Havanna: Diesmal ohne Mafia

Rooftops. Das La Guarida kam bereits filmisch zu Ehren – als Kulisse.
Rooftops. Das La Guarida kam bereits filmisch zu Ehren – als Kulisse. (c) Beigestellt
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Die Kunstszene und Hotelketten entdecken Havanna, es gibt sogar Wiener Bier. Doch ausgerechnet die Cocktailkultur lag lange darnieder. Private Bars ändern das gerade.

Ernest Hemingway erinnerte sich an Österreich, wenn er bei Constante Ribalaigua trank. In Havannas Bar Floridita bereitete dieser Daiquiris mit doppelter Rumdosis für den Schriftsteller zu – „der sechste oder achte schmeckte, als führe man einen Gletscher hinunter und wäre nicht angeseilt“. Österreicher hingegen starren heute auf einen bronzenen Hemingway, der als Einziger an die goldene Cocktailzeit der kubanischen Hauptstadt erinnert. Mit einer öffentlichen Arbeitsverweigerung, wie sie so nur kommunistische Länder pflegen, leert der Floridita-Barmann gerade im elektrischen Mixer Rum, Maraschino und Limettensaft zusammen und startet den offen gebliebenen Blender. Kameras klicken, Smartphones werden gezückt. Irgendwann unterbindet der Daiquiri-Erzeuger das Spritzen endlich, indem er den Deckel auf den Mixer setzt. Sechs Pesos cubanos convertibles (CUC), im Wechselkurs nahezu Euros entsprechend, sind fällig, wenn man hier dem Niedergang einer weltbekannten Cocktail-Kultur beiwohnen will.

Die Menge (das Plansoll?) passt – 84 Flaschen weißen Rums braucht die Floridita täglich – aber die eisige Masse hat mit den Ikonen der kubanischen Cocktailblüte wenig zu tun. El Nacional, Presidente und Daiquiri wurden von den Cantineros, wie sich die Bartender der 1920er-Jahre nannten, erfunden. Auch der Cuba libre und die Cubanita trugen den Namen der Insel in die Welt hinaus, als in Amerika die Prohibition herrschte. Limetten, Zucker und Rum wurden damals als „kubanische Dreifaltigkeit“ das Rückgrat tropischer Drinks. Mit der sozialistischen Revolution endete diese von der US-Mafia beförderte Freizügigkeit schlagartig. Kubanische Rumdynastien wie die Bacardis oder die in Santiago ansässigen Álvarez verließen das Land. 24 Millionen Flaschen „Ron Matusalem“ verkauften allein sie 1957 – bei knapp sechs Millionen Einwohnern.

Das Floridita, eine der bekanntesten Bars weltweit, nicht nur wegen Stammgast Ernest Hemingway.
Das Floridita, eine der bekanntesten Bars weltweit, nicht nur wegen Stammgast Ernest Hemingway.(c) Beigestellt

Devisenbringer. Die verstaatlichten Anlagen nutzen Castros „Barbudos“, doch das Schwergewicht der Rumproduktion sitzt heute in Havanna. Genauer gesagt nördlich davon in San José de las Lajas, wo der Havana Club erzeugt wird. Die 1960 verstaatlichte Marke der Familie Arechabala wird heute in 125 Ländern von Pernod Ricard vertrieben. Nachdem der Zuckerexport in die Sowjetunion und ihre Bruderstaaten zusammengebrochen ist, stellt der daraus erzeugte Rum einen wichtigen Devisenbringer dar. Seit 1993 verzehnfachte sich die Menge auf 50 Millionen Flaschen; heute steht das 50:50-Joint-Venture der Kommunisten mit dem Weltkonzern auf Platz drei der weltweiten Rumverkäufe. Bitter für Kuba: Man rangiert hinter Bacardi und Captain Morgan, die allerdings auch in den USA verkauft werden dürfen.

