Südwestnorwegen: Gastgärten an Nordseefjorden

Bunte Häuser in der Stadt signalisieren: Hier ist die Lokalmeile.
Bunte Häuser in der Stadt signalisieren: Hier ist die Lokalmeile.Visit Norway
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Öl schwemmte Geld in die frühere Fisch- und Konservenstadt Stavanger. Rundherum flachere, seichtere Fjorde, erstarrtes vulkanisches Gebiet, Skihügel und Dünen. Aber ja doch, auf die Felskanzel muss man auch.

Das soll bitte ein Fjord sein? Dieses sanfte Gewässer, an dem es fast so aussieht wie an einem Kärntner Badesee: ein pyramidenkogelartiges Gegenüber, links eine Halbinsel wie in Pörtschach, rechts am Ende der Bucht eine klagenfurtähnliche Ansiedlung. Und mit etwas Fantasie plus Gebüsch geht das Eiland Jättaholmen auch als Kapuzinerinsel durch. Familien planschen im hellen Flachwasser, Boote schaukeln an den Bojen, die Immobilien am Ufer gehören in die obere Kategorie, rundherum waren Gartenarchitekten am Werk. Also doch Seenkärnten? Aber nein, man steht da am flachen Ufer des Gandsfjords, in der Bucht von Hinna, und ist auf eigene Art enttäuscht und erfreut zugleich über so viel Selbstähnlichkeit mit dem Gewohnten.

Von oben, dem Pyramidenkogel von Stavanger, dem Dalsnuten, schaut die Sache schon anders aus. Weit draußen liegt die Nordsee, versprengt tauchen ein paar Schären aus dem Wasser. Die flache Küstenlinie wird gesäumt von breiten Dünenfeldern, darunter in Sola der längste norwegische Sandstrand, ein Badestrand. Dann sucht das Auge nach dem Zentrum einer großen Stadt, die über mehrere Inseln verteilt und mit Brücken und Fähren verbunden ist, Binnengewässer einkreist und in die Breite geht, weil sie mit ihren Nachbarkommunen verschmilzt. Mittlerweile zählt die Region von Stavanger und Sandnes über 200.000 Einwohner. Das ist groß – für norwegische Verhältnisse.

Vom Berg ins Büro

Der Blick vom Dalsnuten ins Hinterland erfüllt dann doch die erwartete nördliche Exotik: So sieht es ansatzweise wie in der Hardangervidda, der riesigen einsamen Hochebene in der Landesmitte, aus. Nur weniger karg. Runde wie abgeschliffene Kuppen staffeln sich bis zum Horizont. Die kleinen Senken füllen oftmals Seen. Niedriges Gehölz, meist Birken, wächst aus steppenartigem Gras. Aber dann: Bimmeln, Kuhglocken, ein Bauer, Almwirtschaft fast wie zu Hause. Touristen schnaufen den steilen Weg durch die Steinbrocken hinauf, die Norweger in aktuellen Outdoorkollektionen überholen sie mit links. So füllt man hier die Mittagspause.

Internationaler Alltag

Stavanger ist nicht so berühmt und so postkartengleich wie die Stadt Bergen weiter nördlich. Auch nicht so groß. Aber auch bei Weitem nicht so verregnet – laut Statistik. Zudem gewinnt man in Stavanger mehr Kohle als anderswo in Norwegen: Nachdem Ende der 1960er-Jahre weit draußen in der Nordsee ein riesiges Ölfeld – Ekofisk – gefunden und erschlossen worden war, siedelten sich viele internationale Ölkonzerne, auch österreichische, in der früheren Fisch- und späteren Konservenmetropole an. Die heimische Statoil wurde zu einem der wichtigsten Arbeitgeber des Landes. Ab da erlebte das Dallas von Norwegen einen beispielhaften Aufstieg, der in den vergangenen Jahren unter anderem vom niedrigen Ölpreis und der teuren Produktion abgebremst wurde. Stavanger ist aber nach wie vor ein Ort für Expats, nicht zuletzt, weil hier auch ein Nato-Schulungs- und Trainingszentrum angesiedelt ist. Dass hier viele Norweger studieren, macht sich im Stadtbild ebenso bemerkbar. In der Innenstadt reihen sich die Lokale aneinander – erfreulich für ein insgesamt gastronomisch unterversorgtes Land. Die Gastgärten sind voll, trotz Krise und der skandinavientypischen Preise für alkoholische Getränke. Bunt bis schrill gestrichene Häuser säumen manche hübsche Gasse im neueren Teil der Stadt, große bunte Speicherhäuser den Hafen, während die Altstadt aus dem 18./19. Jahrhundert sich in Weiß zurücknimmt. Hier geht man spazieren wie in einem bewohnten Freilichtmuseum und kann beobachten, wie sich ein Hochhaus tief in die Stadt hereinschiebt: Kreuzfahrtschiffe legen hier an.

