Kreuzfahrt: In jedem Winkel der Welt

Eistauglich. Die Hanseatic von Hapag-Lloyd hat die höchste Eisklasse, E4.
Eistauglich. Die Hanseatic von Hapag-Lloyd hat die höchste Eisklasse, E4.(c) Hapag-Lloyd Cruises
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Abwechslungsreichere Routen, kleinere Hafenstädte wie Aarhus, im Reisepreis inkludierte Trinkgelder und vor allem zahlreiche neue Expeditionschiffe: die aktuellen Kreuzfahrttrends.

„Mir geht langsam die Welt aus!“, stöhnte der TV-Produzent Wolfgang Rademann („Das Traumschiff“), der 2016 verstarb, vor einigen Jahren. Dabei ist „seine“ Kreuzfahrtwelt größer als jede andere: Vistafjord, Astor, Berlin, Deutschland und jetzt die Amadea – Letztere bekam vor wenigen Wochen einen Preis für das abwechslungsreichste Routing – können aufgrund ihrer Größe fast jeden Winkel der Welt erkunden.

Anders als Schiffe heutigen Zuschnitts, gegen die sich die Insel Santorin gerade heftig wehrt, schieben sich doch an Sommertagen, an denen vier oder fünf Kreuzfahrtriesen in der Bucht ankern, über zehntausend Besucher durch die engen Altstadtgassen. Es sind daher nur zum Teil der morbide Charme und die Angst, Castros Ableben könne die Insel ad hoc verändern, der Kreuzfahrer nach Kuba treibt. In erster Linie ist es das Aufatmen der Granden in der Branche, überhaupt ein neues Ziel gefunden zu haben, das en passant für alte Karibik-Hasen eine weitere Reise in Amerikas Badewanne Nummer eins interessant macht. Gerade haben Norwegian Cruise Line und Royal Caribbean die Genehmigung für regelmäßige Besuche erhalten.

Will man neue Ziele schaffen, erfordert das viel Arbeit, obwohl es noch immer Häfen gibt, die um die Gunst der Seereisenden buhlen. Im Verband „Cruise Baltic“ haben sich 29 Häfen der Ostsee zusammengeschlossen, um gemeinsam für mehr Kreuzfahrtbesuche zu werben, auf dass jeder Einzelne mehr davon abbekommt. Darunter nicht nur B-Ziele wie Turku (statt Helsinki) oder Göteborg (statt Stockholm), sondern auch Aarhus und Elsinore, Fredericia, Kalmar, Karlskrona und Kotka, von denen bisher kaum ein Normalsterblicher gehört hat. Verrückterweise buchen die Reisenden nur, wenn genügend namhafte Ziele auf dem Fahrplan stehen – Neues ist nur in kleiner Dosierung erwünscht.

Im Schweinsgalopp durch edle Gemächer. Dabei verändern sich, und das ist die große Chance für zukünftige Häfen, nicht nur die Ziele, sondern auch die Wünsche der Reisenden, was man dort am liebsten anstellen möchte. Traute sich noch vor zehn Jahren kaum jemand wieder nach Hause, wenn er nicht nach einer Ostseekreuzfahrt einen Nachmittag in der Eremitage, einen abendlichen Ballettbesuch und eine Tagestour nach Schloss Peterhof vorweisen konnte, arbeitet der Zeitgeist zugunsten der Sommerresidenz des Zaren, in der man sich in der Hauptsaison in Massen durch die edlen Gemächer schiebt – mit offiziellem Verbot, stehen zu bleiben, weil die feuchte Atemluft der Besucher die Kunstwerke an den Wänden beschädigt. Ob das besser wird, wenn sie im Schweinsgalopp hindurchhecheln, sei dahingestellt.

Futuristisch, aber  bewährt mit rundum begehbaren Decks: Hurtig­rutens Amundsen.
Futuristisch, aber bewährt mit rundum begehbaren Decks: Hurtig­rutens Amundsen.(c) Hurtigruten SA

Zum Glück haben sich zum Lechzen nach Bildung viele andere Urlaubswünsche gesellt: abschalten oder aktiv sein, Sport und Spiel. Die Alternativen sind daher Natur, Action und Themenausflüge. Man besucht auf Korsika in kleinen Gruppen eine Süßigkeitenfabrik oder geht mit dem Küchenchef auf lokalen Märkten einkaufen. Man erkundet St.  Petersburg per Fahrrad oder macht beim Landgang seine erste Segway-Erfahrung. In der Ostsee gibt es sogar einen berechtigten Anspruch der Gäste, sich vom täglichen Pflastertreten in immer neuen Kulturmetropolen auch einmal erholen zu dürfen. Früher bauten die Reedereien künstlich Seetage ein, obwohl die Strecken so kurz sind, dass gar keine erforderlich waren  – heute legt man in Mariehamn auf den Åland-Inseln oder der estnischen Insel Saaremaa an, wo es Wanderungen, Kanuausflüge oder Angeltouren zu buchen gibt. Oder einfach Kaffee und Streuselkuchen auf dem Dorfplatz.

