Die anderen können’s schon nicht mehr hören, doch Reiseerlebnisse haben einen allzu großen Drang nach draußen.
Wenige Themen sind so ergiebig wie das Reisen. Locker lassen sich die Erkundungen anderer Länder, anderer Sitten in den Smalltalk einflechten und bei Bedarf zum abendfüllenden Tischgespräch ausbauen. Ebenso unschwer lässt sich aus dem in der Ferne Erlebten beziehungsweise Durchlittenen ein Bericht, ein Blog, vielleicht sogar ein Buch verfassen, so denn der Reisende über ein wenig Sprachkompetenz und ein paar scharfe Fotos verfügt. Die Qualität von wachsenden Tonnen an Abenteuer- und Reiseberichten im Handel, Social Media, Internet und auf Bühnen legt ja mehrheitlich keine hohe Latte, an der sich ein potenzieller Erzähler messen müsste. Schließlich geht es nicht um die Poesie, sondern um den Plot: wie man mit dem Fahrrad die Gobi, die Tundra, die Pyrenäen durchquerte. Auf einem Frachtschiff den Angriff somalischer Piraten, auf einem Eisbrecher den Angriff von Eisbären überlebte. Sich ein Jahr lang erfolgreich von Caracas bis nach Castrop-Rauxel schnorrte. In Flipflops Gipfel im Himalaya, Elbrus, den Anden bestieg. Die autochthonen Bevölkerungen von Sulawesi, Kamerun oder Jakutien studierte. Einen Sommer lang eine obersteirische, albanische oder neuseeländische Alm schupfte. Die Außengrenzen einer Katastralgemeinde in Etappen abwanderte, welche auch immer.
Anweisungen über Anweisungen. Im Windschatten leibhaftiger Primärberichterstattung gedeihen neue Segmente: Metatexte, die diese Reise- und Abenteuerberichte bespiegeln und auseinandernehmen. Die besseren sind nicht frei von Ironie, die originelleren üben sich in der Persiflage. Und andere wieder navigieren im Fahrwasser der Ratgeberliteratur, freilich einer, die satirisch gemeint ist: So nicht! So erst recht!
Insofern gehört das schmale, humorige Buch von der „Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen“ zu diesen Sekundärtexten, die den Drang zum Welterklären durch den Kakao ziehen – und zugleich Anweisungen mit auf den Weg geben. Vielleicht kann man Debureaux‘ Ratschläge beim Schreiben, Posten, Vortragen oder gleich bei der Recherche berücksichtigen: „Zählen Sie ein paar Ziele auf, die einem Schauer über den Rücken jagen“, empfiehlt der Autor, am besten teste man die zurechtgelegten Reiseanekdoten gleich beim ersten verfügbaren Opfer, sprich dem Sitznachbarn am Rückflug, bevor die Freunde gleich am Abend „in Geiselhaft“ genommen und mit Erlebnissen, Beobachtungen und Erkenntnissen bespamt werden.
Anekdoten, Selbstbeschau, Begegnungen. Das hat im vergangenen Jahrhundert vielleicht noch gut funktioniert, als die Welt größer, unentdeckter schien. Doch um ein Publikum heute bei der Stange zu halten, braucht es Ausgefalleneres und Inszenierteres. Das hindert freilich nicht an der permanenten digitalen Penetration mit Banalitäten: „Achten Sie darauf, Ihre Freunde bei der Arbeit anzumailen, denn Ihre Nächte in der Transmongolischen Eisenbahn sind aufregender als deren Werktage.“ Bedeutungstiefe können die Schilderungen allerdings etwa durch das Einstreuen von Zufällen gewinnen: „Berichten Sie bis ins kleinste Detail von dem Wiedersehen mit Ihrem Postboten an einer spanischen Tankstelle und bauen Sie dabei genug Spannung ein, um Ihre Zuhörer in Atem zu halten.“
Reiseerlebnisse, ganz unabhängig, ob in Social Media gekippt oder direkt vom Stapel gelassen, vor Freunden, Unbekannten in der U-Bahn oder einem voll gefüllten Vortragssaal, leben stets von der außerordentlichen menschlichen Begegnung. Wofür Debureaux empfiehlt, die Darsteller einer Geschichte zu „casten“, denn Angestellte in Wechselstuben oder Taxifahrer eignen sich dramaturgisch nur halb so gut: „Beschwören Sie das stille Glück des Dropka-Schäfers im Hochland, die Engelsgeduld des Ohrenreinigers von Bombay oder die Ausstrahlung der Obstverkäuferin in Phnom Penh herauf.“ Übertreibung schadet eben nie. Wer kann schon überprüfen, wann und wo die Wahrheit in die Dichtung hinüberwechselt? Man bloß erlebt, sondern tatsächlich überlebt hat: Wanzen- oder Schlangenbisse?
Was die Motivation für so ein kleines böses Buch ist? Musste Debureaux als Redakteur in französichen Magazinen denn so viele langweilige Reisemanuskripte bearbeiten? Oder als Kind zu vielen Diavortragsmarathons beiwohnen, wie dies auf etliche um die 1970 Geborenen zutrifft? Oder hat er zu wenig Karl May oder Jules Verne gelesen? Sei’s drum, der Kunst zu unterhalten, hat es wohl nicht geschadet.