Die einst so stolzen Bars Havannas hinken dem Höhenflug ihres Rums hinterher. Im staatlichen Gastrokonglomerat Habaguanex, das etwa die Floridita betreibt, steht die Devisenmaximierung an oberster Stelle, nicht die Cocktailkultur. Immerhin wird mit den Einnahmen auch die Restaurierung der Unesco-geschützten Altstadt vorangetrieben. Dass die Head Bartender dank Einheitslohn nur jeden zweiten Tag zur Arbeit kommen, steht auf einem anderen Blatt. Doch immerhin sorgt die zarte Liberalisierung unter Raúl Castro für private Investments in die alte (Trink-)Stärke der Zuckerinsel. Und selbst die staatliche Seite kann offenbar nicht nur Touristenfallen aufstellen: Als Meisterstück der Rückbesinnung auf die Ära gilt die Renovierung des Sloppy Joe’s. Die staatliche Habaguanex, ohne die touristisch wenig geht, hat sogar Folder drucken lassen, die José Abeal y Oteros Geschichte erzählen. Die 1917 von dem Spanier gegründete Bar mit ihrem 18 Meter langen Tresen wirkt heute fast steril, doch seinerzeit saßen hier Alec Guinness, John Wayne und Tyrone Power. Selbst in Key West eröffnete 1933 eine Bar gleichen Namens, sie hatte jedoch nichts mit dem Original in der Calle Zulueta zu tun. Die wenigen originalen Erinnerungsstücke hat man – eine kommunistische Volte? – in den Abgang zu den Toiletten verbannt. Auch wenn der Rum-Shop von Japanern und Amerikanern gestürmt wird, sind die Drinks durch die Bank gut. Die Haus-Signatures werden einem gewissen Fabio zugeschrieben. Der aber ist weder anwesend noch dem Kellner bekannt. Nummer vier, der Cuba bella, sei ohnehin aus. Dafür bietet man neun verschiedene Gin & Tonics an. Aber will man deswegen nach Havanna?

Wechselnde Szenerien, doch  die Konstante ist der Cocktail.
Wechselnde Szenerien, doch die Konstante ist der Cocktail.(c) Beigestellt

Pools statt Casinos. Die Nostalgie hat zum Glück eine Adresse, nicht ganz legal, im Stadtviertel Vedado. Am besten hält man nach einer aberwitzigen, dreistöckigen Art-déco-Villa Ausschau, in deren Nebenhaus Señora Belkis buchstäblich zwischen Antiquitäten wohnt. Batterien von historischen Gläsern, eine Psyche, hinter der gerade Omas Fußnägel geschnitten werden, Unmengen Nippes und unsignierte Gemälde warten auf Käufer. Man muss lang suchen, um neben dem Bierkrug vom „Eisenbahn-Sport Cottbus“ Fotos aus den Casinos oder der legendären Bar Bodeguita del Medio zu finden. Dann kann man etwa im Badezimmerschrank eine Tasse aus der „B del M“ oder den hufeisenförmigen Aschenbecher aus dem „Jockey Club Havanna“ entdecken. Und davon träumen, dass dort der „Tourismusinvestor“ der 1950er, der Mafioso Meyer Lansky, seine Zigarre abstreifte.

Heute heißen die Investoren Tryp, Melia oder Kempinski und errichten Luxushotels mit Pools, denn die sind in Havanna Mangelware. Die kubanischen Legenden wie das Inglaterra am Oldtimer-Taxi-Treffpunkt Parque Central oder das ikonische Hotel Nacional können zudem den Ansturm der US-Touristen, den Barack Obamas Aufhebung des Embargos ausgelöst hat, kaum bewältigen. Havannas Einwohnerzahl entspricht etwa jener Wiens, zählt aber nur ein Zehntel der touristischen Nächtigungen (1,5 Millionen). Zwar schont eine Nächtigung in einer privaten Unterkunft die Geldbörse, ihre Anzahl ist aber begrenzt. Die 246 Zimmer des Grand Hotel Kempinski Manzana, ebenfalls am Parque Central, stellen hier eine andere Dimension dar. Von den oberen Etagen geht der Blick direkt aufs Capitolio („einen Meter höher als das US-Kapitol“, worauf jeder Kubaner hinweist). Derzeit eingerüstet, soll es wie der Rest Havannas zum 500-Jahr-Jubiläum in zwei Jahren im alten Glanz erstrahlen. Auch hier legen die Privaten einiges vor. Mit dem El Cocinero etwa, das mit der angrenzenden früheren Ölfabrik (heute Kunstzentrum) internationales Flair verströmt. In der Rooftopbar wird es teurer, bewegt man sich abseits der Nationalspirituose: 12,50 Euro für Gin & Tonic führen wieder zurück zum Havana Club. Der kostet in der Kunstfabrik ein Drittel, dazu laufen ein Stummfilm und Hip-Hop gleichzeitig.

Nach dem Oscar. Die Kunstszene hat die Karibikmetropole für sich entdeckt. Die Galerie Arte Continua etwa brachte heuer Superstar Anish Kapoor („Descent into Limbo“) ins einstige Kino im Barrio Chino, der „Chinatown“ Havannas. Für lokale Galeristen gibt es immer noch die Hürde einer offiziellen Bewilligung. Wer es dennoch wagt, ist auf internationale Käufer angewiesen, erzählt Jorge Perugorría, der mit seinem Sohn das Estudio Gorría führt. „Früher war hier viel Rotlicht, dann Drogensüchtige“, sieht er die Kunst auch als Abkehr von der Vergangenheit. Interviews mit Opfern sexueller Gewalt wurden von kubanischen Grafikern künstlerisch umgesetzt. Mit abweichenden Moralvorstellungen hat Perugorría Erfahrung. Der Schauspieler agierte in Kubas Oscar-Gewinner „Erdbeere und Schokolade“ (bester ausländischer Film 1993). Die damalige Filmkulisse, das Restaurant La Guarida, hat sich ebenfalls verändert. Aus einem der ersten privat geführten Restaurants (paladar) mit einem Zimmer wurde ein verwinkelter Hotspot, der mit einer spektakulären Dachterrasse gekrönt wurde. Hier finden sich einige der besten Rumdrinks, zumal Havana Club zur Eröffnung den Pariser Tiki-Spezialisten Scotty Schuder („Dirty Dick“) und den Londoner Andy Loudon („Satan’s Whiskers“) einfliegen ließ. Für die Piña de plata etwa kommen zur kubanischen Dreifaltigkeit noch Ananassaft und Chardonnay.