Bordeigener „Central Park“. Den internationalen – und mit Ausnahme von Costa und MSC heißt das: US-dominierten – Reedereien ist freilich der europäische Entdeckergeist ein Dorn im Auge, zielt ihr Konzept doch eher darauf ab, dass die Passagiere ihr Geld an Bord ausgeben und das Schiff mit allen seinen Freizeitfinessen als Ziel der Reise begreifen. Tatsächlich könnte man auf einer Mittelmeer-Kreuzfahrt mit der Harmony of the Seas, dem derzeit weltgrößten Kreuzfahrtschiff, den Bummel an der Corniche von Nizza gegen das Flanieren im bordeigenen „Central Park“ mit immerhin 12.000 echten Pflanzen eintauschen, das Sehen und Gesehenwerden statt in St.  Tropez auf dem achteren „Bordwalk“ erledigen, den Sprung ins mediterrane Salzwasser durch die Riesen­rutsche ersetzen, wo man am Ende in einen riesigen Champagnerkelch plumpst, und statt einer Bodega auf Mallorca gehört der Abend „Jamie’s Italian“, wo die Tapas rustikal auf alten Konservendosen stehen.

Der Gegentrend wird gerade eingeläutet. Noch nie standen in den Orderbüchern der Werften so viele Expeditionskreuzfahrtschiffe wie heute, die 2018, 2019 und 2020 ausgeliefert werden. Dabei wagen sich auch Neulinge in dieses schwierige Geschäft. Wenn bislang das eistaugliche Großschlauchboot das Landungsmittel war, so setzt man neuerdings auf bordeigene Helikopter und sogar Mini-U-Boote für den ultimativen Ausflug. Fachleute sind Hurtigruten, von Haus aus Linienschiffe an Norwegens Küsten, die jedoch schon lang nicht mehr ohne touristisches Geschäft überleben könnten. Während auf der Strecke von Bergen bis Kirkenes an der russischen Grenze zwei charmante Oldies die Flotte ergänzen, sodass auch Nostalgietrips im Programm sind, reicht die Routenplanung inzwischen von Grönland bis in die Antarktis, einschließlich der Nordwestpassage und neuerdings auch Südamerika. Gerade hat das Unternehmen zwei neue, futuristisch anmutende Expeditioncruiser bestellt, mit einer Option auf zwei weitere, die sich mit 600 Passagieren allerdings am äußersten Rand des Expeditionsgeschäfts bewegen. Letztlich ist Hurtigruten den Weg gegangen, den Kreuzfahrterfinder Albert Ballin 1891 vorgezeichnet hat: Was das Liniengeschäft nicht bringt, muss im Tourismus verdient werden. Apropos Ballin: Auch Hapag-Lloyd Cruises ersetzt die beiden eistauglichen Weltentdeckerinnen Bremen und Hanseatic – Letztere ist nur gechartert, bekam aber gerade eine Laufzeitverlängerung – durch Neubauten.

Groß ins Geschäft kommt zudem die japanische Nobelreederei Crystal Cruises, die ebenfalls auf Expedition setzt. Pfiffigerweise hat der Mutterkonzern, die chinesische Genting Group, auch gleich das Gros der norddeutschen Werftstandorte erworben, die Lloyd-Werft in Bremerhaven, die MTW-Werft in Wismar, die Warnow-Werft in Warnemünde und die Stralsunder-Volkswerft gehören dazu, sodass man unabhängig planen und eigenen Projekten den Vorzug geben kann.

Nordisch. Skan­dinavisch cooles ­Design der jüngst erst georderten Expeditionsschiffe von Hurtigruten.
Nordisch. Skan­dinavisch cooles ­Design der jüngst erst georderten Expeditionsschiffe von Hurtigruten. (c) Hurtigruten SA

Inklusivangebote. Den zukunftsweisenden Trend unter den Großen hat 2016 Norwegian Cruise Line gesetzt. Nicht nur die Trinkgelder, die im US-Jargon Service Charge heißen, wurden endlich in den Reisepreis inkludiert, sondern auch viele Getränke und andere Leistungen. Damit sind die Mitbewerber, bei denen man noch mit ordentlichen Summen zur Kasse gebeten wird, unter Zugzwang geraten. TUI Cruises hatte das „Alles inklusive“-Konzept im deutschsprachigen Raum vorexerziert. US-Reedereien verstehen oft die hiesige Abwehrhaltung gegen Trinkgelder nicht, denn dort bekommt kaum ein Kellner ein Festgehalt, und man ist daran gewöhnt, bis zu 30 Prozent „tip“ auf die Rechnung draufzupacken.

