Der Weg von Hólmavík führt vorbei an kargen Landschaften aus dunklem Gestein, das mit einem Flaum von gelblich-grünem Gras und Flechten bedeckt ist, vorbei an steil aufragenden Felsen, die abrupt zum Meer hin abfallen. Hier und dort fressen Schafe, der immerwährende Wind streicht über ihre Fellwolle.

Magische weibliche Kräfte

Am Rande von Bolungarvík stehen hölzerne Fischerhütten am Wasser, davor liegt ein alter Kahn am steinigen Ufer. Zusammen sind sie das maritime Freilichtmuseum Ósvör. Cristian Gallo arbeitet hier. Er steht in antiker Fischerkleidung aus geöltem Leder vor einer der Hütten. „Thurudir kam 940 in diese Bucht, sie ist eine der ersten Siedlerinnen Islands“, erklärt er, „man sagt, sie hätte magische Kräfte, weil sie den Bauern beim Fischen half, als sie kurz vor der Verzweiflung standen, weil die Fischschwärme verschwunden waren.“ Gallo, der aussieht wie ein großer Bär in Regenkleidung, schließt die Hütte auf. Er erzählt von Seilen, Haken, Pökeln, Langeweile – und Frauen. „Sie blieben an Land, kochten, heizten, nahmen die Fische mit aus – aber wenn es nötig war, fuhren sie auch einmal mit hinaus aufs Meer.“

Ist es das, was die starken Frauen in Island hervorgebracht hat? Der fehlende Einfluss der Kirche und die Not? Nur zehn Minuten von Bolungarvík entfernt arbeitet Árný. Eingekleidet in die Tracht einer Frau aus dem 19. Jahrhundert führt sie Touristen durch das Städtchen Ísafjördur. „Nein, Gleichberechtigung war das nicht“, sagt sie, während sie am alten Krämerladen und der neuen Schule vorbeigeht. „Die Wikinger haben viele Frauen aus Irland entführt. Man war nicht sehr höflich hier.“

Das grüne Leuchten

Heute hat Ísafjördur 2600 Einwohner, früher war es eine Ansammlung von Häusern, in denen sich die Menschen von den zum Teil weit entfernt liegenden Höfen mit Waren eindeckten. „Nie wäre es hier jemandem in den Sinn gekommen, Frauen als fragil oder schwach zu bezeichnen“, erklärt Árný, „vielleicht ist das der Unterschied. Die Frauen empfanden sich nicht als Opfer, obwohl wir heute versucht sind, das so zu sehen.“ Die Männer waren meist draußen auf dem Wasser, zum Fischen, zum Jagend oder auf Raubzügen unterwegs. Die Frauen bewirtschafteten die Höfe allein, allenfalls mit ihren Söhnen.

So wie Stella das heute auch macht. Noch immer wandert sie, schwingt sich aufs Pferd, cruist mit dem Four-Wheel-Drive über die Schotterpisten. Ihr Hof liegt abseits der großen Straßen, nur eine Handvoll anderer Gehöfte liegt ringsherum. Am Abend bringt sie ihre Gäste zu einer heißen Quelle. Davor hat man eine große Badewanne gebaut, einen Trog aus Stein in einer felsigen Landschaft am Rande eines kleinen Flusses. Darüber spannt sich der Nachthimmel auf, mit seinen Abermillionen Sternen und dem wabernden Grün der Polarlichter. Wie ein grünes Band, das in Zeitlupe im Wind weht, flattern die Polarlichter, an den Rändern schimmern diese Himmelserscheinungen bisweilen rötlich, wie bei einem alten Fernseher, dessen Farben sich verschieben. „Ich könnte auch die Welt bereisen“, sagt Stella, „aber ich finde, es kann nirgends schöner sein als hier.“

UNTERWEGS MIT STARKEN FRAUEN, DAHEIM BEI TROLLEN

www.visiticeland.com, www.westfjords.is

Anreise: Im Winter z. B. einmal pro Woche direkt von Salzburg nach Reykjavík mit WOW Air hin und zurück ab ca. 200 € (plus Gepäck). Oder Anreise mit Icelandair ab München bzw. Brussels Airlines ab Wien via Brüssel. Ab Reykjavík weiter mit Flugzeug oder Mietwagen.

Anbieter: Kneissl Touristik: Islands unbekannter Westen, Kjölur-Hochlandroute, Westfjorde & Snaefellsnes, 21. 7. –30. 7./31. 7., Flug ab Wien, BL-Anbindung, 3*-,4*-Hotel und Gästehaus, Ein- tritte, Reiseleitung durch Biologin, 07245/20700, www.kneissltouristik.at, zentrale@kneissltouristik.at bzw. Kneissl Touristik Wien, 01/4080440, wien@kneissltouristik.at

Übernachten: Landhotel Heydalur, DZ/Nacht ab 112 Euro, heydalur@heydalur.is
Hotel Ísafjördur, ab 100 Euro im DZ mit Frühstück. www.hotelisafjordur.is
Zahlreiche Quartiere bei Iceland Farmholidays: www.farmholidays.is

Schneeschuhwandern mit dem Westfjordian: info@westfjordian.is

Ausflüge im Superjeep auf Gletscher oder zur Nordlichtjagd: www.ibctravel.is

Stadtführungen in Ísafjördur, www.isafjordurguide.is

Hexen- und Magiemuseum in Hólmavík, www.galdrasyning.is

Maritimes Museum Ósvör in Bolungarvík: www.osvor.is

(Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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