Die Filmbranche als einigermaßen internationalisiertes Gewerbe Kubas sorgt im Barleben auch für direkte Impulse. Regisseur Rafael Rosales hat mit Erinnerungsstücken jenen Ort gestaltet, der als Havannas beste Bar gilt. Tagsüber Café erwacht das Madrigal ab 17 Uhr zum Leben. Zu einem schulmäßig ausgewogenen El presidente erfährt man auch, dass Barchef Juan Carlos keinen Alkohol trinkt. „Lediglich der Kostschluck muss sein“, so der Bartender, der sich mit einem Martin-Scorsese-Doppelgänger die Schicht teilt. Unter einem Warhol-inspirierten Porträt, zwischen alten Radios und dem begrünten Bidet trinken junge Kubaner und Touristen um fünf CUC Daiquiri natural oder den alten Feldarbeiter-Mix Canchánchara mit Honigwasser

Doch wie so oft ist auch das Private hier politisch. Der Blood and Sand, ein Rudolfo Valentino gewidmeter Drink aus der goldenen Zeit Havannas, schmeckt irgendwie eigen. „Ich habe ihn mit Campari gemacht“, versuchte Juan Carlos den Cocktail trotz Mangelwirtschaft umzusetzen. Denn der eigentlich benötigte Kirschlikör gilt als perdido, wie Kubaner verschwundene Lebensmittel nennen. Es mag wichtigere Lebensmittel geben. Aber auch der Tourist merkt so, dass man sich die Realwirtschaft nicht immer schöntrinken kann.

Tipp

Kunstfabrik. Der hippste Ort Kubas ist die sich stets vergrößernde Fábrica de Arte Cubano (FAC). Vom Ohrstecker bis zur Plastik, von Video-Installationen bis Ölbildern umrahmt Kunst hier Tänzer und Trinker, Calle 26/Esquina 11 (Vedado).
Rum-Museum. In der alten Villa wartet neben einem raumfüllenden Plantagenmodell auch Livemusik. Im Hof zu probieren: Hauscocktail mit frischem Zuckerrohrsaft (guarapo), Avenida del Puerto 262 (Habana Vieja), contacto@museo.havanaclub.cu

Huhn und Rauch. Die Größe des El Aljibe soll nicht täuschen; die Qualität passt beim legendären Grillhendl (elf Euro). Links vom Eingang: Einer der besten Zigarren- und Rum-Shops Havannas, 7a Avenida/zwischen Calle 24 und 26 (Miramar).
Filmschönheit. Als Location des Oscar-gekrönten „Fresa y chocolate” zählt La Guarida zu den besten Lokalen der Stadt. Das morbide Treppenhaus gehört zum Erlebnis dazu, Concordia 418/Gervasio und Escobar (Centro Habana),
www.laguarida.com

Puro-Paradies. Im ersten Stock des Hotels Conde de Villanueva führt man nicht nur alle kubanischen Zigarren, es gibt auch eine großartige eigene Puro ohne Label (acht Euro). Getestet wird im Ledersessel vor Ort, Calle Mercaderes 202 (Habana Vieja).
Stargalerist. Im alten Rotlichtviertel zeigt das Estudio Gorria des bekannten Schauspielers Jorge Perugorría zeitgenössische kubanische Kunst, vor allem Zeichnungen, San Isidro 214/ zwischen Picota und Compostela (Habana Vieja).

Retrobar. Der Abstand zwischen der Bar des Sloppy Joe’s und den Gästetischen irritiert zwar, die Drinks sind aber gut und günstig. Statt im Rum-Shop lieber in den Devotionalien aus der Glanzzeit der Bar stöbern! Calle Zulueta 251 (Habana Vieja), sloppyjoehabana@habanaguanex.cu

Beste Drinks. Rafael Rosales schickes Lokal würde auch nach Berlin passen. Die Cocktails sind hervorragend, Kubaner lieben auch das internationale Fingerfood, Calle 17/zwischen 2. und 4. Straße. (Vedado), https://madrigalbarcafe.wordpress.com/

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