Langsam dämmert es den US-Reedereien jedoch, dass man sich an die lokalen Märkte Europas anpassen muss, wenn man sie erobern will. Mit 27 unterschiedlichen Optionen für das abendliche Festmahl stand Norwegian Cruise Line schon immer für große Freiheit. 2017 will man diese auch bei den Routen ausbauen, hat man doch das alte Europa als Lieferanten für spannende Ziele entdeckt. Nicht nur das Ursprungsland Norwegen und die ganz großen Metropolen sind dabei, auch Ziele wie St.   Malo, Seebrügge und Brest sowie im Mittelmeer Cannes und Sète, Cagliari und Valencia werden von NCL-Schiffen besucht. Costa Cruises ist auf den Zug aufgesprungen und verzichtet auf täglich immerhin zehn Euro Service-Charge. Pepper, der Roboter mit Emotionen, der an Bord von Italiens Traditionsreederei einfache Dienste am Passagier übernommen hat, hätte sie ohnehin nicht verlangt.

Zum Glück gibt es noch genügend weiße Flecken auf der Seekarte. Das liegt in erster Linie daran, dass unbekannte Namen im Fahrplan die Verkaufbarkeit einer Reise eher mindern, als sie zu erhöhen. Diese Enklaven einer Terra incognita liegen keineswegs alle am anderen Ende der Welt, wie etwa die spannenden Guayana-Staaten, die auf dem Weg von Rio in Richtung Karibik meist links – pardon: an Backbord – liegen gelassen werden, obwohl sie mit einer der schönsten Kolonialstädte der Welt (Paramaribo), einem Besuch im Weltraumbahnhof Kourou (Cayenne) oder einem Flug zu spektakulären Urwaldwasserfällen (Georgetown) locken könnten, nicht zu vergessen die legendäre Teufelsinsel, wo Dreyfus und Papillon ihre Haftstrafen absaßen.

Beinahe regelmäßig bereist Hapag-Lloyd inzwischen die Nordwestpassage von Ostkanada „obenrum“ nach Alaska und die jährlich eisärmere Nordostpassage, sogar der Nordpol ist im Sommer erreichbar. In der Ostsee aber ist der gesamte Bottnische Meerbusen bis hinauf nach Kemi, das fast am Polarkreis liegt und im „Cruise Baltic“-Verband um Besuche wirbt, noch Neuland. Eigentlich kann man der Kreuzfahrtbranche nichts sehnlicher wünschen als steigende Ölpreise. Dann wäre sie vielleicht gezwungen, über Nahziele und kurze Fahrstrecken nachzudenken.

Zum Beispiel zur faszinierenden Inselwelt der Hebriden, die nur von der kleinen Hebridean Princess mit 50   Passagierbetten regelmäßig angelaufen wird. Oder zur Riviera, wo ausgerechnet das orangefarbene Billigschiff Easy Cruise One vor zehn Jahren vorgemacht hat, dass man mit Fahrzeiten von vier bis fünf Stunden zwischen Nizza, Cannes, St. Tropez, Monte Carlo, Genua, Portofino und San Remo die tollste Route im westlichen Mittelmeer realisieren kann. Es mag sein, dass den Reiseanbietern manchmal die Ideen ausgehen. Die Welt geht ihnen noch lang nicht aus.

Infos

Hurtigruten
vertreten durch Jumbo Touristik/Ruefa, Halle A, Stand A0101
Tel.: +43/(0)1/588 00-0, Verkehrsbüro-Ruefa Reisen GmbH, ­Lassallestraße 3, 1020 Wien
hurtigruten.de
ruefa.at
jumbo.at

Costa-Kreuzfahrten
Halle A, Stand A0531
Kraussstraße 10/2 , 4020 Linz,
Tel.: +43/(0)732/23 92 39
costakreuzfahrten.at

Hapag-Lloyd Cruises
vertreten durch Jumbo Touristik im Haus Ruefa, Halle A, Stand A0101, Haüpag-Lloyd Kreuzfahrten Gmbh, Ballindamm 25, D-20095 Hamburg,
Tel.: +49/(0)40/30 17-3070
hl-cruises.at
ruefa.at
jumbo.at

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