Am Hafrsfjord befindet sich das Denkmal 'Sverd i Fjell', Schwerter im Felsen.
Am Hafrsfjord befindet sich das Denkmal 'Sverd i Fjell', Schwerter im Felsen.Visit Norway

Taucherglocke und Plattform

Zeichen der prosperierenden Jahre sind die lichten, schicken Appartementhäuser. Ein neues Konzerthaus. Ein großes Fußballstadion für eine nicht unbedeutende Mannschaft. Businessbauten in Glas, Stahl, Beton. Wobei das größte Objekt an der Waterfront eines der größten Beispiele für Holzarchitektur in Skandinavien darstellt. Ebenfalls am Wasser steht das Erdölmuseum, dessen Besuch dringend anzuraten ist, auch um Norwegens Entwicklung vom armen Agrarland zu einer der reichsten Nationen zu verstehen: In dem einer Ölplattform nachempfundenen Bau erschließt sich das Thema erhellend, spannend mit Bohrinselmodellen, Gesteinsproben, Taucherglocken, Tankerminiaturen und einem Katastrophenraum, in dem der Besucher ein paar Minuten Ernstfall erlebt. Nicht ausgespart wird das größte Unglück in der norwegischen Erdölgeschichte: Ein Sturm kippte im März 1980 die Bohrinsel Alexander L. Kielland in der Nordsee, 123 Ölarbeiter starben. Neue Ölfelder, steigender Ölpreis, das bedeutet nicht, dass Norweger nur fossil fahren. Der Anteil an Elektrofahrzeugen ist daran gemessen sehr hoch. Aber das gehört zu den Gegensätzen, die sich eher im Alltag offenbaren: So schätzt man wochentags alle städtischen Annehmlichkeiten, flüchtet am Wochenende regelrecht – in eine einsame Holzhütte mit Waschmaschine und Flachbildschirm. Oder: Im Outback kreuzen sich die Wege von Skitourengehern und Mountainbikern, weil Norweger klimaunabhängig sind.

Preikestolen, da wollen alle hin.
Preikestolen, da wollen alle hin. Eduardo Grund

Es passt auch ins Bild, dass der derzeit bekannteste Spross Stavangers, Kjetil Jansrud, als Skigott aus einer Stadt kommt, in der kaum ein Fuzel Schnee liegen bleibt, weil es lieber regnet. Um Schnee zu sehen, muss man eine halbe Stunde ins Hinterland fahren. Um auf ihm herumzukurven schon eineinhalb bis ins Skigebiet Sirdal. Dort liegt Schnee aber sehr lang, sodass noch im Juni die eine oder andere Nassschneelawine abgeht. Sommers mutiert Sirdal zum Wanderziel. Es gibt ein paar Hütten (kann man mieten) und die nötige Infrastruktur. Aber damit hat die Bespaßung auch schon ein Ende. Dass am Ziel einer Wanderung kein spitzer Gipfel, keine urige Hütte zu sehen ist, mag Älpler befremden. Aber hier ist man es gewohnt, alles mitzunehmen, von Proviant über Zelt und Campinggeschirr, weil man da oben ewig über die Fjells, Hochflächen, wandern kann. Campieren darf man hier überall, dank Jedermannsrecht. Die Gefahr, gefressen zu werden, besteht in erster Linie vonseiten der Mücken.

Das zweite Wochenend-Fluchtziel aus der Stadt führt Richtung Süden, wo anfangs extrabreite Sandstrände liegen, um später in eine Schärenküste überzugehen. Und wieder ein paar Kilometer weiter im Magma Unesco Global Geopark bei Egersund sieht man dem Gestein an, dass es einmal wild hervorquellende Lava war, die zu einer märchenhaften Landschaft erstarrte. In Egersund selbst landet man bei einem Fjord, der nach beiden Seiten offen ist, an einem Sund. Aber auch hier ist es eher flach. Also kommt man nicht drumherum, mit der Fähre von Stavanger in den Lysefjord zu schippern und mit vielen anderen das vermutlich häufigste Fotomotiv Norwegens zu erklimmen, von der Rückseite freilich: Der Preikestolen ist eine abenteuerliche Felsplattform, die wie eine Kanzel senkrecht, fast 1000 Meter über dem tiefen Wasser aufragt. Eine Fläche, die aus der Luft handtuchgroß aussieht, aber doch 625 Quadratmeter misst. Man muss nicht an die Kante, man muss nicht einmal in die Nähe. Aber da unten, ein perfekter Fjord, ganz wie erwartet.

Tipps

Flug: Mit Austrian und SAS von Wien über Kopenhagen oder Oslo. Oder KLM via Amsterdam.

Unterwegs: Auf Cruise-Modus einstellen: Das Tempolimit liegt bei max. 90 km/h. Man zahlt Maut. Keine zu großen Touren planen: Kurze Distanzen sind weite Wege. Fähren sind gut getaktet.

Besuchen: Erdölmuseum in Stavanger, Preikestolen im Lysefjord, Wandergebiet Sirdal, Magma Geopark bei Egersund, Sandstrände in Jaeren, www.visitnorway.de, de.regionstavanger-ryfylke.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.6.2017)

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